Formel 1:Prosit auf den Nebensitzer

Nach der Stallorder von Sotschi geben sie sich bei Mercedes vor dem Rennen in Suzuka gelassen. Valtteri Bottas sagt: "Ich würde es wieder tun."

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Der Finger, der auf der roten Taste mit der Aufschrift "Tactics" liegt, für einen Moment bebend ruht, und dann gedrückt wird, ist zum Symbol für einen vermeintlichen Skandal in der Formel 1 geworden. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hatte am vergangenen Sonntag mit seinem Tastendruck Einfluss genommen auf die Taktik seines Teams, das Rennergebnis beim Großen Preis von Russland - und auch auf die Weltmeisterschaft. Valtteri Bottas, der bis dahin vor Lewis Hamilton lag, wurde von den Strategen angewiesen, den Titelkandidaten vorbeizulassen. Der Finne parierte brav vor Kurve 13. Und dank eines cleveren Fernsehregisseurs kennt nun die ganze Rennwelt die Hände von Wolff.

Nur eine Woche später und 8000 Kilometer weiter östlich macht der Grand-Prix-Zirkus in Suzuka Station, für das fünftletzte Rennen. Hamilton hat jetzt dank seines Bodyguards Bottas komfortable 50 Punkte Vorsprung auf Sebastian Vettel. Nirgendwo im Fahrerlager in der Mie-Präfektur ist Empörung über den Platztausch von Mercedes zu spüren, die herrscht vorwiegend in den sozialen Medien vor. Was geschehen ist, war weder verboten noch besonders unmoralisch. Die Fans seien trotzdem uneins wie selten, rechnet der Reporter des Formel-1-eigenen Fernsehkanals vor, die Aktion würde fifty-fifty bewertet. Lewis Hamilton, der angesprochene, erwidert ganz ruhig: "Ich bin so unentschieden wie das Publikum. Zu 50 Prozent denke ich, es war absolut richtig, die anderen 50 Prozent bedauern es." Wer nach einem Drama sucht, könnte es auf der mentalen Ebene suchen, vielleicht sogar finden: Spalten die Diskussionen den Silberpfeil-Rennstall?

Formel 1: Bloß nicht weinen, bitte! Lewis Hamilton trifft vor dem Rennen in Japan einen seiner jüngsten Fans.

Bloß nicht weinen, bitte! Lewis Hamilton trifft vor dem Rennen in Japan einen seiner jüngsten Fans.

(Foto: Ng Han Guan/AP)

Wolff, der Mann mit dem entscheidenden Finger, hatte schon nach dem Rennen ins Russland seiner Zerrissenheit Ausdruck gegeben: "Rational war es die richtige Entscheidung, aber unser Sportlerherz sagt trotzdem Nein. Doch man muss abwägen: Will ich am Sonntagabend aus verständlichen Gründen der böse Bube für viele sein, oder will ich beim Saisonfinale in Abu Dhabi als Idiot dastehen?"

Natürlich will Wolff nach Möglichkeit zum fünften Mal nacheinander beim Finale beide Titel eingefahren haben. Seit der Österreicher in der Mercedes-Rennzentrale das Sagen hat, wird für den Konzern ungewöhnlich offen kommuniziert, das hatte sich in der Ära der rivalisierenden Fahrer Hamilton und Nico Rosberg bewährt. Auch die Stallregie zu Ungunsten von Bottas wird nicht einfach als normales Geschäftsgebaren hingestellt, obwohl es genau das ist in der Formel 1.

