Süddeutsche Zeitung

Mick Schumacher:Mitten in der Reifeprüfung

Mick Schumacher könnte 2021 zum Formel-1-Piloten befördert werden - obwohl ein anderer Nachwuchsmann bei Ferrari gerade erfolgreicher fährt.

Von Philipp Schneider

Mick Schumacher befindet sich passenderweise unweit einer stillgelegten Startbahn, als er beschließt, dass es an der Zeit ist, der Welt zu zeigen, welch kühler und rasanter Rennfahrer er sein kann. "Wellington" heißt die schnelle Gerade auf dem ehemaligen Militärflughafen in Silverstone, auf der Schumacher ausschert und zum Überholmanöver ansetzt. Die Gerade hat ihren Namen von den alten Bombern, die die Briten hier im Zweiten Weltkrieg parkten, und schnell wie ein Jet schießt Schumacher nun rechts vorbei am Führenden, seinem Teamkollegen Robert Schwarzman, der ihn lang genug aufgehalten hat. Schumacher ist fast vorbei, als die Kurve naht, er zieht nach innen, Schwarzman aber fährt stoisch weiter geradeaus. Die Autos touchieren sich. Zwei Teamkollegen, zwei Konkurrenten, für die es in diesem Jahr um weit mehr geht als um den Rennsieg eines Tages, lassen Teile von ihren Dienstwagen fliegen. Schumacher fährt weiter, wird noch Zweiter. Schwarzman? Rettet sich als 13. ins Ziel.

Schumacher funkt: "Sagt Robert, wenn es mein Fehler war, dass es mir sehr, sehr leid tut!" Die Kamerabilder beweisen: War es nicht. Höflichkeit aber ist eine Tugend, die sogar Rennfahrer weiterbringen kann. Mick Schumacher hat das verinnerlicht.

16 Tage später sitzt Schumacher pünktlich auf die Sekunde vor einer Kamera im Zelt seines Teams Prema. Ein virtuelles Treffen mit kleineren Aussetzern ersetzt aus den bekannten Gründen die ruckelfreie zwischenmenschliche Begegnung. "Leider ist das so", sagt Schumacher. "Aber es hat ja alles seinen Grund." Ob er sein Manöver in Silverstone bereut? "Nein, auf keinen Fall. Ich hatte ein gutes Auto. Ich war sehr schnell. Die Reifen haben mir auch geholfen. Weil ich so schnell war, schneller als Robert, musste ich dieses Überholmanöver starten." Kurze Pause. Dann sagt Schumacher: "Weil es einfach logisch war."

"Mein großes Ziel ist selbstverständlich die Formel 1"

Was logisch ist und was unlogisch, das kann im Rennsport schnell zu Diskussionen führen. Schumacher, 21, erlebt derzeit sein zweites Jahr in der Formel 2, der Nachwuchsserie der Formel 1. Nach sechs Rennwochenenden mit jeweils sechs langen Wettläufen und sechs Sprints liegt er nur auf Rang fünf der Fahrerwertung - 24 Punkte hinter dem Zweitplatzierten, seinem Teamkollegen Schwarzman. Was die Rivalität zusätzlich befeuert: Schwarzman und Schumacher sind beide Schüler der Nachwuchsakademie von Ferrari. Und weil der sechs Monate jüngere, in Sankt Petersburg geborene Russe Schwarzman nach Punkten klar vorne liegt, wurde der eine oder andere Beobachter kürzlich von einer Ansage Mattia Binottos durchaus überrascht, des Teamchefs der Scuderia.

