Süddeutsche Zeitung

Formel-1-Rennen in Bahrain:Allenthalben in Alarmbereitschaft

Von wegen "Sport ist unpolitisch": Molotow-Cocktails, ausgebrannte Streifenwagen, rigide Sicherheitsvorschriften - der Formel 1 wird langsam klar, in welch ernsten Konflikt sie in Bahrain gerast ist. Vor dem Rennen an diesem Wochenende bekommen die Beteiligten einen Eindruck von der angespannten Situation in dem Wüstenstaat.

Elmar Brümmer, Sakhir

Der Tunnel, der ins Fahrerlager des Bahrain International Circuit führt, ist voller Graffiti. Da gibt es einen Rennwagen, der in ein flammendes Meer zu fahren scheint, einen Muezzin, der eine Zielflagge wirft. Es sind Bilder von Nachwuchskünstlern, die den Beton in der Steinwüste freundlicher machen sollen.

Doch mit den Wandmalereien ist es wie mit allem, seit sich die Formel 1 entschlossen hat, ihren vierten Saisonlauf 2012 ungeachtet des Aufstandes im vergangenen Jahr, der Menschenrechtsverletzungen und der nächtlichen Demonstrationen und Ausschreitungen im Königreich durchzuziehen: Die Dinge erscheinen durch den veränderten Kontext plötzlich in einem anderen Licht.

Auch jene im Rennzirkus, die als Schutzschild die Gesinnung "Ich bin unpolitisch" gewählt haben, kommen ins Grübeln. Allenthalben herrscht Alarmbereitschaft. Standen schon immer an jeder Highway-Ausfahrt zwei Polizei-Jeeps? Was hat der ausgebrannte Streifen- wagen zu bedeuten? Dazu immer neue Internet-Bilder und -Nachrichten von Gewalt, die schwer einzuschätzen sind. Alles mündet in die Frage, die noch längst nicht abschließend beurteilt werden kann: Wie sicher ist es für die Formel 1 in dem Inselstaat wirklich?

Das Mercedes-Team hat flugs noch einmal sein Hotel gewechselt, raus aus der Stadt, rein in eine Ferienanlage. Egal ob in der Innenstadt von Manama oder draußen am Golf - wer von der politischen Unruhelage nichts mitbekommen möchte, der muss auch nichts mitbekommen. In den Vierteln, in denen sich die etwa 2000 Formel-1-Gäste aufhalten, sei es sicher. Heißt es. Am Mittwoch gerieten auf dem Rückweg von der Rennstrecke, die 30 Kilometer südlich von Manama liegt, vier Mechaniker des Force-India-Rennstalls in eine Konfrontation zwischen Demonstranten und der Polizei.

Als der Mietwagen anhalten musste, flog ein Molotow-Cocktail und explodierte. Verletzt wurde niemand, einer aus der Crew flog am Donnerstag aber nach Hause. Nico Hülkenberg, der für Force India fährt, sagt dazu: "Allzuviel darum kümmern können wir uns nicht, denn wir können ja nichts machen."

Der Zwischenfall aber zeigt, wie viel die Sicherheitsgarantien der Veranstalter und des Automobilweltverbandes FIA wert sind. Einige Rennställe haben angeordnet, dass die Teammitglieder außerhalb des Streckenterritoriums keine Teamkleidung mehr tragen sollen, um sich nicht zusätzlich zu Zielscheiben zu machen. Mancher spürt jetzt erst richtig, dass die laut Automobilpräsident Jean Todt so neutrale Formel 1 in ihrer Rolle als Propagandavehikel in Wirklichkeit mitten in einen ernsten Konflikt gerast ist. Jede Seite will den Grand Prix für ihre Zwecke gebrauchen, das sorgt für die gefährliche Zerrissenheit.

Im Hauptquartier der National Democratic Action Society mitten in Manama findet ein Gedenken für die Märtyrer des Aufstandes im vergangenen Jahr statt, 85 Opfer zählen die linkspolitischen Regimegegner bis heute. Die Aktivisten sagen, dass sie prinzipiell nichts gegen die Formel 1 hätten: "Im Gegenteil, das Rennen ist gut für unser Land. Aber jetzt soll es zeigen, dass alles in Ordnung ist in Bahrain. Und das ist es nicht. Tränengas, Panzer, Schlägereien jede Nacht, das ist unsere Realität."

An den Promenaden finden sich überall Schilder, die den Countdown bis zum Rennen herunterzählen. Auch die Aktivisten haben ihre Zeitrechnung. Am Abend haben sich die Männer versammelt, die verhaftet und gefoltert wurden und nach internationalen Protesten wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Ihre Prozesse haben entweder vor dem Rennwochenende stattgefunden - oder sind für den Tag danach angesetzt. Zufall ist diese Terminierung wohl kaum.

"Wir machen uns auf eine weitere Runde von Repressalien gefasst, wenn die Formel 1 wieder aus dem Land ist", sagt eine Frau, deren Mann noch im Gefängnis sitzt, "alle Menschen in Bahrain leben immer noch unter einem großen Risiko."

Viele Bahrainis sind wütend, vor allem aber sind sie verzweifelt. Keine Spur von Reformen. Die sunnitischen Mitglieder der regierenden Familie haben nichts von ihrer Macht verloren, die Militärs, meist Söldner aus anderen islamischen Ländern, gehen weiterhin strikt gegen die unterdrückte schiitische Mehrheit vor. Die Siedlungen, in denen es zuletzt regelmäßig Ausschreitungen gab, sind offenbar umstellt. Dennoch gelang es am Mittwoch 200 Demonstranten, eine Formel-1-Ausstellung zu stören, bei der auch der Kronprinz anwesend war.

Die Ehefrau des hungerstreikenden Protestführers Abdelhadi al-Chawadscha greift Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone an. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte sie: "Ich bin nicht wütend auf die Regierung, denn deren Zukunft steht auf dem Spiel. Wütend machen mich Menschen wie Ecclestone, die entscheiden, nach Bahrain zu kommen, weil sie glauben, dass hier alle glücklich sind. Ich kann Ihnen versichern, dass meine Familie nicht glücklich ist."

Es ist eine unsichere Parallelwelt, in der sich die Formel 1 bewegt. Am Freitag beginnen die vor allem von revoltierenden Jugendlichen ausgerufenen "drei Tage des Zorns". Protestgruppen wollen versuchen, möglichst nah an die Strecke zu kommen. Der allgegenwärtige Slogan des Rennens, "UNIF1ED - eine Nation feiert", wird von vielen Bahrainis als Provokation aufgefasst. Die Tribünen sollen am Rennsonntag mit Freikarten für 3000 Studenten gefüllt werden. Die Bilder vom Sportfest sollen dokumentieren, dass das Land den Weg zurück zur Normalität bereits geschafft habe.

"Mit der Formel 1 wird die falsche Botschaft in die Welt geschickt", sagt einer der Sanitäter, der im vergangenen Jahr verletzten Demonstranten geholfen hatte und dafür ein halbes Jahr lang eingesperrt und gefoltert worden war: "Alle Rennwagen fahren über unser Blut." Der Mann sagt es ganz ruhig. Weil es sein Ernst ist.

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SZ vom 21.04.2012/jbe
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