Die Situation, die man im langen Briefing vor dem Start nicht durchgespielt hatte, war überhaupt erst eingetreten, weil man zu spät auf einen taktischen Boxenstopp von Vettel reagiert und Hamilton zu lange draußen gelassen hatte. Wolff erklärt, dass er in diesem Moment abgelenkt gewesen sei durch eine Diskussion mit dem Strategen James Vowles. Die beiden werden wissen, ob das genau so war, in jedem Fall aber war das eine klare Demonstration von Mannschaftsgeist, im Übrigen nicht zum ersten Mal: Seht her, wir sind alle Teamplayer, bei uns nehmen Chefs Fehler auf die eigene Kappe. Die letzten Mercedes- und Daimler-Lenker Jürgen Hubbert und Dieter Zetsche waren nicht nur aus politischen Gründen häufig Gäste in den Boxen. Der künftige Konzernchef Ola Källenius hatte Anfang des Jahrzehnts sogar die Verantwortung für die Rennmotoren. Es gibt Manager, die behaupten, man werde nirgendwo so sehr zu schnellen strategischen Entscheidungen gezwungen wie im Motorsport. Deshalb sei dieser eine gute Schule. Momentan hat Mercedes darin dem Rivalen Ferrari noch einiges voraus.

Unruhe können sie bei Mercedes gerade nicht gut brauchen, von Sotschi aus ging es auf dem Weg nach Japan für beide Piloten zum Zwischenstopp in der Mercedes-Rennfabrik im mittelenglischen Brackley. "Es ist der beste Mannschaftsgeist, den ich je erlebt habe", berichtet Hamilton, man habe zusammen angestoßen - auf Valtteri Bottas. Ihm selbst, dem späteren Sieger, hätten die Umstände nichts vom Glanz seines 70. Grand-Prix-Erfolges nehmen können: "Unsere Sportart ist in dieser Hinsicht anders als alle anderen, wir fahren jeder für sich um den Einzeltitel, aber es braucht immer beide Fahrer, um die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft zu gewinnen." Deshalb müsse einer für den anderen da sein. Die Rollenverteilung habe grundsätzlich nur für das eine Rennen gegolten, behauptet der Brite: "Ich bin nicht mit der Einstellung nach Suzuka gekommen, dass Valtteri einen Job für mich machen muss." Eine Frage der Piloten-Ehre. Die stellt sich natürlich noch viel mehr für den zweiten Mann.

Bottas hat schmale Lippen, als er im Mercedes-Pavillon am Suzuka Circuit auf seine Degradierung angesprochen wird. Hinter ihm stehen Schnittblumen und alte Spielzeugautos im Regal, es ist eine aufgeräumte Atmosphäre, und die passt ziemlich gut zu dem 29-Jährigen: "Was passiert ist, bedeutet nicht, dass ich kein Rennfahrer bin. Ich fühle mich wie der Sieger. Das ist alles, was für mich zählt." Intern sei allen klar, was geschehen sei und warum: "Ich bin ein Teamplayer und weiß daher, was ich zu tun habe, und wann." Er will ausdrücklich auch nichts geschenkt bekommen, falls Hamilton schon frühzeitig als Champion feststehen sollte: "Es liegt immer nur an mir selbst, ob ich gewinnen kann. Die Situation, in der ich heute bin, muss ich akzeptieren. Denn sie ist eine Folge meiner Resultate in der ersten Saisonhälfte." Bottas ist kein gebrochener Mann. Vergleiche mit dem ehemaligen Schumacher-Adjudanten Rubens Barrichello könne er nicht ziehen, er wisse nicht genau, wie das war, höre immer nur die Leute darüber sprechen. Das kann man glauben oder nicht. Tatsächlich hat der Finne eine weitaus emanzipiertere Rolle als der brasilianische Erfüllungsgehilfe damals, Stallorder sind immer eine Frage der Umstände. Felipe Massa war 2010 von der Scuderia öffentlich demontiert worden, als er die angeordnete Benachteiligung nicht einfach hinnehmen wollte.

Weitermachen, weiter so fahren rät Hamilton seinem Nebensitzer, sich selbst und der ganzen Truppe: "Wir müssen weiter Geschlossenheit demonstrieren." Auf Bottas kann er sich dabei verlassen. Bottas sagt: "Ich würde es wieder tun."

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