Hamilton siegt am Nürburgring:91 Siege und sogar ein bisschen gerührt

2020 Eifel GP NüRBURGRING, GERMANY - OCTOBER 11: Mick Schumacher presents Lewis Hamilton, Mercedes-AMG Petronas F1, 1st

Mick Schumacher überreichte Hamilton nach dessen Sieg einen Helm seines Vaters.

(Foto: imago images/Motorsport Images)

Mit seinem Sieg am Nürburgring hat Lewis Hamilton nun genauso viele Formel-1-Rennen gewonnen wie Michael Schumacher. Dessen Sohn sorgt auf dem Podium für einen besonderen Moment.

Von Philipp Schneider, Nürburg

Ach, Lewis Hamilton wollte man sein in diesem Moment. War ihm der Rekord wirklich so gleichgültig, wie er zuvor gesagt hatte? Oder hatte er sich den Tag mal in etwa so vorgestellt? Die Ereignisse, die sich nun zufällig abspielten vor einer sehr deutschen Landschaft, nicht weit entfernt von Kerpen, dem Geburtsort von Michael Schumacher?

Noch einmal flogen die Hügel der Eifel an Hamilton vorbei, mit ihren Wäldern, die Mitte Oktober ihr Laub schon in Braun und Rot getaucht haben. Hamilton raste vorbei an leibhaftigen Menschen, immerhin, nicht nur an TV-Kameras. Die Menschen saßen am Streckenrand auf den Tribünen, mit ordentlich Sicherheitsabstand zwar und in dicken Jacken. Aber es war ja in diesen ansteckenden Zeiten wahrlich keine Selbstverständlichkeit, dass nun 13 500 Augenzeugen dabei waren, als Hamilton am Nürburgring eine Rekordfahrt ins Ziel lenkte, die ihm vielleicht gar nicht so wichtig war wie den Beobachtern um ihn herum.

An dem Tag, als der sechsmalige Weltmeister einen der wichtigsten Rekorde von Michael Schumacher egalisierte, hatte er jedenfalls Zuhörer. 91 Rennsiege! Das war für viele Jahre die Bestmarke des Rekordweltmeisters aus Kerpen. Nun muss er sie sich teilen mit Hamilton. Und allzu lang wird es nicht dauern, dann wird er sie verlieren - und sich stattdessen das Rekordweltmeisterdasein teilen mit dem Briten. An dessen siebtem Titelgewinn zweifeln nur noch Phatasten.

Und was man über Hamilton weiß: Weltmeisterschaften sind ihm viel wichtiger als Rennsiege.

Hamilton stieg aus dem Silberpfeil, kletterte auf die Haube, klopfte sich dreimal auf die Brust. Dann stieg er auf die Bühne und beantwortete brav alle Fragen. Über das zurückliegende Rennen gab es keine großen Reden zu schwingen. Sein Teamkollege Valtteri Bottas, der in der Qualifikation schneller gewesen war als er, war mit einem Motordefekt ausgeschieden. Bottas wäre der einzige gewesen, der ihm am Nürburgring hätte gefährlich werden können. Und so hatte Hamilton einen kontrollierten Sieg vor Max Verstappen im Red Bull und dem Renault-Piloten Daniel Ricciardo ins Ziel gebracht. Einen Sieg, den er sich doch mit einer seiner größten Stärken verdient hatte: Er macht, wenn er vor dem Start das Regelbuch korrekt gelesen hat, weniger Fehler als seine Konkurrenten.

Hamilton stand irgendwann auf dem Podium, er sprach gerade über den guten Start, den er hingelegt hatte. Als plötzlich Mick Schumacher von der Seite auf ihn zutrat. Der Sohn des Altmeisters, dessen Trainingsdebüt in der Formel 1 am Freitag ausgefallen war, weil die Luft in der Eifel im Herbst mitunter sehr undurchsichtig ist, er überreichte Hamilton nun einen Helm seines Vaters. Das hatten sich die Veranstalter schön überlegt! Es musste ja irgendwie verhindert werden, dass dieser historische Moment nicht die Aufmerksamkeit bekommen würde, die er verdient hatte.

Hinter der Fassade seines Mundschutzes sah Hamilton doch ein bisschen gerührt aus

Menschen interessiert oft, wie sich bei anderen etwas anfühlt, was sie selbst niemals fühlen werden. Als neulich der Physiker Reinhard Genzel einen Nobelpreis für den Nachweis eines Schwarzen Loches erhielt, da wurde er auch ständig gefragt, wie sich das nun anfühle: der Nobelpreis. Genzel hatte seine ganze Karriere lang geforscht, dafür schon eine Vielzahl anderer Preise erhalten. Aus seiner Sicht folgte die Auszeichnung einer gewissen Logik. Weil Genzel aber zumindest nicht wissen konnte, ob seine Arbeit jemals so wertgeschätzt werde würde, dass sie sich auch bis zur Jury in Stockholm weitersprechen würde, war er überrascht. Hamilton? Weniger. Er wusste ja: Er musste nur warten. Wie auf den nächsten Sonnenaufgang. Gut, und weiterfahren. Wer gut ist, vielleicht der Beste, viel fährt, gerne auch mal im schnellsten Auto, der gewinnt auch weiter Rennen.

