Irgendwann hatte Lewis Hamilton genug. Er war offenkundig genervt von dem weiß-roten Flitzer vor ihm, der ihn partout nicht vorbeilassen wollte und ihm immer dann wieder entwich, wenn er dachte, er hätte ihn sich endlich perfekt bereitgelegt zum Überholen. Hamilton funkte seinen Frust an das Mercedes-Team: "Das Auto vor mir hat jetzt bestimmt schon vier Mal die Strecke verlassen."
Das Auto vor mir? Warum so anonym?
Es klang fast so, als wisse er gar nicht, wer dort im Wagen vor ihm am Steuer saß. Möglicherweise aber war er auch verwirrt, weil ja gleich beide Haas vor ihm flohen. Weiter vorne Kevin Magnussen, dahinter Mick Schumacher - in dem Auto vor ihm. Zunächst schützten sich die Teamkollegen gemeinschaftlich vor Hamiltons Attacke im sogenannten Sprint, jenem noch immer recht neuen Rennformat, in dem über 100 Kilometer Distanz die Startaufstellung für den Grand Prix am Sonntag ausgefahren wird. Immer wieder fuhr der schnellere Schumacher so dicht auf Magnussen auf, dass er im sogenannten DRS-Fenster lag. Das berechtigte ihn dazu, den Heckflügel ebenso flach zu stellen wie sein Verfolger Hamilton und ihm so zu entwischen.
Schumacher bat im Funk um Hilfe von Magnussen. Die blieb allerdings aus
100 Kilometer, das entspricht in Spielberg 23 Runden. Und über die Hälfte von ihr verteidigte Schumacher mit dieser Taktik gegen den siebenmaligen Weltmeister seinen achten Platz. Zwei Umdrehungen vor Schluss jedoch musste er Hamilton doch vorbeiziehen lassen. Weil er den direkten Anschluss an Magnussen verloren hatte. Die Haas-Piloten hatten sich duelliert, und als sich deshalb der Abstand zwischen Schumacher und Magnussen kurzzeitig so sehr vergrößerte, dass er aus dem DRS-Fenster gefallen war, da schoss Hamilton an ihm vorbei. Kurz zuvor hatte Schumacher seinen Garagennachbarn Magnussen noch gebeten, sich zurückfallen zu lassen, um ihm zu helfen. Das tat er allerdings nicht. Dafür rechtfertigte sich der Däne mit dem Argument, es sei ohnehin zu spät gewesen, Hamilton habe schon vorne gelegen.
Dieser Sprint in Spielberg war geprägt von Reibereien zwischen Teamkollegen - nicht nur bei Haas, auch bei Ferrari. Denn als schließlich der Sieger Max Verstappen im Red Bull noch vor den beiden Ferraris von Charles Leclerc und Carlos Sainz die Ziellinie querte, da mussten sich auch die rot gekleideten Fahrer der bohrenden Frage stellen, ob sie nicht vielleicht besser gemeinsam gegen den Niederländer gefahren wären, statt sich auf der Strecke ununterbrochen zu piesacken. In dieser Reihenfolge starten sie entsprechend am Sonntag (15 Uhr) in das Hauptrennen. Aber Verstappen baute seinen Vorsprung in der WM-Wertung schon mit dem Sieg im Sprint weiter aus. Mit nun 189 Zählern liegt er 38 Punkte vor seinem Teamkollegen Sergio Perez (151) und 44 vor Leclerc (145).
Als Schumacher schließlich vor die Kamera von Sky trat, sah er sehr angefressen aus. "Der Kampf mit Lewis hat Spaß gemacht. Aber es hätte ihn gar nicht geben sollen", klagte er: "Ich hatte das Gefühl, dass ich schneller war. Ich weiß nicht, warum das Team nicht dieses Gefühl hatte." Aus seiner Sicht wäre es schlauer gewesen, Magnussen hätte ihn passieren lassen. Dann hätten sie gemeinsam die Plätze sieben und acht verteidigt. "Im Endeffekt haben wir deshalb Punkte verloren." Sein Chef Günther Steiner sah das anders. Er hatte eine "sehr gute" Teamleistung erlebt und meinte: "Leider ist für Mick kein Punkt rausgekommen, aber was heute nicht ist, kann ja morgen passieren."
