Formel-1-Rennen in Silverstone:Probleme am Reifen hinten links

Formel 1 Silvestone

Sebastian Vettel muss seinen Red Bull zum ersten Mal in dieser Saison vor dem Ziel parken.

(Foto: dpa)

Sebastian Vettel fällt mit einem Getriebeschaden aus, zahlreiche Reifen von Fahrern platzen, den Grand Prix in Silverstone gewinnt deswegen Nico Rosberg. Die Probleme mit den Pneus bescheren der Formel 1 vor dem Großen Preis von Deutschland nun eine Sicherheitsdiskussion. Es formiert sich eine Front, Lewis Hamilton sagt, er fürchte um sein Leben.

Von René Hofmann

Der Jubel war groß, schon zehn Runden, bevor der Sieger ins Ziel fuhr. Die entscheidende Szene beim Großbritannien-Gand-Prix in Silverstone ereignete sich in der 42. der 52 Runden: In Führung liegend musste Sebastian Vettel seinen Red Bull wegen eines Getriebeschadens auf der Start- und Zielgeraden abstellen. Dies machte den Weg frei für Mercedes-Mann Nico Rosberg, der das Rennen vor Vettels Teamkollegen Mark Webber und Ferrari-Fahrer Fernando Alonso gewann.

Das Resultat gefiel vielen der vielen Zuschauer an der traditionsreichen Rennstrecke. Vettels erster Ausfall in diesem Jahr lässt das Klassement an der Spitze zusammenrücken. Vor dem Heimrennen am kommenden Sonntag auf den Nürburgring, dem neunten von geplant 19 Rennen 2013, liegt der Titelverteidiger nun nur noch 21 Punkte vor Fernando Alonso.

Das Duell der beiden Rivalen, die sich bereits in den vergangenen Jahren hetzten. Der Aufstieg von Mercedes. Vor dem Gastspiel in der Eifel gibt es viele spannende Geschichten, das große Thema vor dem nächsten Großen Preis aber ist die Frage nach der Sicherheit. Zahlreiche Reifenschäden ließen in Silverstone Zweifel aufkommen, ob das Rennen überhaupt über die ganze Distanz gehen würde.

Ein erstes Problem hatte es am Samstag im Training gegeben. Die dritten Probe- läufe mussten unterbrochen werden, nachdem am McLaren des Mexikaners Sergio Perez der hintere linke Reifen explodiert war. Die Firma Pirelli, die alle Teams mit Reifen beliefert, behauptete nach einer eingehenden Inspektion ihres beschädigten Produktes: Der Reifen sei von einem nicht näher zu bestimmenden Teil aufgeschlitzt worden. Derlei kommt gelegentlich vor.

Im Rennen aber häuften sich ähnliche Probleme. Neunte Runde: Am Mercedes von Lewis Hamilton, der von der Pole Position aus in Führung gegangen war, löst sich auf der Wellington Straight der linke hintere Reifen auf. Zehnte Runde: Am Ferrari von Felipe Massa gibt es an der gleichen Stelle ein Problem mit dem linken Hinterreifen. 16. Runde: Am Toro Rosso von Jean-Eric Vergne platzt links hinten der Reifen. Die drei Schäden waren so ähnlich, dass es schwer fiel, an eine Serie von Zufällen zu glauben. An Mark Webber erging der Funkspruch, er solle es in den Kurven vier und fünf unbedingt vermeiden, den Randsteinen nahe zu kommen. Nico Rosberg wurde von seinen Ingenieuren gewarnt, die heißen Reifen könnten in den schnellen Kurven überlastet werden.

Nach Vergnes Reifenplatzer lagen viele Teile auf der Strecke. Das Safety Car kam. Streckenposten schwärmten aus, Kehr- maschinen rollten los. Wie viele nutzte Sebastian Vettel die Gelegenheit zum Reifenwechsel. Dabei wurden auch seine Pneus inspiziert. Binnen Minuten hatte Chefingenieur Adrian Newey Fotos der Reifen vor sich am Kommandostand liegen. Auf diesen war zu erkennen, dass auch Vettels Reifen Schnitte aufwiesen. Auch er wurde daraufhin angehalten: "Bleib von den Randsteinen weg!"

