Sieben Kurven der Formel 1:"Heute muss jemand über mich gewacht haben"

Lesezeit: 6 Min.

Vielleicht DIE Szene der Saison: Verstappen und Hamilton beim Crash in Monza. (Foto: Jennifer Lorenzini/Reuters)

Hamilton wird beim spektakulären Crash mit Verstappen fast von dessen Auto erschlagen. Der Niederländer hadert mit einer Strafe - und Vettel sorgt für Spannung. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Anna Dreher, Monza

Daniel Ricciardo

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

Wer gerade ein Formel-1-Rennen gewonnen hat, kann eine Pressekonferenz schon mal zur Beichte nutzen. "Jetzt kann ich es ja sagen", sagte Daniel Ricciardo am Sonntagabend. Viel Schlaf habe er nicht gehabt, er habe sich das ganze Frauen-Finale der US Open angeschaut: "Ich bin wahrscheinlich erst kurz vor eins ins Bett gegangen, ich konnte einfach nicht ausschalten. Es war toll." Emma Raducanu hatte in New York als erste Qualifikantin der Tennishistorie einen Grand Slam gewonnen, sie ist großer F1-Fan, ihr Lieblingsfahrer: Ricciardo.

Für den Australier war das Wochenende eine riesige Befreiung. "Es bedeutet alles. Ich versuche definitiv nicht, meine Lebensfreude vom Sport abhängig zu machen, sonst würde ich mich die meiste Zeit miserabel fühlen", sagte er. "Aber so ein Moment gibt dir einen Höhenflug, ich schwebe immer noch." Letztmals hatte er in Monaco 2018 für Red Bull einen Grand Prix gewonnen, danach folgte eine Durststrecke bei Renault und große Eingewöhnungsschwierigkeiten bei McLaren in dieser Saison.

Nun der Doppelsieg in Monza mit Teamkollege Lando Norris, das löste bei dem Rennstall um den bayerischen Teamchef Andreas Seidl Euphorie aus. Es war der erste McLaren-Sieg nach fast neun Jahren. Das dürfte den Kampf zwischen McLaren und Ferrari um Platz drei in der Konstrukteurs-WM befeuern - und Ricciardo neues Selbstvertrauen bringen.

Lewis Hamilton

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

Dass er nur von Platz vier startete, ärgerte Lewis Hamilton. Der Titelverteidiger will zum achten Mal Champion werden und in dieser WM, das ist längst abzusehen, zählt jeder Punkt. Das ist in dem Fall keine Plattitüde. In Monza hatte Hamilton seine Ausgangsposition bald verbessert, es sah ganz danach aus, als würde er gewinnen. Aber Sieg oder Niederlage spielte dann keine Rolle mehr.

"Der Halo hat Lewis' Leben gerettet", schrieb Mercedes. Bei einem heftigen Unfall in der 26. Runde flog der Red Bull von Konkurrent Verstappen in Hamiltons Wagen. Wäre 2018 nicht der Cockpit-Schutzbügel eingeführt worden, wäre Hamilton dabei womöglich vom Hinterreifen erschlagen worden. "Es braucht nur eine Millisekunde vom Rennfahren zu einer sehr unheimlichen Situation", reflektierte der Brite danach spürbar bewegt. "Heute muss jemand über mich gewacht haben."

Max Verstappen

Nur ein kurzer Blick: Max Verstappen zeigt nach der Kollision mit Lewis Hamilton kein Interesse daran, sicherzugehen, ob der Brite unverletzt ist. (Foto: Jerry Andre /Laci Perenyi/imago)

Bei Red Bull war nach dem spektakulären Crash zwischen Verstappen und Hamilton die Rede von einem Rennunfall. Und die generell zurückhaltende Reaktion des Teams verriet bereits, dass sich auch hier eine gewisse Nachdenklichkeit eingestellt haben dürfte um die Härte, mit der dieser Titelkampf inzwischen ausgefochten wird. Dass es überhaupt zu diesem Duell kommen konnte, führte Red Bull auf den mit 11,1 Sekunden ungewöhnlich langen Boxenstopp Verstappens zurück.