Er wolle bald, sagte Binotto der Bild, mit Schumacher besprechen, was Ferrari im kommenden Jahr mit ihm vorhabe: Der nächste logische Schritt sei eine Beförderung in das Cockpit eines kleineren Formel-1-Teams - traditionell zieht die Scuderia ihre Fahrer gerne bei Alfa Romeo groß. "Es hat mich sehr gefreut, so eine Aussage zu hören von Mattia. Ich betrachte es als Kompliment", sagt Schumacher. "Es zeigt, dass ich mich in allen Punkten verbessert habe, in denen ich mich verbessern sollte." Und eines sei klar: "Mein großes Ziel ist selbstverständlich die Formel 1." Hoffnung machte Schumacher auch eine Aussage von Alfa Romeos Teamchef Frederic Vasseur am Freitag bei Sky: "Das Niveau in der Formel 2 ist sehr hoch. Mick macht einen guten Job. Ich denke, er wird die Gelegenheit haben, die Formel 1 noch vor Ende der Saison zu testen."

Das zweite Jahr in der Formel 2 gilt als Reifeprüfung. Wer es im zweiten Anlauf nicht nach oben schafft, schafft es eigentlich nie. Sollte sich Schumacher deshalb aber sorgen, so lässt er es sich nicht anmerken. Es sei noch zu früh, um zu sagen, ob er schon im kommenden Jahr in der Königsklasse an den Start gehen darf. "Dadurch, dass Corona ist, haben sich die Planungen alle etwas nach hinten verschoben. Also warte ich nun ab. Ich denke, dass ich in den nächsten Wochen mehr erfahren werde."

Mit welcher Wucht sich die Frage nach der Zukunft der Formel-1-Piloten aus dem Lande der Erfinder des Automobils stellt, zeigte sich am Donnerstag mal wieder: Sebastian Vettel sitzt vor dem Rennen in Spa auf einem Stuhl und bekommt die Fragen gestellt, die ihm seit dem Saisonstart gestellt werden. In Spielberg, Budapest, Silverstone und Barcelona. Gibt es Neuigkeiten? Ob er den passenden Stift mit nach Belgien gebracht habe, um seinen Namen unter ein Papier des Rennstalls Racing Point zu setzen? Vettel bleibt ruhig, wie in Spielberg, Silverstone, Budapest, Barcelona. Sein Mundschutz wackelt, vielleicht aus Amüsement. "Es gibt keine Updates", sagt er. "Ihr könnt kopieren und einfügen von der letzten Pressekonferenz."

Armes Deutschland. Es sorgt sich, dass ein viermaliger Weltmeister das Lenkrad in die Ecke legen, den Stecker aus dem Rennbetrieb ziehen könnte. Wie schon der Privatsender RTL, der Ende des Jahres die Übertragung beendet. Es sorgt sich, dass da einer im besten Rennfahreralter Schluss machen könnte mit der ewigen Kreiserei der Verbrennungsmotoren. Um sich für ein geregeltes Leben mit der Familie zu entscheiden, anstatt sich an ein ambitioniertes Mittelklasseteam zu binden, das vor allem damit Schlagzeilen machte, dass seine Ingenieure bewandert sind im Nachbauen von silbernen Weltmeisterautos des Vorjahres. Auch hier: kopieren und einfügen.

Und nun sitzt da also Mick Schumacher im kleineren Fahrerlager der Formel 2 in Spa. Drei Jahre nachdem er an derselben Stelle die große Bühne betreten hatte. Ein blonder Kerl fuhr damals bei einem PR-Termin Proberunden im alten Benetton seines Vaters, 25 Jahre nach dessen erstem Rennsieg. Diese Ähnlichkeit! Die Reporter überschlugen sich, sogar die aus Südamerika. Die Augen, der Blick! Der gleiche Singsang in der Stimme. Und spielten da nicht in der Mimik dieselben Grübchen wie beim Vater, wenn der amüsiert grübelte? Seit er erstmals in ein Go-Kart stieg, trägt Mick Schumacher die Last des überlebensgroßen Erbes seines Vaters. Insofern verwundert es nicht, mit welcher Leichtigkeit er zumindest nach Außen auch die Sorgen der Nation um die Zukunft Vettels schultert, mit dem er befreundet ist. Ob er die Erwartungen als Last empfinde? "Das kann ich so nicht sagen", sagt Schumacher.

