Formel 1:In der Red-Bull-Garage qualmt es

Formel 1: Die Schnellsten, aber mit Abstand: Sergio Perez (2. v.re.) gewinnt den Großen Preis von Dschidda vor seinem Teamkollegen Max Verstappen (links). Zwischen den beiden steht Red-Bull-Renningenieur Ben Waterhouse und ganz rechts der lachende Drittatzierte Fernando Alonso.

Die Schnellsten, aber mit Abstand: Sergio Perez (2. v.re.) gewinnt den Großen Preis von Dschidda vor seinem Teamkollegen Max Verstappen (links). Zwischen den beiden steht Red-Bull-Renningenieur Ben Waterhouse und ganz rechts der lachende Drittatzierte Fernando Alonso.

(Foto: Bratic/Nordphoto/Imago)

Max Verstappen nörgelt an der Crew herum, Kollege Sergio Perez hat plötzlich Titel-Ambitionen: In Saudi-Arabien verfestigt sich der Eindruck, dass sich das hoch überlegene Red-Bull-Team in dieser Saison nur selbst gefährden kann.

Von Philipp Schneider, Dschidda

Die letzte Feuerwerksrakete war verpufft, die arabischen Grillen zirpten bereits, als hinter dem weißen Zelt mit der Nummer 1 ein Tross Menschen durch die Hintertür im Schatten verschwand. Es waren die schnellsten Fahrer des Tages mit ihren jeweiligen Betreuern; wobei eine Kleinigkeit auffiel: Die Teamkollegen Max Verstappen und Sergio Perez hatten es irgendwie geschafft, in dem kurzen Moment seit ihrem Abgang von der öffentlichen Bühne in Dschidda eine große Distanz zwischen sich zu bringen.

Rausgegangen aus dem Zelt, in dem sie gemeinschaftlich eine Pressekonferenz gegeben hatten, waren sie Seite an Seite. Nun lief zwischen ihnen als physische Trennwand George Russell, der Mercedes-Pilot, und es trennten sie locker zehn Meter Abstand. Das mochte Zufall sein. Vielleicht hatte sich der nun hinterherbummelnde Verstappen schnell die Schuhe zubinden müssen, eine Whatsapp geschrieben, ein Selfie geschossen oder das Kreuz des Südens in den Sternen gesucht. Ebenfalls möglich: Perez wollte nichts wie weg.

Man wird auf solche Kleinigkeiten im Verhalten der beiden Red-Bull-Piloten verstärkt achten müssen. Denn höchstwahrscheinlich ist Perez in dieser Saison der größte Konkurrent Verstappens im Kampf um den WM-Titel. Wenn nicht sogar der einzige. So erdrückend ist die Überlegenheit ihrer Boliden, dass der zweite Doppelsieg im zweiten Saisonrennen auf zwei grundlegend unterschiedlichen Strecken kein Zufall ist, sondern das Resultat eines eindeutigen Vorsprungs dank Technik.

"Selbst als wir schnell waren, waren wir nicht so schnell", staunt Mercedes-Pilot Lewis Hamilton

Selbstverständlich sind Perez und Verstappen noch weit entfernt von jenem Harmonielevel, das etwa in den Achtzigern bei Williams herrschte, als Nelson Piquet seine Spielchen mit dem empfindlichen Nigel Mansell trieb, dessen Frau als "hässlich" verhöhnte, und einmal, als Mansell Durchfall plagte, alles Klopapier von der Toilette wegräumte. Aber große Opern haben manchmal leise Ouvertüren.

Als der Rennsieger Perez und der Zweitplatzierte Verstappen am Sonntag in dem verwanzten Raum zur Vorbereitung der Siegerehrung warteten, da fingen die Mikrofone eine spitze Frage des Mexikaners ein, die noch nachhallen dürfte: "Haben sie dir nicht gesagt, dass du die Geschwindigkeit halten sollst?" Diese Anweisung war in der Schlussphase des Rennens an beide Fahrer ergangen, um die Technik zu schonen. Verstappen allerdings drehte im letzten Umlauf auf und holte sich noch die schnellste Rennrunde, als Perez vor ihm schon im Ziel war. Das brachte einen Extrapunkt, und der wiederum bringt die WM-Führung für den Weltmeister - die sonst zum ersten Mal in seiner Karriere Perez innegehabt hätte.

