Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:Der rasende Nyck de Vries

Der Debütant erhält den Notruf, springt sofort ein und wird Fahrer des Tages. Verstappen erträgt die Pfiffe und Vettel sagt: "Schlimmer kann es nicht werden." Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Monza

Ferrari

Würde man das Herzblut-Rot und das Modena-Gelb mischen, käme wohl so etwas heraus wie das Orange, das für Max Verstappen steht. Ferrari zelebrierte dennoch ein großes Heimspiel, beging den 75. Geburtstag seiner Sportwagen-Produktion und das 100-Jährige von Monza durchaus stilvoll. Firmen-Präsident John Elkann räumte zum Titelgewinn noch eine Fristverlängerung bis 2026 ein, Charles Leclerc tat mit seiner Pole-Position und dem zweiten Rang im Rennen, was er konnte.

Die mehr als 100 000 Ferraristi im Königlichen Park waren am Ende dennoch enorm frustriert, sie sahen sich durch das hinter dem Safety-Car beendet Rennen um eine letzte Siegchance gebracht. "Eine Freigabe wäre die bessere Show gewesen", sagt Teamchef Mattia Binotto. Aber Sicherheit und Regeln gehen nun mal vor Wunschdenken. Leclerc, dessen Teamkollege Carlos Sainz von Rang 18 aus noch Vierter wurde, haderte mit der nicht mehr erfolgten Wiederfreigabe des Rennens: "Das war frustrierend für mich." Er saß am Ende passend dazu mit einem schwarzen Oberteil da.

Max Verstappen

Die Buhrufe und die Pfiffe des frustrierten italienischen Publikums kann der 24-jährige Niederländer locker wegstecken: "Die Atmosphäre war für mich nicht so toll. Aber es ist wie es ist." Das im Wortsinn erhebende Gefühl, über Zehntausenden Fans in der Boxengasse zu schweben und zum ersten Mal einen Sieg in Monza eingefahren zu haben, schlägt alles. Auch für Red Bull Racing ist es im Autodromo eine Rückkehr nach langer Zeit, letzter Sieger für den Rennstall hier war 2013 Sebastian Vettel.

Besondere Bedeutung hat der elfte Saisontriumph für Verstappen, da er mit 116 Punkten Vorsprung auf Leclerc in der WM-Wertung nun schon in drei Wochen in Singapur den ersten Matchball für die Titelverteidigung hat. Passend dazu reflektiert er über seinen fünften Sieg in Serie: "Man muss versuchen, so perfekt wie möglich zu sein - und bei den meisten Gelegenheiten in dieser Saison waren wir ziemlich gut darin."

Nyck de Vries

Der beste Rat an den Formel-1-Debütanten aus den Niederlanden kam von seinem Landsmann Max Verstappen: "Hör einfach nicht auf die anderen, genieße es lieber." Freitags war der ehemalige Formel-2-Champion und amtierende Formel-E-Weltmeister noch ein Training im Aston Martin gefahren, samstags erreichte ihn ein Notruf des Williams-Rennstalls. Dort war der Thailänder Alex Albon wegen einer Blinddarmoperation ausgefallen. Umsteiger de Vries, der Ersatzpilot für alle Mercedes-Teams ist, fand sich schnell zurecht und startete begünstigt durch die vielen Strafen für andere als Neunter.

In der Nacht vor seinem Debüt hat er dann kein Auge zugemacht. Doch dem 27-Jährigen machten weder die Schlaflosigkeit noch die mangelnde Fahrpraxis im Tempodrom von Monza etwas aus, er hielt seine Position bis zum Schluss - und gilt mit diesem rasenden Bewerbungsschreiben als Aspirant für ein fixes Cockpit in der kommenden Saison. Beim ersten Auftritt "Fahrer des Tages" zu werden, ist jedenfalls keine schlechte Empfehlung.

