Mick Schumacher in der Formel 1:M wie Michael

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Alles bereit? Mick Schumacher im Cockpit seines Formel-1-Rennwagens in Bahrain. (Foto: Sam Bloxham/Kolvenbach/imago)

Am Sonntag debütiert der berühmteste Sohn des Motorsports in der Formel 1 - und muss erst einmal schneller sein als der Sohn eines russischen Düngemittel-Milliardärs.

Von Philipp Schneider, Manama

Hier in Manama ist alles anders. In Manama hat Mick Schumacher endlich Ruhe. Am Eingang zum Fahrerlager haben sie fein gewebte Teppiche vor die hässlichen Drehkreuze gelegt und oben drüber einen Baldachin aus rotem Tuch gespannt. Es soll wohl ein bisschen so aussehen, als läge dahinter ein Souk - eines dieser lebendigen und bunten Geschäftsviertel, wo alles wuselt und einem ungewohnte Gerüche in die Nase steigen.

Nur wuselt es bekanntlich im Jahr 2021 fast nirgendwo mehr auf dem Planeten. Erst Recht nicht in Bahrain, wo auf den Straßen fast nur junge Männer zu sehen sind und auf Corona-Plakaten verhüllte Frauen abgelichtet werden, zusammen mit dem Spruch: "Bleiben Sie zuhause. Es sei denn, es geht nicht anders."

Das Fahrerlager ist abgeriegelt vor den Journalisten, und sollte es dort nach etwas riechen, so bleibt der Duft im Gewebe einer FFP2-Maske hängen.

Mal so gefragt: Wären bessere Bedingungen überhaupt denkbar für Mick Schumacher?

Die Welt des Motorsports starrt auf ihn vor diesem Tag, auf den er sein ganzes Leben lang mit dem Fuß auf dem Gaspedal zugebrettert ist. Erst im Gokart, dann in Rennautos, die immer größer wurden. Und jetzt kann die Welt starren wie sie will: Wegen der Pandemie kommt sie, wenn überhaupt, nur über eine Webcam ran an Mick Schumacher. Sehr wenig nur stört seine Kreise vor seinem ersten Rennen in der Formel 1. Man stelle sich vor, es wäre keine Pandemie und Schumacher würde debütieren, sagen wir mal am brodelnden Hockenheimring. Oder in Australien, wo die Melbournians zu Tausenden auf Tribünen und Picknickdecken im Albert Park gesessen hätten. Es gibt sehr viele Orte, traditionsreiche Stätten des Motorsports, wo die Menschen hingepilgert wären, um die Wiederkehr von "MSC" zu erleben.

Er fährt unter dem berühmten Kürzel MSC - wie schon sein Vater

Unter dieser Abkürzung wird Schumacher, der am Montag seinen 22. Geburtstag feierte, am Sonntag sein erstes Formel-1-Rennen erleben. Und wenn er dann fährt, werden schon auch Zuschauer da sein. Geimpfte Bahrainer. Also diejenigen, die nicht zuhause bleiben sollen.

MSC war auch das Kürzel seines Vaters. M wie Mick und Michael. Und SC wie der Beginn eines Namens, der nun eine tonnenschwere Last auf die Schultern eines jungen Rennfahrers packen dürfte. Beziehungsweise: müsste. In Wahrheit haben sie in Schumachers Umfeld dem Junior schon vor Jahren eine schlaue Strategie beigebracht, wie er die sogenannten Erwartungen am besten ertragen kann. Nachdem er in ganz jungen Jahren noch als Mick Betsch bei den Rennen antrat, dem Geburtsnamen seiner Mutter, um nicht zu früh die Leichtigkeit der Kindheit zu verlieren, lehrten sie ihn später, sein Erbe anzunehmen. Es zu adaptieren. Denn wenn er etwas ohnehin nicht loswerden kann, warum sollte er es nicht in einen Vorteil verwandeln?

Sie ließen ihn immer wieder in den legendären Rennwagen seines Vaters fahren, wohl wissend, dass der Rummel enorm sein würde. Bei jedem dieser PR-Termine wurden die immer gleichen Fragen gestellt. Und Schumacher lernte so, genau jene Antworten zu geben, die alle Nachfragen erübrigten. Es waren Sprünge ins Eisbad. Doch mit jedem Mal fühlte sich das Wasser etwas wärmer an. Er ist so gut vorbereitet, dass er auf die pandemische Ruhe in Bahrain garantiert sehr gut verzichten könnte. Und deshalb ist das Kürzel MSC auch wieder zurückgekehrt in die Formel 1. Acht Jahre, vier Monate und zwei Tage, nachdem es nach einem Rennen in Brasilien zuletzt hinter dem Namen des Vater zu lesen war.

Mick Schumacher hätte sich auch das Kürzel MIS geben können. Oder SCH, unter dem er schon fuhr. Das hat er aber nicht. Mick ist jetzt MSC. Genau wie der Rennfahrer, den er verehrt.

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Es wird am Sonntag an der Rennstrecke fast genau 30 Jahre her sein, dass sein Vater Michael in einen Jordan-Ford 191 stieg, ihn über die Hügel und durch die Kurven von Spa-Francorchamps lenkte - und Deutschland noch nicht ahnte, welches Ausnahmetalent da so übermotiviert die Pedale fliegen ließ, das gleich beim Start seine Kupplung verbrannte. Doch ehe er dann den Wagen nach kurzer Zeit wieder abstellen musste, hatte er bewiesen, wie schnell er sein kann. Ein Jahr später gewann Michael Schumacher im Benetton in Spa seinen ersten Grand Prix. Zwei weitere Jahre danach seine erste Weltmeisterschaft. Der Rest ging unter im Rausch der Pokale.