"Ich will mein Leben nicht für diese verdammten Reifen riskieren"

McLaren-Direktor Jonathan Neale sprach in dem Moment schon aus, was viele dachten: "Das ist sehr beunruhigend. Wir müssen sicherstellen, dass die Rennen sicher sind. Solche plötzlichen Reifen- schäden können wir uns nicht erlauben." Erinnerungen an den Großen Preis der USA 2005 wurden wach. Damals waren die Reifen der Firma Michelin den Kräften nicht gewachsen gewesen, die auf der Strecke in Indianapolis wirkten. Nur die drei Teams, die damals auf Produkte von Bridgestone setzten, starteten.

Die Reifen waren schon vor dem Rennen in Silverstone ein Streitpunkt gewesen. Weil sich in mehr als fünf Fällen die Lauffläche gelöst hatte, hatte Sebastian Vettel die aktuelle Reifen-Generation Anfang Juni vor dem Großen Preis in Montréal als "unsicher" bezeichnet und Änderungen angemahnt. Pirelli wollte auch eine neue Konstruktion einführen. Dies aber scheiterte am Veto von Force India, Lotus und Ferrari. Eine Notlösung wurde erdacht: Mehr Klebstoff, damit die Ober- fläche besser hält. Diese kam nun in Silverstone zum Einsatz, konnte aber nicht wirklich überzeugen.

Als das Safety Car das Rennen wieder freigab, strebte Vettel an der Spitze souverän voraus. Begleitet von einer bangen Frage: Halten die Reifen? Sie hielten nicht. Am Sauber von Nico Hülkenberg entwich langsam Luft aus einem Pneu. Am Wagen seines Teamkollegen Esteban Gutierrez versagte der linke Vorderreifen. Nico Rosberg musste einen Sicherheitsstopp einlegen, nachdem sich an einem Reifen an seinem Wagen eine große Blase gebildet hatte, die das Auto vibrieren ließ. Sebastian Vettel wurde bei seinem letzten Boxenstopp mit der Warnung losgeschickt: "Pass auf! Wir haben den Luftdruck erhöht, um Reifenschäden vorzubeugen."

In Umlauf 46 gab es dann den nächsten Big Bang: Am McLaren von Sergio Perez zerfetzte es erneut den linken Hinterreifen. Verfolger Fernando Alonso hatte Glück, dass ihn keines der umherfliegenden Teile traf. Nicht nur für Niki Lauda, RTL-Experte und Chef des Aufsichtsrats des Mercedes-Formel-1-Teams, eine lebensgefährliche Situation. "Der kann tot sein. Wenn ihn so ein Teil bricht, reißt es ihm das Genick ab", so der 64-Jährige Österreicher. Bis zum Rennen am Nürburgring sei die Zeit für Veränderungen zu kurz. Nach der Sommerpause, am 28. Juli in Budapest, müsste es aber neues Material geben, fordert Lauda. Dafür "sollten sich jetzt auch die Fahrer zusammentun".

Tatsächlich formiert sich eine Front. "Das sind zu viele Reifenversagen. Das ist ein Problem", sagt Nico Rosberg, der nach dem Triumph in Monaco zum zweiten Saisonerfolg kam. Noch deutlicher wird sein Mercedes-Kollege Lewis Hamilton: "Solche Reifenprobleme sind inakzeptabel", sagt der 28-Jährige, "ich will mein Leben nicht für diese verdammten Reifen riskieren." Red-Bull-Teamchef Christian Horner, einst selbst Rennfahrer, meint, Pirelli müsse sich nun "einige recht ernste Fragen" stellen lassen.

Paul Hembery, der Sportchef der Reifenfirma, setzte sich noch in Silverstone mit Jean Todt, dem Chef des Automobilweltverbandes, zusammen. Offiziell äußerte Hembery aber nur: "Die Probleme, die wir heute gesehen haben, waren so nicht vorherzusehen gewesen. Wir müssen erstmal verstehen, was passiert ist. Wir nehmen das ernst."

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