Warum so verbissen? Warum genügte Verstappen nicht die beruhigende Erkenntnis, dass er Perez an jedem halbwegs normalen Tag um die Ohren fährt?

Bevor die Teamkollegen das Zelt in Dschidda verließen, war ihnen als Rausschmeißer eine Frage gestellt worden: Ob sie Angst hätten, dass ihr jeweiliger Teamkollege derjenige sein könnte, den es auf dem Weg zum Titel zu schlagen gilt?

Formel 1: Red Bulls Mastermind: Adrian Newey weiß, wie man sehr schnelle Autos konstruiert.

Red Bulls Mastermind: Adrian Newey weiß, wie man sehr schnelle Autos konstruiert.

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Ach was, sagte Verstappen. Wenn das der Fall sein sollte, dann sei es doch einfach: "Uns ist es erlaubt, gegeneinander zu fahren. Also wird der Schnellere von uns als Erster ins Ziel kommen!" Und Perez meinte, wenn das der Fall sein sollte, dann wären das "fantastische Neuigkeiten" für das Team. "Denn das würde bedeuten, dass wir ganz weit vorne sind."

Ein bisschen klang das so, als habe Perez noch nicht mitbekommen, dass sein Team ganz weit vorne ist, wobei das selbstverständlich ausgeschlossen ist. Manche fürchten, es sei weiter vorn, als selbst die avantgardistischen Teams der Geschichte. "Selbst als wir schnell waren, waren wir nicht so schnell", staunte etwa Mercedes-Pilot Lewis Hamilton. "Ich denke wirklich, das ist das schnellste Auto, das ich je gesehen habe, im Vergleich zu allen anderen." Und sein Teamkollege Russell meinte: "Der Red Bull RB19 ist überlegener als jeder Mercedes in der goldenen Ära dieses Teams."

Red Bulls genialer Autokonstrukteur Adrian Newey hatte schon im ersten Jahr nach der großen aerodynamischen Reform der Formel 1 einen überlegenen Wurf präsentiert, mit dem Verstappen zu 15 Rennsiegen bretterte. Im zweiten Jahr wurde das Auto auf eine Weise perfektioniert, die die Konkurrenten grübeln lässt über der Frage, wie sie es angestellt haben, dass die Brauserennwagen so tief über den Asphalt fliegen können wie kein anderer - und dabei auch noch ruhiger auf der Straße kleben.

Wenn Verstappen und Perez Ernst machen, und das war bislang noch nie für längere Zeit nötig, dann nehmen sie ihren schnellsten Konkurrenten eine Sekunde pro Runde ab. Kein Upgrade der Welt ist dazu in der Lage, diese Lücke rechtzeitig zu schließen.

Vor lauter Ärger schwänzt Verstappen am Samstag das Team-Meeting

Jahrelang durfte Max Verstappen nur davon träumen, in einem derart überlegenen Auto zu sitzen. Als er 2021 erstmals Weltmeister wurde, war der Mercedes noch grundsätzlich besser als der Red Bull, den Titel konnte sich Verstappen letztlich nur greifen, weil ihm der damalige Renndirektor Michael Masi diesen beim umstrittenen Saisonfinale in Abu Dhabi als Geschenk mit Schleifchen drumherum überreichte. Insofern wähnten sich die Zuhörer Verstappens in Dschidda zunächst wie in einem Film mit falscher Tonspur, als sie ihn nach seinem fulminanten Ritt von Platz 15 auf Rang zwei über sein Rennfahrerdasein parlieren hörten; im Grunde glänzt die Welt bei Red Bull wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film, doch Verstappen kommentiert sie wie Colonel Kurtz ("The horror, the horror ...") aus "Apocalypse Now".

Formel 1: "Alle sind glücklich, aber ich bin nicht glücklich. Ich bin nicht hier, um Zweiter zu werden": Weltmeister Max Verstappen auf dem Weg zum zweiten Platz im Grand Prix von Saudi-Arabien.