Sebastian Vettel

Für den vierfachen Weltmeister ist es der Abschied von den europäischen Rennstrecken, und der fällt entsprechend traurig aus. Schon den elften Startplatz betrachtet der Heppenheimer als geschenkt, da sein Aston Martin einmal mehr indiskutabel ist. Aber Aufgeben ist nicht, schon gar nicht auf jener Rennstrecke, auf der er 2008 sein allererstes Formel-1-Rennen gewinnen konnte: "Ich denke zwar nicht ständig daran, aber dieser Erfolg bleibt immer etwas Besonderes. Es war ein bisschen wie ein Wunder, ein Märchen."

Ganz im Gegensatz zum aktuellen Rennen: Nach nur zwölf Runden musste der 35-Jährige sein Auto abstellen, zum Arrivederci in Italien gab es für den ehemaligen Ferrari-Piloten lediglich eine virtuelle Safety-Car-Phase. Ausfallgrund war die mangelnde Energierückgewinnung. Beim Motor, nicht beim Fahrer. Vettel lakonisch: "Schlimmer kann es nicht mehr werden." Gut, dass in sechs Rennen Schluss ist.

Mick Schumacher

Freitags nur neun Trainingsrunden, samstags lediglich acht, dazu Strafen für reichlichen Teilewechsel: Die Unzuverlässigkeiten beim Haas-Rennstall legen dem Deutschen, der um seinen Verbleib in der Formel 1 kämpft, mal wieder reichlich Steine in den Weg. Mit Rang zwölf von Startplatz 17 aus zeigt Schumacher allerdings, dass er immer besser in Fahrt kommt. Sein Problem für die Zukunft sind nicht die eigenen Leistungen, es ist der Mangel an Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Kaum einer, der es Schumacher junior nicht gönnen würde, nach zwei harten Ausbildungsjahren in der Königsklasse zu bleiben.

Prinzipiell bleiben ihm Möglichkeiten bei Alpine oder Williams, oder aber die Weiterbeschäftigung bei Haas. Der so oft grantelnde Teamchef Günther Steiner lobte seinen fleißig überholenden Schützling, auch im Wissen um das mangelnde Spitzentempo des eigenen Autos: "Er hat einen fantastischen Job gemacht!" Was das Kompliment wirklich wert ist, wird sich noch zeigen.

Königin Elizabeth II.

Beim ersten Formel-1-Rennen der Geschichte, im Mai 1950 in Silverstone, spielte eine Grenadiergarde "God Save the King" zu Ehren des britischen Königs George VI. Der hat die unbeschwerten Prinzessinnen Elizabeth und Margret mit zum Grand Prix gebracht; diese thronen auf dem Grünstreifen, werden von mit Sand gefüllten Ölfässern und Strohballen beschützt. 72 Jahre später ist die Betroffenheit über den Tod der Monarchin groß im Fahrerlager von Monza, sieben der zehn Rennställe stammen von der Insel. So gibt es vor dem Training am Freitag, aber auch sonntags vor dem Großen Preis eine Schweigeminute. Fast alle Rennwagen erinnern mit Zusatzlackierungen an die Queen, Mercedes hat seine Startnummern schwarz eingefärbt. Rekordweltmeister Lewis Hamilton ist einer von vier Formel-1-Piloten, die für ihre Verdienste von den Windsors geadelt wurden - nach Sir Stirling Moss, Sir Jack Brabham und Sir Jackie Stewart.

Fernando Alonso

Als Motorenflüsterer gilt der Spanier nicht unbedingt, er kennt nur ein Tempo: volle Fahrt. Früh in Monza spürte er jedoch, dass am Alpine-Renault irgendwas nicht rund lief. Mitte des Rennens wird er an die Box gerufen, kein Wasserdruck mehr. Wie ärgerlich, nach zehn Platzierungen erstmals keine Punkte für den 41-Jährigen, der kommende Saison Vettels Nachfolger bei Aston Martin wird. Dennoch wird der italienische Grand Prix ein besonderer für ihn bleiben: Es war der 350. Grand Prix Alonsos, damit stellt er den Ausdauer-Rekord seines früheren Ferrari-Teamkollegen Kimi Räikkönen ein. Da er bei seinem neuen Rennstall einen Vertrag bis Ende 2024 unterschrieben hat, kann er sogar die 400er-Marke noch knacken. Schafft er es noch zweimal aufs Podium, hätte er auch 100 Podestplätze erreicht.

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