Von den Rennkommissaren wurde der 23-Jährige für das nächste Rennen in Russland mit einer Strafversetzung um drei Startplätze belegt. Das kommentierte er mit den Worten: "Ich stimme nicht voll mit der Strafe überein, weil ich glaube, es war ein Rennvorfall. Was passiert ist, ist sehr bedauerlich. Aber wir sind beide Profis und werden weitermachen."

Der Niederländer war nach der Kollision direkt aus dem Auto gestiegen, hatte nur kurz zurück geguckt und war dann über die Strecke zur Box gelaufen. Wie es Hamilton ging, der mit seinem Mercedes unter dem Heck des Red Bull im Kiesbett klemmte, prüfte Verstappen nicht näher. Eine Reaktion auf Silverstone? Hier war er nach einem ebenfalls heftigen Unfall mit Hamilton in die Streckenbegrenzung geknallt, zur Untersuchung im Krankenhaus und dann empört, wie der Brite seinen Sieg feierte. Hamilton jedoch hatte sich damals zuvor erkundigt, wie es Verstappen gehe.

Valtteri Bottas

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

"Ich will aufs Podium, das ist mein klares Ziel", hatte Valtteri Bottas vor dem Start des GP von Italien gesagt. Das ist für ihn per se eine angemessene Vorgabe, der Finne lenkt schließlich ein schnelles Auto - seit 2014 hat Mercedes die Fahrer- und Konstrukteurs-WM gewonnen. Nur hatte Bottas diesmal eine ungünstige Ausgangsposition für sein Unterfangen. Er startete von ganz hinten.

Weil der Motor seines Autos unerlaubterweise getauscht werden musste, wurde Bottas ans Ende des Feldes strafversetzt, obwohl er sich Pole geholt hatte. Am Samstag gewann er den Sprint, einen Mini-Grand-Prix über 18 statt 53 Runden, der in dieser Saison zum zweiten Mal getestet wurde und womöglich in Zukunft häufiger statt der Qualifikation die Reihenfolge für Sonntag festlegt.

Aber Bottas ließ sich durch seine Versetzung nicht abhalten. Hartnäckig arbeitete er sich Position um Position nach vorne und fuhr schließlich als Dritter tatsächlich noch aufs Podium. Das brachte ihm Lob vom Chef ein. "Valtteri war für mich der Mann der Woche", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. "Er hat eine Bombenleistung gezeigt." Das Rennen in Monza markiert gewissermaßen der Auftakt von Bottas' Abschiedstournee bei den Silberpfeilen: Seit vergangenem Montag ist bekannt, dass er ab 2022 bei Alfa Romeo fährt. So etwas kann auch befreien.

Sebastian Vettel

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

Passend zum Start des neuen James-Bond-Filmes stand in dieser Rennwoche bei Aston Martin alles im Zeichen des Geheimagenten 007. Ein großes Logo auf dem Motorhome, Aufkleber an den Autos - und dann sorgte auch noch Sebastian Vettel für Spannung. Auf Fragen nach seiner Zukunft reagierte der viermalige Weltmeister zurückhaltend. Was so interpretiert wurde, dass er womöglich nicht nur über Details seines Vertrages grübelt, sondern angesichts des ausbleibenden Erfolges ein Karriereende in Betracht ziehen könnte. Teamchef Otmar Szafnauer brachte am Samstagabend Klarheit: "Wir haben keinen Plan B, er hat keinen Plan B." Alles sei bestens. Konzentration aufs Rennen.