"Alle sind glücklich, aber ich bin nicht glücklich. Ich bin nicht hier, um Zweiter zu werden": Weltmeister Max Verstappen auf dem Weg zum zweiten Platz im Grand Prix von Saudi-Arabien.

(Foto: Zak Mauger/Motorsport Images/Imago)

"Alle sind glücklich, aber ich persönlich bin nicht glücklich", klagte Verstappen. "Denn ich bin nicht hier, um Zweiter zu werden." Sicher, so ein Aufholrennen habe etwas für sich, nörgelte er weiter. "Aber wenn man um die Meisterschaft kämpft, und besonders, wenn es so aussieht, als ob es nur zwischen unseren zwei Autos ist, müssen wir sicherstellen, dass auch die beiden Autos zuverlässig sind."

Als er so düster sprach und damit auch ein bisschen Perez seine Freude über den erst fünften Rennsieg vermieste, war seine Sorge klar vernehmbar, sein Wagen könnte zwar pfeilschneller sein, zugleich aber auf dem Weg zum dritten Titel auseinanderfallen. Schon in Bahrain habe es Ärger mit der Schaltung gegeben, in Dschidda ging ihm im Qualifying die Antriebswelle kaputt. Deshalb ja Startplatz 15. Vor lauter Ärger schwänzte Verstappen am Samstag das Team-Meeting. An beiden Red Bull wurden schon am Freitag Teile des Getriebes getauscht, tatsächlich ist die Zahl der erlaubten Eingriffe pro Saison gedeckelt: "Und im Rennen hatte ich üble Vibrationen. Es gibt für mich keinen Zweifel - wir haben Arbeit."

Ex-Weltmeister Nico Rosberg findet, Verstappen sollte sich freuen, dass er ein so tolles Auto fahren darf

Als "etwas undankbar" wertete der TV-Experte Nico Rosberg, Weltmeister von 2016, die harte Kritik an den Kollegen aus der technischen Abteilung nach einem punktemäßig perfekten Wochenende. Er solle "sich lieber freuen, dass sein Team ihm so ein überlegenes Auto hinstellt". Rosberg ist der perfekte Kronzeuge. Schließlich wurde ihm selbst über Jahre von Mercedes ein überlegenes Auto hingestellt. Den Titel holte er sich in der einen Saison, in der das Auto seines Teamkollegen Hamilton ein paar entscheidende Male häufiger streikte als seins. Seither weiß man: Wenn die Verlässlichkeit nicht gegeben ist, kann sich auch der etwas weniger mit Talent gesegnete Fahrer eines dominanten Teams den Titel schnappen - und ein sogenannter Stallkrieg losbrechen.

Senna gegen Prost, Hamilton gegen Rosberg, zuletzt Vettel gegen Leclerc bei Ferrari - all diese Duelle brachten aus Sicht der Zuschauer immer wieder sonntags eine feine Würze in die Wohnzimmer. Weil sich hier Fahrer duellierten, die dem eigenen Teamkollegen den Weltmeistertitel nicht gönnten. Und damit also zu einem möglichen Szenario bei Red Bull, das in Dschidda bereits am Horizont zu erahnen war: Dieser Sergio Perez der Saison 2023, der sich darüber aufregte, dass ihm Verstappen noch im letzten Versuch den Extrapunkt wegschnappte, er wird sich nicht länger unterordnen wollen, sondern versuchen, eine einmalige Chance auf den WM-Titel zu nutzen. Den Fall mit der schnellsten Rennrunde müsse man intern noch einmal analysieren, kündigte er forsch an.

Verstappen wiederum hat ein feines Gespür dafür, wann er seinem mexikanischer Wasserträger eine mitgeben muss, damit er aus seiner Sicht nicht zu aufmüpfig wird. Im vergangenen Herbst ignorierte er eine Team-Order, Perez vorbeizulassen - obwohl er bereits als Weltmeister feststand und Perez die Punkte gut hätte gebrauchen können. Wobei Verstappen diesmal nicht einmal ein Gespür benötigte. Perez sprach sein Ziel klar aus: "Ich bin in diesem Team, um um den Titel zu kämpfen. Das ist der einzige Grund."

Verstappen braucht ein funktionierendes Auto - dann droht ihm auch nicht das Rosberg-Szenario.

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