Ob auch Ferrari Zähler liegen ließ, ist nicht sicher, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Offensichtlich war mal wieder, dass der Kommandostand der Italiener großen Wert darauf legte, bloß keinen seiner Fahrer zu bevorzugen. Auch nicht den nach Punkten führenden Leclerc. Gleich nach dem Start hatte Sainz den Monegassen überholt, der konterte wenig später, als Sainz damit beschäftigt war, sich an Verstappen vorbei zu schieben. Und dieses Duell zog sich über den gesamten Sprint. Indem sie ihre Fahrer an der langen Leine ließen, riskierte Ferrari nicht nur Punkte, sondern selbstverständlich auch einen Crash. "Ich will das nicht kommentieren, aber wir nehmen es dankbar an", sagte Red-Bull-Berater Helmut Marko zu den Szenen und schmunzelte. Als sich Leclerc endlich Sainz' entledigt hatte, da war Verstappen bereits auf und davon.
Und Mercedes? Hamiltons Aufholversuch von Rang neun wurde gleich nach dem Start von Pierre Gasly gestört, als der Franzose gegen sein Vorderrad rumpelte. Grundsätzlich waren die Silberpfeile wie zuletzt in Silverstone auch in der Qualifikation in Spielberg wieder schnell gelaufen. Allerdings diesmal etwas zu rasant. Beide waren sie bei der Zeitenjagd von der Strecke abgeflogen, die diesmal nur die Startreihenfolge des Sprints definiert hatte. Erst Hamilton, der seitlich in die Bande krachte. Kurz darauf auch George Russell, der sein Heck in die Absperrung bohrte.
"Es sah aus, als hätten wir zwei Lego-Autos am Boden liegen", witzelt Mercedes-Teamchef Toto Wolff
Weil nach der Qualifikation die Regeln des Parc fermé gelten, blieb den Mechanikern nicht viel Zeit, um die Rennwagen am Samstagmorgen noch vor dem zweiten freien Training zu reparieren. Erst drei Stunden vor den Übungsfahrten durften sie damit beginnen zu schrauben. Was allerdings nicht untersagt war: Schon mal alle Teile in der Garage auszulegen, damit das Montieren schneller von der Hand gehen würde. "Es sah aus, als hätten wir zwei Lego-Autos am Boden liegen", witzelte Toto Wolff. Und angesprochen auf das Duell mit Schumacher relativierte der Mercedes-Teamchef: "Mick hat schon hart verteidigt." Aber das größere Problem sei für Hamilton gewesen, dass er sich sich beim Kontakt mit Gasly das gerade erst mit viel Liebe reparierte Auto wieder beschädigt hatte. Und so hatte er zu wenig Geschwindigkeit auf den Geraden.
Den garantiert größten Ärger erlebte am Samstag aber Sebastian Vettel. Vom letzten Startplatz gestartet, endete der Sprint für ihn auf Position 19 rollend in der Box. Und kurz darauf bekam er auch noch eine Strafe. Er muss 25 000 Euro zahlen, weil er am Freitag die sogenannte Fahrerbesprechung vorzeitig verlassen habe. Bevor er gegangen sei, habe er "Frustration ausgedrückt", so heißt es ausdrücklich in der Urteilsbegründung. Kein Wunder, die Besprechung hatte ja nach und nicht vor der Qualifikation stattgefunden, in der er sich für Startplatz 20 beworben hatte. Strafmildernd wirkte sich aus, dass Vettel sich für den Vorfall bereits entschuldigt habe. Die Geldstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.