Hier lautete Vettels Mission, von Platz elf in die Punkte zu fahren. Er kam beim Start gut weg, verlor die gutgemachten Positionen aber wieder. Schon in der ersten Runde war klar, dass dieser Tag ein gebrauchter werden würde. Teamkollege Lance Stroll verbremste sich in einer Kurve und kam Vettel in die Quere, wodurch der merklich an Geschwindigkeit verlor. Danach folgten weitere Berührungen, auch mit Kumpel Mick Schumacher. "Das mit Mick war ein Missverständnis, ich wusste nicht, dass er so eng dran ist. Es war keine Absicht dahinter", sagte Vettel. "Da habe ich mich gerade selbst für die nächste Gerade in Position gebracht. Das war vielleicht überraschend für ihn." Am Ende wurde Vettel Zwölfter - von insgesamt 15.

Mick Schumacher

(Foto: Andy Hone/imago)

Auch in der zweiten Saisonhälfte hat der US-amerikanische Rennstall Haas nichts mit der Punktevergabe zu tun. Duelle auf der Strecke tragen Mick Schumacher und Nikita Masepin meist gegeneinander aus - was die Stimmung nicht gerade entspannt. Zumal Masepin mit gefährlichen Manövern, aggressivem Fahrstil und Uneinsichtigkeit auffällt. Das wird mehr und mehr zu einem Problem. In Monza führten Fahrer und Teamchef wieder Gespräche. "Ich denke nicht, dass es etwas Persönliches ist, es sind die Umstände. Sie kämpfen nur gegen sich, gegen keinen anderen", sagte Günther Steiner, dessen Strategie statt einer Stallorder vorsieht, "aufzuzeigen, was hartes, aber sauberes Rennfahren ist".

Nun kam es erneut zu einem Vorfall. Schumacher und Masepin kollidierten in einer Kurve, woraufhin sich der Haas des Deutschen drehte und rückwärts auf der Strecke zum Stehen kam. Von den Rennkommissaren wurde der Russe dafür mit einer Fünf-Sekunden-Strafe bestraft, später schied er mit einem Defekt aus - und zeigte sich einsichtig: "Das war absolut mein Fehler. Es tut mir sehr leid, dass ihm das passiert ist."

Schumacher selbst reagierte gelassen. "Im Endeffekt hat uns das keine Position gekostet", sagte der 22-Jährige, der als Letzter ins Ziel kam. "Wir haben das teamintern besprochen, für mich ist das okay." Was ebenfalls noch teamintern ist: Wie es bei ihm in der F1 weiter geht. Haas und er seien, so viel verriet Schumacher, bei den Vertragsverhandlungen in der finalen Phase.

Das letzte Cockpit

(Foto: Bryn Lennon/Getty Images)

Valtteri Bottas zu Alfa Romeo, George Russell zu Mercedes, Alex Albon zu Williams, Vertragsverlängerungen von Pierre Gasly und Yuki Tsunoda bei AlphaTauri - das Fahrerkarussell hat sich in dieser Woche schwungvoll weitergedreht und bei manchem Rennfahrer die Hoffnung auf ein F1-Cockpit geschmälert. Da davon auszugehen ist, dass Sebastian Vettel und Lance Stroll auch 2022 die Paarung bei Aston Martin bilden werden und Mick Schumacher weiter mit Nikita Masepin bei Haas fahren dürfte, bleibt nur noch ein Platz offen: Wer wird der neue Kollege von Bottas?

Frederic Vasseur, Teamchef bei Alfa Romeo, sagte im Juli, er sei für jegliche Option offen. In dieser Saison fahren der Italiener Antonio Giovinazzi und der Finne Kimi Räikkönen für ihn. Letzterer beendet zum Jahresende seine Karriere, der Vertrag von Giovinazzi läuft aus. Ferrari hat als Alfa-Motorenlieferant Interesse daran, dass es zu einer Verlängerung des Scuderia-Reservefahrers kommt.

Derzeit werden jedoch dem Chinesen Guanyu Zhou die größten Chancen eingeräumt. Der 22-Jährige gehört zur Renault-Nachwuchsakademie, fährt in seiner dritten Formel-2-Saison um den Titel und würde wohl eine Sponsoren-Mitgift von etwa 30 Millionen Euro mitbringen. Sollte er tatsächlich in die Königsklasse aufsteigen, wäre Zhou der erste chinesische Stammpilot.

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