Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:Verstappen saugt sich durch die "Busspur"

Der Niederländer zieht am Start vorbei und steuert in Richtung WM-Titel, Hamilton verzweifelt am Speed der Konkurrenten, Teamkollege Bottas muss sich harte Kritik anhören. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes in Mexiko.

Von Elmar Brümmer

Max Verstappen

Es war die Aerodynamik eines WM-Spitzenreiters: sich an den Gegner heransaugen, aus dem Windschatten heraus nach außen gehen, unverhofft eine breite Fahrbahn vorzufinden und dann locker zehn Meter später als alle andere bremsen, um als Erster in die erste und entscheidende Kurve im Autodromo Hermanos Rodriguez abzubiegen. Es war ein außergewöhnliches Manöver, und in Kombination mit der anschließend kontrollierten Sonntagsfahrt zweifelt niemand mehr daran, dass der Niederländer diese WM-Führung mit mittlerweile 19 Punkten Vorsprung verdient hat. Was für eine Symbolik, als er samt Auto von einem Aufzug auf das Podium befördert wurde, während Hamilton die Treppe nehmen musste. "Ich denke nicht an den Weltmeister-Pokal, wir müssen weiterkämpfen", lautet das Mantra Verstappens nach der Machtdemonstration von Mexiko. Er glaube auch nicht an Momentum, sondern vertraue lieber seinem Auto. Das ist zur richtigen Zeit wieder in Balance gekommen und läuft damit synchron zur Entwicklung des Fahrers. Red-Bull-Berater Helmut Marko war ungewöhnlich fasziniert von der Darbietung des Niederländers: "Unglaublich, wo Max gebremst hat und wie er dann noch um die Kurve kam." Das ist roher Speed kombiniert mit Bauchgefühl für das Limit und einem Überblick für Aktionen im Millisekundenbereich. Also das Material, aus dem Champions gemacht sind.

Lewis Hamilton

War Platz zwei für den Rekordsieger der Formel 1 ein Gewinn? Das hat weniger mit einer neuen Bescheidenheit und mehr mit einer realistischen Einschätzung der Lage zu tun. Schadensbegrenzung also, und das ist glaubhaft. Die Stimme Hamiltons über den Boxenfunk wurde zunehmend brüchiger. Von der anderen Seite kam wenig bis nichts, so dass der Brite nachfragen musste: "Hallo, seid ihr noch da?" Aber was hätten sie sagen sollen, ändern können? Auf sich allein gestellt sah er Max Verstappen schon längst nicht mehr, wohl aber den drohenden Perez hinter sich. "Die sind einfach zu schnell für uns", konstatierte Hamilton schon früh. Und sein Auto auf dieser Strecke schlichtweg nicht gut genug, weshalb der Platz hinter Verstappen regelrecht Schadensbegrenzung war. Die Sensation aus der Qualifikation, als Mercedes den Gegner auf dem falschen Fuß (vulgo: Reifen) erwischt hatte, war schnell verpufft. "Wir hätten nichts gegen sie unternehmen können. Ich bin schon froh, dass ich den Kampf gegen Perez gewinnen konnte." Hamilton ist ein Mann der Intuition, er spürt, dass die Luft in diesem Titelkampf für ihn immer dünner wird.

Sebastian Vettel

Stark. Solide. Das sind in der stets optimistischen Formel 1 häufig inflationär gebrauchte Worte für eher durchschnittliche Leistungen. Der "solid job" aber, der Sebastian Vettel seinem Aston-Martin-Team bescheinigte, und den er sofort wieder als Kompliment von Teammanager Otmar Szafnauer zurückbekam, der gehörte wirklich zu den starken Leistungen des Heppenheimers. Als Neunter gestartet, als Siebter im Ziel - während der 71 Runden ging es dem vierfachen Weltmeister fast wie Max Verstappen an der Spitze: "Ich war die meiste Zeit für mich allein, bin mit dem Feld mitgeschwommen, aber ich bin eigentlich ganz glücklich mit meiner Leistung." In einer anderen Wertung ist der Hesse sogar Spitze: Zusammen mit Fernando Alonso ist er in den bisherigen 18 WM-Läufen auf die meisten Überholmanöver aller Fahrer gekommen - stattliche 104 an der Zahl. Das unterstreicht zumindest, dass seine rennfahrerischen Instinkte noch bestens in Takt sind. Sebastian Vetttel wirkte erstmals seit längerer Zeit wieder zufrieden mit sich und der Renn-Welt.