Wer nur auf die Ergebnisse schaut, der müsste Schwarzman befördern. Oder Callum Ilott, den Gesamtführenden, der ebenfalls bei Ferrari ausgebildet wird. Wer jedoch die Geschichten hinter den Resultaten betrachtet, der entdeckt allerlei Ungemach, das Schumacher heimsuchte. Mal hatte er Pech mit der Team-Strategie, mal Pech mit dem Safety-Car. In Spielberg explodierte der Feuerlöscher in seinem Auto: Umherfliegende Teile hatten die außen am Chassis angebrachte Schlaufe getroffen, an der Streckenposten nach einem Unfall ziehen können, um ein brennendes Auto zu löschen. Schumacher war Dritter in diesem Moment, schloss auf zu den zwei Führenden. Im Schaumbad schwimmend, kapitulierte er an der Box. Schumacher will nicht jammern. "Was hilft es denn? Man muss weiterfahren und versuchen, die Punkte wieder gut zu machen. Erst recht jene, die man durch Fahrfehler selber verschuldet hat. Die sind viel ärgerlicher als Rückschläge, für die man nichts kann."

Wer so redet, den schreckt auch nicht das eng getaktete Rennprogramm im Corona-Jahr. Was früher noch als menschenfeindliche Schinderei galt in der Formel 1, drei Rennen an drei Wochenenden nacheinander, die sogenannten Triple-Header, findet Mick Schumacher sogar charmant: "Die Konstanz ist sehr interessant!" Es sei ein bisschen "wie in den alten Zeiten in der Formel 1, als noch jede Woche getestet werden durfte". In Momenten wie diesen hört man den Widerhall des Vaters im Sohn. Dessen Vorliebe für technische Zusammenhänge. Sein Streben nach der optimalen Abstimmung von Mensch und Maschine.

Wenn Mick Schumacher über die Strecke in Spa redet, versteht man auch, weshalb er am liebsten jedes Wochenende fahren würde. Es geht ihm um Routine, um den richtigen Rhythmus im Cockpit. Der anspruchsvollen Kurs in Belgien gefällt ihm wie seinem Vater, der Spa als sein "Wohnzimmer" bezeichnete: Dort debütierte er in der Formel 1, gewann sein erstes Rennen, holte sich seine siebte Weltmeisterschaft. "Jeder Fahrer hat seine Lieblingsstrecken", sagt Mick Schumacher. Bei ihm seien das Spa und Budapest: "Meist sind es deshalb seine Lieblingsstrecken, weil er auf ihnen schneller in den Rhythmus findet. Wer schnell im Rhythmus ist, dem fällt es leichter, auf das Auto zu hören. Zu fühlen, was passiert. Und was er braucht, um schneller zu fahren."

Vor zwei Jahren reiste er nach gerade einmal zwei dritten Plätzen in 14 Rennen nach Spa und gewann wie aus dem Nichts seinen ersten Formel-3-Grand-Prix. Danach fuhr er wie im Rausch, siegte in sieben der 15 restlichen Wettfahrten und gewann die Meisterschaft mit 57 Punkten Vorsprung. "Es lief so gut, dass ich mental immer stärker wurde. Mit jeder Runde, jedem Rennen. Wenn ich an eine neue Strecke gekommen bin, dann stellte sich für mich gar nicht die Frage, ob ich das Rennen gewinnen würde oder nicht. Es war einfach selbstverständlich." Jetzt geht es wieder nach Spa. Und wieder wartet Mick Schumacher auf seinen ersten Rennsieg.

Ob er sogar die Meisterschaft noch gewinnen könne? Schumacher überlegt, dann sagt er: "Diesmal verbleiben sehr viel weniger Rennen als damals. Aber mein Glaube ist da!"

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SZ vom 29.08.2020/ebc
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