Formel 1:Mit der Kraft Indiens

Kleine Teams ganz groß, harte Reifen schnell weich: Das Durcheinander in der Formel 1 lässt Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel immer noch auf den Titelgewinn hoffen.

René Hofmann

Seit zwei Jahren leistet sich Vijay Mallya, der sehr viel Geld geerbt und dieses in eine Brauerei sowie eine Fluglinie investiert hat, ein Formel-1-Team. Vijay Mallya pflegt einen nicht ganz bescheidenen Stil: Goldringe an den Fingern, Brillanten im Ohrläppchen und in einem Mittelmeerhafen eine Luxusyacht. Entsprechend trägt auch sein Team einen nicht ganz bescheidenen Namen: Force India, Kraft Indiens. Die ganze Nation sei happy, verkündete Mallya schon vor dem Großen Preis von Belgien, den sein Pilot Giancarlo Fisichella von der Pole-Position aus angehen durfte. Und nachdem Fisichella das Rennen auf Platz zwei hinter Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen beendet hatte, klang er kaum anders: "Ich bin geschockt", stammelte Mallya, "ich brauche jetzt erst einmal ein Bier."

Formel 1: Sebastian Vettel zeigte mit seinem dritten Platz beim Rennen in Spa als einziger Titelkandidat Normalform. In der Formel-1-Meisterschaft rechnet er durchaus mit Titelchancen.

Sebastian Vettel zeigte mit seinem dritten Platz beim Rennen in Spa als einziger Titelkandidat Normalform. In der Formel-1-Meisterschaft rechnet er durchaus mit Titelchancen.

(Foto: Foto: getty)

Für eine große Party aber war der Rennstall kaum gerüstet. Vom Grand Prix in Valencia am Sonntag zuvor hatte es das Motorhome nicht rechtzeitig nach Spa geschafft. Und so residierte die Mannschaft des schillernden Millionärs zwischen den glänzenden Bauten der Konkurrenz in einem mobilen Provisorium, das an ein eilig aus Ersatzteilen zusammengezimmertes Vorzelt erinnerte. Statt Sponsorenlogos prangte nur eines an der Tür: der Hinweis, dass zum Erfolgsumtrunk wirklich nur geladene Gäste willkommen seien. Immerhin: Die Warnung war in sechs Sprachen ausgeführt. Wer in Spa sein erstes Formel-1-Rennen sah, musste zu dem Schluss kommen: Dieser Zirkus ist ein kurioser Haufen.

Als die Saison begann, fuhr Jenson Button in seinem BrawnGP alles in Grund und Boden. In den ersten sieben Rennen verbuchte der Brite sechs Siege. Seitdem aber ist er mächtig aus dem Tritt gekommen. Nach seinem Erfolg Anfang Juni in der Türkei hat es nun in sechs aufeinanderfolgenden Rennen sechs unterschiedliche Sieger gegeben, wobei die Reihung am Sonntag die bislang überraschendste war: Räikkönen gewann nach 25 Rennen wieder einmal - und das in einem Ferrari, dessen Entwicklung bereits seit Wochen ruht. Nach dem Unfall von Felipe Massa Ende Juli in Ungarn beschloss die Scuderia, das Jahr abzuhaken und alle Kräfte für 2010 zu bündeln. "Wir werden sicher von nun an nicht reihenweise gewinnen", gab sich Räikkönen denn auch bescheiden.

"In diesem Jahr ist die WM etwas verrückt"

Fisichellas Hoch kam noch überraschender. Force India fuhr bisher ausschließlich hinterher. Das Team hat im Winter nicht alle Testtage genutzt und es wird im Laufe der Saison nicht alle Aerodynamik-Ausübungen ausschöpfen, die erlaubt sind. Es hat weniger Geld und weniger Angestellte als die Konzernteams - und dennoch hätte es in Spa das Zeug zum Sieg auf dem als Referenzstrecke geltenden Kurs gehabt.

"Man kann nicht immer alles erklären", sagte Fisichella (36) und versuchte erst gar nicht, seine erste Punktefahrt 2009 zu erklären. Auch Sebastian Vettel, der Dritter wurde und als einziger Titelkandidat einigermaßen Normalform zeigte, war überrascht, mit wem er aufs Podest durfte. "Wenn ich als Kind Formel 1 geschaut habe, war das immer etwas langweilig. Man wusste nach dem ersten Rennen, wer gut sein würde", sagte der Dritte des WM-Klassements, "in diesem Jahr ist die WM dagegen etwas verrückt."

Hinter Vettel bogen die BMW-Piloten Robert Kubica und Nick Heidfeld in den Parc Fermé. Die beiden hatten in der Qualifikation eine ungewöhnliche Erfahrung gesammelt. Reifenlieferant Bridgestone bringt zu jedem Rennen zwei unterschiedlich harte Gummimischungen. In der Regel ist die weichere schneller, zudem kommt sie schneller auf Betriebstemperatur. In Belgien war es umgekehrt - zumindest bei BMW. "Das", staunte Sportchef Mario Theissen, "hatten wir noch nie." Das Reifenkuriosum war der Grundstein für den Erfolg der weiß-blauen Autos, wie es der Grund für das Dilemma der beiden BrawnGP war. Die WM-Führenden Jenson Button und Rubens Barrichello bekamen ihre Pneus nicht zum Kleben. Die Folge davon waren schlechte Startplätze. Und die Folge davon war, dass die beiden früh in Gerangel verwickelt wurden, die ihnen eine satte Punkte-Ernte verwehrten.

Derlei Kettenreaktionen lassen sich in der Formel 1 häufiger beobachten. Wieso aber nach zwei Dritteln der Saison die Rangfolge komplett durcheinandergewirbelt wurde, können selbst die Experten kaum erklären. Der Hauptgrund für das Phänomen dürfte das grundlegend geänderte Reglement sein. "Wenn es neue Regeln gibt, gibt es viele Bereiche, in denen Neues ausgetestet werden kann", sagt BMW-Oberingenieur Theissen. Weil das Feld seit Anfang der Saison außergewöhnlich eng beisammen liegt, lassen sich schon mit kleinen Entwicklungssprüngen viele Plätze gewinnen. Die neue Unübersichtlichkeit hilft bislang vor allem Button. Obwohl er seit fünf Rennen ohne Podiumsplatz ist, beträgt sein Vorsprung immer noch 16 Punkte.

Das nächste Rennen findet am 13. September in Monza statt. Die Strecke dort hat eine einmalige Charakteristik: Es gibt kaum langsame Kurven. Der Italien-Grand-Prix brachte schon oft Überraschungen. Zuletzt im vergangenen Jahr. Damals gewann Sebastian Vettel dort im unterlegenen Toro Rosso sein erstes Formel-1-Rennen.

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