Die Formel 1 ist ein Sport, in dem wie bei David und Goliath mit ungleichen Mitteln gefochten wird. Deshalb geht es ja immer um die Frage: Wie viel Geschwindigkeit holt ein Pilot raus aus dem Material, das ihm zur Verfügung steht? Wer schneller als der Teamkollege fährt, ist schon mal nicht der Langsamste im Feld.

Bahrain, der Donnerstag vor dem Rennen. Mick Schumacher sitzt vor der Kamera. Eine Maske befreit ihn von jeglicher sichtbarer Mimik. Wie denn sein Plan aussieht für das Rennen? "Es wird nicht so sein, dass ich versuche, extrem aggressiv reinzugehen", sagt Schumacher: "Ich würde keine Dummheiten machen." Also beispielsweise eine Kupplung verbrennen. Das Ziel sei, anders als sein Vater, das Rennen zu beenden. Und wie wichtig ist es ihm, besser zu sein als sein Teamkollege Nikita Masepin? Na, mit dem habe er doch eine gute Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit!

Es ist wahrlich eine sonderbare Truppe, die sich zusammengefunden hat im Formel-1-Team Haas. Auf der einen Seite ist da Mick Schumacher, ausgestattet mit einem Fördervertrag der Scuderia Ferrari. Der Sohn des Rekordweltmeisters, von dem allgemein erwartet wird, dass er es eines Tages in einen der roten Rennwagen schaffen wird, mit denen sein Vater fünf Titel gewann. Schumacher junior, der all jenen Kritikern, die meinen, er habe es nur wegen seines Nachnamens in die Formel 1 geschafft, das Argument entgegenschleudern könnte, dass er im Vorjahr Meister in der relevanten Nachwuchsserie Formel 2 geworden ist. Muss er natürlich nicht. Weil es alle wissen.

Auf der anderen Seite ist da der Russe Nikita Masepin, ebenfalls 22. Gefördert wird er seit Jahren von seinem Vater Dimitri, der in Russland eine Firma für Düngemittel betreibt, mit ihr steinreich wurde - und nun als sogenannter Titelsponsor das Team Haas finanziell über Wasser hält. Wenn jemand dem jungen Masepin vorwirft, er habe es nur wegen des Geldes seines Vaters an Schumachers Seite geschafft, dem kann der entgegen: Wieso? Ich bin doch Fünfter geworden in der Formel 2.

Zusammengehalten wird diese mittelfristig garantiert moderationsintensive Fahrerkombination von Teamchef Günther Steiner. Der 55-jährige Südtiroler findet den Gedanken, zwei völlig unterschiedliche Typen in seine Autos zu setzen, "befruchtend". Er rechnet mit zwischenmenschlichem Funkenflug, freut sich aber darauf und fragt: "Wie langweilig wäre denn Friede, Freude, Eierkuchen?"

Den Eierkuchen kann Steiner deshalb guten Gewissens ablehnen, weil er bei Haas die Saison als "Lernjahr" klassifiziert hat. Das mit 300 Mitarbeitern kleinste Team der Formel 1 konzentriert sich auf die kostspielige Entwicklung des Neuwagens für das rundum neue Reglement ab 2022 und geht davon aus, dass derzeit nicht einmal Lewis Hamilton in einem Haas-Autos um Punkte fahren könnte. Wenn der eigene Chef den Stillstand ausruft und von seinen zwei jungen Piloten lediglich erwartet, dass sie im kommenden Jahr bereit sind, wenn es auch das Auto ist - kann ein Mick Schumacher dann nicht entspannt die Füße ablegen auf dem Lenkrad?

Mick Schumacher erlebt sein erstes Rennen in der Formel 1 in Bahrain. Sein Vater debütierte 30 Jahre früher in Spa-Francorchamps. (Foto: Andy Hone/Motorsport Images/Imago)

Aber so funktioniert die Formel 1 nicht. Denn selbst wenn sie bei Haas auf Dauer wohl nur in den Kampf um die Plätze 15 bis 20 eingreifen werden, geht es in jedem Rennen auch um Punkte - und damit um Geld für das Team. Schumacher muss also schnell das weit kräftigere Auto kennenlernen und die weit komplizierteren Abläufe in der Königsklasse. Und zwar schneller als Masepin. Die Qualifikation am Samstag ließ schon mal eine recht eindeutige Prognose zu: Die Haas scheinen wirklich die schlechtesten Autos im Feld zu sein, sie schieden beide schon im ersten Durchgang aus. Masepin drehte sich und wurde Letzter, Schumacher Vorletzter. Er war acht Zehntel schneller. "War sehr kurz", sagte Schumacher über die jäh beendete Zeitenjagd. Er sei aber trotzdem "echt happy".

Schumacher, das hat die Vergangenheit gelehrt, braucht immer ein Jahr Zeit, um sich einzufühlen in ein neues Auto, eine neue Rennserie. Im zweiten Jahr dann fährt er konstant. So war es in der Formel 4, so war es in der Formel 3, so war es in der Formel 2.

Am Sonntag, wenn in Manama die Sonne untergegangen ist, wird an der Rennstrecke das Flutlicht eingeschaltet. Dann gehen die Ampeln aus. Und für Mick Schumacher beginnt eine Phase in seinem Leben, in dem jeder seiner Schritte, jede Rundenzeit und jeder Boxenstopp wie unter dem Brennglas analysiert werden. Für ihn geht es dann vor allem darum, zu verhindern, dass einem Milliardär aus Russland die größte Genugtuung beschert wird. Nikita Masepin darf ihn nicht besiegen, er darf nicht besser sein als ein MSC.

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