Süddeutsche Zeitung

Formel 1: Michael Schumacher:Der Effekt, der keiner ist

Lesezeit: 3 min

Michael Schumachers Rückkehr hat das Geschäft mit der Formel 1 nur kurzfristig belebt: Den gewaltigen Erwartungen folgte zügig die Ernüchterung. Für Mercedes ist das Comeback des Rekordsiegers trotzdem äußerst profitabel.

René Hofmann

Kurz vor Weihnachten passierte am Hockenheimring Ungewöhnliches: Die Telefonanlage brach zusammen, so groß war die Nachfrage für Karten fürs Formel-1-Rennen am 25. Juli. Ausgelöst hatte den Zusammenbruch Michael Schumacher. Die Ankündigung des siebenmaligen Weltmeisters, es mit 41 Jahren im neuen Mercedes-Team noch einmal versuchen zu wollen, bewegte das Land bis hin zum Tagesthemen- Kommentar und ließ die Motorsport-Branche auf eine Hausse hoffen.

Für die Telefonanlage am Hockenheimring ist in letzter Instanz Karl-Josef Schmidt verantwortlich. Schmidt ist ein bedächtiger, eloquenter Mensch, der schon so einiges verkauft hat. Seit 2006 ist er Geschäftsführer des Hockenheimrings. Das Formel-1-Wochenende ist das wichtigste Ereignis im Geschäftsjahr.

In Formel-1-Jahren verdoppelt sich der Umsatz. Schmidt anzurufen ist kein Problem in diesen Tagen. "Wir spüren, dass der Kartenverkauf noch einmal anzieht", sagt er, "aber das kennen wir schon." 62.000 Tickets gingen vor zwei Jahren weg, als die Formel 1 zuletzt in Hockenheim war. Dieses Mal rechnet Schmidt mit ähnlich vielen. Weil er weniger Rabatte gewährte, werden die Erlöse höher sein. Schmidt ist nicht unzufrieden, aber Euphorie klingt anders.

Der Deutsche will Sieger sehen

Einen "äußerst ungewöhnlichen Verlauf" der Verkaufskurve hat Schmidt beobachtet. So gewaltig die Nachfrage am Anfang war, so gewaltig ging sie kurz darauf zurück. "Das Überraschende am Schumacher-Effekt war, dass es ihn wohl gar nicht gab", sagt Schmidt. Es waren weitgehend vorgezogene Käufe von Menschen, die sowieso gekommen wären und sich nur so früh wie möglich Tickets sichern wollten. Schumachers bislang mittelmäßige Resultate dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. "Der Deutsche will Sieger sehen, nicht nur eine Legende", sagt Schmidt.

Das Geschäft mit dem Sport hat eigene Gesetze. Und die sind in jedem Land anders. England zum Beispiel hat im Tennis lange keinen Grand-Slam-Champion mehr hervorgebracht, trotzdem wird das Turnier in Wimbledon jedes Jahr überrannt. Auch ohne Formel-1-Sieger aus England war der Grand Prix in Silverstone immer gut besucht. Die Engländer lieben den Sport, sie lieben Traditionen. In Deutschland ist das anders. Einen zu haben, der vorne dabei ist, reicht nicht. Nicht einmal ein Sieger reicht. Für das große Geschäft muss es ein Seriensieger sein. Beim Tennis ließ sich das verfolgen, die Formel 1 liefert ein weiteres Beispiel.

Fernsehquoten verraten nicht alles. Aber sie sind ein Indikator, wie hoch das Interesse an einem Ereignis ist. Als die Formel-1-Saison im März begann, war es gewaltig. RTL verzeichnete beim Rennen in Bahrain im Schnitt 10,5 Millionen Zuschauer, rund doppelt so viele wie beim gleichen Grand Prix 2009 und etwa so viele wie im Schnitt 2001 bei jedem Rennen zugesehen hatten, dem bisherigen Rekordjahr. Die Saison 2001 war nicht spannend. Schumacher gewann neun von 17 Rennen und stand früh als Meister fest. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Stimmung in der RTL-Zentrale gewesen sein muss nach dem ersten Rennen der zweiten Schumacher-Zeit - ungefähr so wie in Hockenheim um Weihnachten. Doch wie dort folgte zügig Ernüchterung.

Zwar fielen die Quoten auch bei den folgenden Rennen konstant höher aus als bei den vergleichbaren Veranstaltungen des Vorjahres, aber von einer Explosion des Interesses kann nicht die Rede sein. Nach zehn Rennen liegt der Sender im Schnitt bei 6,34 Millionen Zuschauern. Im vergangenen Jahr waren es 5,21 Millionen. Sprecher Matthias Bolhöfer verweist zudem auf den außergewöhnlich hohen Marktanteil von 40,8 Prozent (2009: 38,2) und darauf, dass die Quote über den gesamten Rennverlauf weitgehend konstant bleibt, was für eine Sportveranstaltung ungewöhnlich ist. Die Formel 1 hat in Deutschland also offenbar einen großen Kern an treuen Fans. Um darüber hinaus Interesse zu finden, braucht es aber eine besondere Figur, wie die Zahlen vom jüngsten Rennen belegen.

Michael Schumacher war nicht besonders gut beim Großen Preis von Großbritannien, er startete lediglich als Zehnter. Aber Sebastian Vettel fuhr von der Pole-Position aus los. Obwohl ein Deutscher eine gute Siegchance hatte, kam das Rennen lediglich auf 5,35 Millionen Zuschauer. Es war das erste Mal, dass der Wert unter die Vorjahreszahl sackte. Eine Tendenz lässt sich daraus nicht gleich ableiten; der 11. Juli war auch ein besonders schöner Sonntag. Aber ein etwas dauerhafteres Hoch dürfte sich der Sender doch erhofft haben, der aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat: Inzwischen ist das Programm nicht mehr komplett auf Schumacher ausgerichtet. Selbst wenn er in die Erfolgsspur zurückfindet, wird er den Zug nicht mehr lange ziehen, heißt es; es gehe auch darum, neue Helden aufzubauen.

35 Millionen Euro Werbewert

Bei Schumachers Arbeitgeber Mercedes wird all das mit Argusaugen beobachtet. Jede Veröffentlichung und jeder Fernsehbericht wird exakt vermessen und in Werbewert umgerechnet. Von Schumachers Comeback-Ankündigung bis zum Saisonstart kamen in Deutschland und den wichtigsten europäischen Märkten 35Millionen Euro zusammen. Das ist ein Wert, mit dem sich die Verpflichtung bereits rechtfertigen lässt. Auch sonst hat sich die Investition ausgezahlt. Mit der Aufmerksamkeit, die er brachte, war Schumacher ein wichtiger Geburtshelfer für den Rennstall. In den vergangenen Monaten sind wegen ihm etliche Sponsoren hinzugekommen. Und Fahrer, die Geld bringen, sind immer mehr wert als welche, die nur Punkte sammeln. In der WM-Wertung ist Schumacher nach zehn Rennen mit 36Punkten Neunter, hinter Nico Rosberg (90 Punkte) und Sebastian Vettel (121) nur drittbester Deutscher. Doch die Bilanz des Rückkehrers lässt sich auch anders lesen: Er ist immer noch derjenige mit dem größten Potential.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.978048
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.07.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.