Valtteri Bottas

Die Pole-Position für den Finnen am Samstag kam so unverhofft wie sonntags der Schubser durch Daniel Ricciardos McLaren. Es war das frühe Ende eines Rennens für den Mercedes-Adjutanten, der nichts anderes machen wollte als alles richtig. Dass er beim Start Max Verstappen ungewollt Windschatten gegeben hatte, das ließ sich nicht ändern. Wohl aber, dass er dem Niederländer für dessen Manöver außen so viel Platz gelassen hatte wie eine "Busspur" und stattdessen nach innen den Raum für Lewis Hamilton unnötig eng gemacht hatte. Die vernichtende Kritik stammt aus einem Zitat von Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Kollege Hamilton sprach etwas freundlicher davon, dass der Finne wohl die Türe etwas zu weit aufgelassen habe. Die Mercedes-Boxencrew machte Bottas, der sich mühsam von ganz hinten wieder Richtung Punkte gekämpft hatte, dann endgültig zum Pechvogel des Tages. Ein Vorderrad hing fest, also ging es wieder rückwärts. Immerhin behielt der Fahrer die Nerven, ganz zum Schluss im zweiten Anlauf Max Verstappen noch das Extrapünktchen für die schnellste Runde zu entreißen. Bottas allerdings bekommt es nicht gutgeschrieben, da er auf Rang 15 außerhalb der Top Ten gelandet war. Kann jemand mehr Pech haben? "Es war schwierig", antwortete Bottas.

Sergio Perez

Noch nie hat ein Mexikaner einen Großen Preis von Mexiko gewinnen können. Auch Sergio Perez hat die Aufgabe nicht geknackt, die Red-Bull-Strategen hätten ihn auch kaum gelassen. Immerhin durfte er von Runde 34 an, als Spitzenreiter Verstappen schon in der Box war, die Führung übernehmen - und der Lärm im Stadionteil des Autodromo schwoll auf die Lautstärke der startenden Flugzeuge auf dem internationalen Flughafen ganz in der Nähe an. Am Ende hat der zweite Mann von Red Bull, der zum dritten Mal in Folge den dritten Platz belegte, Lewis Hamilton derart unter Druck gesetzt, dass dieser nur noch atemlos mit seinen Ingenieuren kommunizieren konnte. Wer weiß, wenn das Rennen noch ein, zwei Runden gegangen wäre? Das Red-Bull-Management goutiert den Formanstieg zur rechten Zeit und hat jetzt für das Rennen am kommenden Wochenende in Brasilien einen Doppelerfolg im Sinn - der würde dann auch die Führung in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft bedeuten. Sergio Perez hat sich vom emotionalen Egoisten zum ebenso leidenschaftlichen Teamplayer gewandelt.

Mick Schumacher

Startplatz 14, das ist in etwa die Region, die es braucht, um etwas realistischer vom ersten WM-Punkt zu träumen. Leider war dieser Traum für Mick Schumacher schneller vorbei, als er zuvor mit seinem Haas-Ferrari durch die Motorenstrafen für viele andere Fahrer in der Startaufstellung nach oben gerutscht war. Der unfreiwillige Dreher von Valtteri Bottas hatte erhebliche Konsequenzen auch für das hintere Feld: "In Kurve zwei ist es durch den querstehenden Mercedes plötzlich sehr eng geworden, die Strecke war nur noch halb so breit. Da passten dann keine drei Autos mehr durch." Mit dem Resultat, dass für ihn und den Japaner Yuki Tsunoda das frühe Aus kam. Der Frust aber hielt Schumacher nicht davon ab, noch die restlichen Runden vom Kommandostand aus zu verfolgen: "Ich wäre zwar gern auf dieser sehr ungewöhnlichen Strecke gefahren, aber so habe ich eben von außen versucht, etwas zu lernen."

Mexiko

Die Formel 1 als Zeichen dafür, dass es nach zwei harten Covid-Jahren wieder Hoffnung gibt in der 22-Millionen-Metropole. Zumindest ist der Große Preis von Mexiko ein Stimmungs-Booster gewesen, der von den Zuschauerzahlen her mit Austin gleichzusetzen war, von der Leidenschaft her aber alles toppt - fast sogar die Rückkehr des Großen Preises der Niederlande. Die Formel 1 boomt, nur mag zu der PS-Fiesta mit 140.000 Zuschauern die Meldung nicht so recht passen, dass der Vertrag mit der Rennstrecke in Schanghai gerade bis 2025 verlängert worden ist. Zwar sind die Zuschauerzahlen in China auch stets sechsstellig, ansonsten hält der distanzierte Auftritt dort keinen Vergleich stand mit der Dauer-Party beim alten Olympiagelände von Mexiko. "Ich glaube, mein Land und diese Fans haben es verdient, so zu feiern", sagte Lokalmatador Sergio Perez. Selbst Rang drei fühle sich hier so an wie der bislang schönste Tag seines Rennfahrerlebens.

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