Von den britischen Journalisten ist Hamilton an diesem Wochenende oft gefragt worden, wie es sich anfühle, bald Schumachers Rekord einzustellen? Und Hamilton hat ganz nüchtern gesagt: "Ich weiß, dass der Rekord früher oder später fallen wird, denn ich höre noch lange nicht auf." Und außerdem: "Ich finde, es gibt Wichtigeres auf der Welt als diesen Rekord." So sah er das. Aber nun stand da Mick Schumacher mit dem Helm seines Vaters. Und wenn der Eindruck nicht täuschte, dann sah dieser Lewis Hamilton hinter der Fassade seines Mundschutzes doch ein bisschen gerührt aus.

"Es ist so eine große Ehre!", sagte er nun. "Ich bin aufgewachsen und habe Michael Schumacher für das, was er permanent geleistet hat, vergöttert." Erst als er nach dem Rennen von der Strecke abgebogen sei, habe er realisiert, dass ihm die große Fahrt wirklich gelungen war.

Hülkenberg? Ja, tatsächlich!

Als die Ampeln ausgingen und zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder ein Rennen gestartet wurde am Nürburgring, da stand Bottas vor Hamilton, gefolgt von Max Verstappen im Red Bull. Charles Leclerc hatte seinen Ferrari überraschend auf Platz vier gestellt, sieben Buchten vor die von Sebastian Vettel.

Und auf Platz elf beendete Vettel dann auch das Rennen. Hamilton startete etwas reaktionsschneller als Bottas, in der ersten Kurve war er einige Stoßstangen in Front und lag auf der Innenseite. Er bremste spät, beide Mercedes ließen sich weit nach außen treiben, Bottas blieb vorne. Vettel verlor eine Position - und Nico Hülkenberg verbesserte sich um drei Ränge auf 17. Hülkenberg? Ja, tatsächlich! Der nach der Vorsaison bei Renault aussortierte Rennfahrer durfte schon zum dritten Mal aushelfen. In Silverstone hatte er in zwei Rennen den am Coronavirus infizierten Sergio Perez ersetzt. Diesmal sprang er ein für dessen Kollegen Lance Stroll. "Lance saß auf dem Klo und sagte: Ich kann nicht lange genug weg von der Toilette, um einen Rennwagen zu fahren", erklärte Teamchef Otmar Szafnauer. Also schreckte er Hülkenberg am Samstag mit einem Marschbefehl in die Eifel auf, als der in einem Café in Köln saß. Einen passenden Sitz für Hülkenberg schleppen sie bei Racing Point immer mit sich rum. Hülkenberg, vom Boulevard längst "Hülkenback" getauft, startete von ganz hinten und schaffte es noch auf Rang acht.

Zusammen mit Verstappen setzten sich die Silberpfeile an der Spitze schnell ab, Leclerc konnte nicht folgen. Innerhalb von nur fünf Runden verlor er zehn Sekunden auf den führenden Bottas. Und hinter ihm machte Daniel Ricciardo Druck - nach neun Runden schob er sich vorbei.

Nach elf Runden verschätzte sich Vettel bei einem Überholversuch von Antonio Giovinazzi, er drehte sich auf der Strecke, fing den Ferrari wieder ab - und hielt dann ebenfalls an der Box, weil er seine Pneus beschädigt hatte. An der Spitze verbremste sich auch Bottas, Hamilton führte nun.

Ein Rempler von Kimi Räikkönen gegen George Russell hebelte dessen Williams von der Straße. Um den Wagen zu bergen, wurde das virtuelle Safety Car aktiviert, Hamilton und Verstappen nutzten die Chance für ihre Pausen an den Versorgungsstationen. Und Bottas? Für ihn war das Rennen nun vorbei. "Ich verliere Leistung", klagte er über Funk.

Er rollte aus mit einer Fehlfunktion an einem von zwei komplexen Elektromotoren in seinem Auto. Von nun an fuhren Hamilton und Verstappen ein sehr einsames Rennen. Sie kreisten zeitweise zwei Sekunden schneller als alle anderen, hinter ihnen klaffte sehr bald eine gewaltige Lücke. Erst der Ausfall von Lando Norris im McLaren, der das Safety Car ausrücken ließ, schob das Feld wieder zusammen. Vor dem Wiederstart hatten die Fahrer bei kühlen Herbsttemperaturen frische Reifen aufgezogen. Genau jetzt wäre die letzte Chance für Verstappen gewesen, den Führenden ein bisschen zu ärgern. Doch am Tag, als Lewis Hamilton Schumachers Rekord egalisierte, unterliefen ihm keinerlei Fehler.

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2020 Eifel GP NüRBURGRING, GERMANY - OCTOBER 08: Sebastian Vettel, Ferrari walks the track during the Eifel GP at Nürbur; Nürburgring 2020

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