Formel 1:Vom Heiligenschein gerettet

Formel 1: Erst Detail-Ansichten offenbaren, wie gefährlich die Kollision mit Max Verstappen für Weltmeister Lewis Hamilton gewesen ist - und wie sehr der Cockpitschutz "Halo" ihn schützte.

Erst Detail-Ansichten offenbaren, wie gefährlich die Kollision mit Max Verstappen für Weltmeister Lewis Hamilton gewesen ist - und wie sehr der Cockpitschutz "Halo" ihn schützte.

(Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Mit der Kollision in Monza erreicht das Duell der WM-Konkurrenten Hamilton und Verstappen die nächste Stufe. Nur der Cockpitschutz verhindert eine Tragödie.

Von Anna Dreher, Monza

Lewis Hamilton sprach leise, er wirkte nachdenklich. Was am Sonntag beim Formel-1-Rennen in Monza passiert ist, ging ihm nahe. Das war am Abend deutlich zu merken. "Ich bin so dankbar, dass ich noch hier bin", sagte Hamilton. "Ich fühle mich unglaublich gesegnet, dass heute jemand auf mich aufgepasst hat." Er verspüre Schmerzen im Nacken, die stärker geworden seien, seit der Adrenalinschub nachgelassen habe. Dass er bloß über Nackenschmerzen klagte, ja, dass er überhaupt darüber sprechen konnte, war großes Glück. Denn dieses Rennen hätte eine tragische Wendung nehmen können. Wie tragisch, wurde den Beteiligten nach und nach bewusster.

Beim großen Preis von Italien kam es in der 26. Runde in der ersten Schikane des Autodromo Nazionale zum Rad-an-Rad-Duell zwischen Hamilton und Max Verstappen. In der Weltmeisterschaft trennen die beiden fünf Punkte, der Titelkampf ist aufgeladen und wird immer hitziger geführt. Keiner der beiden wollte auch nur einen Zentimeter nachgeben. Verstappen fuhr in der Kurve über die Curbs, die Autos berührten sich, sein Red Bull hob ab und flog mit dem Heck in den Mercedes, während sie ins Kiesbett rutschten. Durch die Dynamik wurde der Wagen derart gedreht, dass das rechte Hinterrad über Hamiltons Kopf herunterfiel und drüber rollte.

"Ich glaube, ich bin noch nie von einem Auto am Kopf getroffen worden. Das ist ein ziemlicher Schock für mich", sagte der 36-Jährige, nachdem er sich Unfallbilder angeschaut hatte. "Wir nehmen da draußen ständig Risiken auf uns. Aber nur, wenn wir so etwas erleben, realisieren wir, wie zerbrechlich wir sind."

Hamilton hatte sich instinktiv geduckt. Doch vor einer schweren Verletzung, womöglich sogar vor dem Tod bewahrt hatte ihn nicht seine schnelle Reaktion. Sondern vor allem der Cockpitschutzbügel Halo, der "Heiligenschein", der noch zwischen Mensch und Maschine stand. Das wusste Hamilton: "Gott sei Dank gibt es den Halo. Das hat mich letztlich gerettet", und das wusste auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff: "Der Halo hat heute definitiv Lewis' Leben gerettet. Sonst wäre das ein schrecklicher Unfall gewesen, darüber will ich gar nicht nachdenken."

Hamilton stand dem Schutzbügel zu Beginn skeptisch gegenüber

Zur Saison 2018 war der Halo vom Automobilweltverband Fia eingeführt worden. Nach zahlreichen schweren Unfällen wollte die Formel 1 die Sicherheit ihrer Fahrer erhöhen. Manchen ging das zu weit, es gab viele Diskussionen, in denen es um die Identität und den Kern der Motorsportserie ging. Puristen störten sich an dem Eingriff in die gewohnte Cockpit-Konstruktion. Hamilton selbst zählte anfangs aus ästhetischen Gründen zu den Skeptikern, bis er befand: "Der Halo erhöht die Überlebenschance um 17 Prozent. Das können wir nicht ignorieren." Nun wurde ihm der Wert des Halo auf höchst drastische Weise gezeigt. Und die Formel 1 bekam erneut verdeutlicht, was manchmal verdrängt wird: wie schnell alles vorbei sein kann.

Formel 1: Gezeichnet von dem Unfall: Lewis Hamilton stand zunächst unter Schock und versuchte, den Rückwärtsgang einzulegen, um weiterzufahren.

Gezeichnet von dem Unfall: Lewis Hamilton stand zunächst unter Schock und versuchte, den Rückwärtsgang einzulegen, um weiterzufahren.

(Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Das Rennen hatte Daniel Ricciardo vor Lando Norris und Valtteri Bottas (Mercedes) gewonnen. Für McLaren mit dem deutschen Teamchef Andreas Seidl war es der erste Sieg nach neun Jahren, dann auch noch ein Doppelerfolg - was für ein Comeback. Doch diese Geschichte geriet in den Hintergrund angesichts der Dramatik des Unfalls und der nächsten Stufe, die damit in der Rivalität zwischen dem Briten und dem Niederländer erreicht ist.

Schon vor diesem Wochenende in Italien waren Vergleiche gezogen worden zu Ayrton Senna und Alain Prost, die sich ab Ende der Achtziger einen bis heute beispiellos hart geführten Zweikampf lieferten. Hamilton und Verstappen nähern sich diesem Level an. Beide können in dieser Saison Weltmeister werden. Hamilton wäre dann mit acht Titeln Rekordhalter, sein derzeit in der WM führender Kontrahent erstmals Champion.

Wie sehr beide reüssieren wollen, wird seit Saisonbeginn deutlich und gipfelte in Silverstone im ersten schweren Unfall. Auch dort kam es in einer Kurve zu einem Rad-an-Rad-Duell, Hamilton hielt mit einem Manöver dagegen, der Red Bull wurde von der Strecke abgebracht und knallte mit 290 Stundenkilometern in einen Reifenstapel. Verstappen wurde in einem Krankenhaus untersucht, während Hamilton gewann. Die Vorfälle dort spielten in Monza wieder eine Rolle.

VERSTAPPEN Max F1 Team Red Bull Racing beim Crash mit HAMILTON Lewis Team Mercedes AMG F1 Formel one GP von Italien 202

Nur ein kurzer Blick: Max Verstappen zeigt nach der Kollision mit Lewis Hamilton kein Interesse daran, sicherzugehen, ob der Brite unverletzt ist.

(Foto: Jerry Andre /Laci Perenyi/imago)

Nach Silverstone zeigte sich Verstappen gekränkt, dass Hamilton seinen Sieg feierte, während er gecheckt wurde. Dieser wusste zu dem Zeitpunkt jedoch bereits, dass der 23-Jährige okay war. Doch auch ein Anruf von Hamilton milderte den Groll von Verstappen nicht. Als nun in Monza die Autos zum Stehen gekommen waren, stieg der Niederländer schnell aus und blickte nur kurz zur Seite, bevor er über die Strecke auf direktem Weg zu seiner Box ging.

Diese Ignoranz irritierte Hamilton: "Ich habe Max gesehen, wie er einfach vorbeiläuft. Das hat mich überrascht. Bei solchen Unfällen will man doch sichergehen, dass es dem anderen gutgeht." War diese Reaktion eine Revanche? "Alle bringen das mit Silverstone in Verbindung, aber das hatte nichts damit zu tun", entgegnete Verstappen: "Ich habe gesehen, dass er noch versucht, den Rückwärtsgang einzulegen." Seine Schlussfolgerung: "Dann muss er ja okay sein."

In einem Punkt sind sich Red Bull und Mercedes bei der Aufarbeitung der Vorkommnisse einig

In Silverstone hatten die Rennkommissare die Schuld bei Hamilton gesehen und belegten ihn mit einer Zehn-Sekunden-Strafe. Die Reaktion von Red Bull fiel deutlich aus, Motorsportberater Helmut Marko forderte: "So ein rücksichtsloses, gefährliches Verhalten gehört mit einer Sperre oder Ähnlichem bestraft." Für Mercedes handelte es sich damals um einen normalen Rennvorfall. Eine Argumentation, die nun wiederum die auffällig zurückhaltende Gegenfraktion wählte.

In Monza machten die Stewards Verstappen als Hauptschuldigen aus. In ihrem Urteil hieß es, dass Hamilton 50 Meter vor der Kurve deutlich vorne gefahren und in Kameraaufnahmen zu sehen sei, dass er versucht habe, den Unfall zu vermeiden. Verstappens Überholversuch kam aus ihrer Sicht zu spät, die Kurve gehörte Hamilton. Beim nächsten Rennen in Russland am 26. September wird er um drei Startplätze nach hinten versetzt. "Ich stimme nicht voll mit der Strafe überein, weil ich glaube, es war ein Rennvorfall", sagte der Niederländer. "Was passiert ist, ist sehr bedauerlich. Aber wir sind beide Profis und werden weitermachen."

Wolff mahnte noch, dass es nicht zu "taktischen Fouls" im Titelkampf kommen dürfe. Was hinterher Red Bull wie Mercedes feststellten: Entscheidend für das alles waren Probleme beim Reifenwechsel. Zunächst stand Verstappen11,1 Sekunden in der Box - eine Ewigkeit, vor allem für seine sonst so schnelle Crew. Zwei Runden später parkte Hamilton mit vier Sekunden etwa doppelt so lange wie üblich. Wahrscheinlich wäre es sonst nie zu einer derartigen Dramatik in Monza gekommen.

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