Formel 1 in Mexiko:"Lasst ihn fahren"

F1 Grand Prix of Mexico

Schön schattig unter dem Sombrero: Lewis Hamilton zweifelte an der Strategie seines Teams. Sein Chef-Stratege beruhigte ihn persönlich.

(Foto: Clive Mason/Getty Images)
  • Dank einer überlegenen Reifen-Strategie gewinnt Lewis Hamilton den Großen Preis von Mexiko, auf seinen sechsten Weltmeistertitel muss er aber noch ein wenig warten.
  • Beim Rennen in Texas genügt ihm nun bereits Platz acht zum Titelgewinn.
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Von Philipp Schneider

Der Tag, an dem Lewis Hamilton doch noch nicht zum sechsten Mal Weltmeister wurde, war kein schlechter Tag für Lewis Hamilton. Das wird ihm irgendwann gedämmert sein auf einer seiner letzten Umdrehungen, als er am Sonntagnachmittag in seinem Silberpfeil saß und in diesem über den Autodromo Hermanos Rodriguez pflügte.

Siehe da, wird sich Hamilton gedacht haben: Ich liege ja tatsächlich in Führung! Noch immer!

Das hatte er zuvor nicht für möglich gehalten. Er hatte seine Zweifel über die Taktik per Funk in die Ohren seiner Rennstrategen geklagt. 14 Runden früher hatten ihm diese den zweiten Satz Reifen ans Auto geschraubt als die Scuderia ihrerseits dem Wagen von Sebastian Vettel frische Gummis spendiert hatte. Aber siehe da: Es reichte. Hamilton kämpfte sich auf den alten Pneus ins Ziel. Und wieder einmal hatte James Vowles, der Chef-Stratege von Mercedes, Recht behalten. Manchmal wirkt es so, als kenne Vowles Hamilton besser als Hamilton sich selbst. "Das Rennen war ein ganz schöner Kampf", sagte der Fahrer. Und Toto Wolff, der Teamchef von Mercedes, erklärte: "Wir wussten nicht, ob es reicht. Es war ein Experiment."

Teamkollege Bottas verschiebt Hamiltons Titelfeier

Dass sich Hamilton nun mindestens noch bis zum Rennen in Texas in der kommenden Woche gedulden muss, wo ihm bereits ein achter Platz zum Titelgewinn genügt, lag nicht an ihm. Sondern an seinem rechnerisch letzten verbliebenen Konkurrenten, dem Teamkollegen Valtteri Bottas. Der schleppte sich als Dritter ins Ziel, hinter Vettel und noch vor Charles Leclerc in den Ferraris, obwohl er als Sechster ins Rennen gerollt war. Am Tag nach einem heftigen Crash in der Qualifikation.

Dass man sich noch etwas länger erinnern wird an den Großen Preis von Mexiko des Jahres 2019, lag überhaupt an der Qualifikation. Und an Max Verstappen und seiner irritierenden Vorstellung. Hernach erinnerte sich mancher wieder an eine Einschätzung von Niki Lauda im Vorjahr, der über die charakterliche Reife Verstappens als Rennfahrer gesagt hatte: "Normalerweise wächst man mit seinen Fehlern. Verstappen wird nur kleiner. Das scheint mir auch eine Intelligenzfrage zu sein."

Auf seiner Lieblingsstrecke hatte der Niederländer bereits die Pole Position sicher, als Bottas mit seinem Mercedes in den letzten Sekunden der Qualifikation in die Mauer der Zielkurve krachte. Gelbe Flaggen wurden geschwenkt, die Fahrer, die die Unfallstelle vor Verstappen passierten, gingen vom Gas. Hamilton bremste, Vettel bremste. Verstappen bremste nicht.

Das Reglement sieht vor, dass die Piloten bei gelben Flaggen so langsam fahren müssen, dass sie jederzeit anhalten können. Verstappen? Dachte nicht an Anhalten. Er stellte eine neue Bestzeit auf! Obwohl nach Bottas' Crash auch Streckenposten auf dem Asphalt hätten stehen können.

Die Kommissare ließen sich viel Zeit, ehe sie eine Strafe verhängten, die sie verhängen mussten, allein schon, weil im Falle einer Nicht-Ahndung ein Präzedenzfall geschaffen worden wäre: Verstappen wurde um drei Startplätze versetzt, weswegen die Ferraris von Charles Leclerc und Vettel die erste Reihe besetzten in Mexiko.

Verstappen verschlimmert die peinliche Situation noch

Nun verfügt Verstappen über die Fähigkeit, eine ohnehin schon peinliche Situation mit einer Bemerkung zu verschlimmern: "Mir war bewusst, dass Valtteri gecrasht ist", erklärte er auf der Pressekonferenz. Auf die Frage, ob er vom Gas gegangen sei, wurde Verstappen zum Ankläger seiner selbst: "Hat nicht danach ausgesehen, oder?" Dann fragte er: "Müssen wir jetzt echt über Sicherheit sprechen? Es ist Qualifying, da drückst du drauf." Und es sei auch so: "Wenn sie mir die Runde streichen wollen, sollen sie mir die Runde streichen." Der letzte Satz war der traurigste. Weil er zeigte, dass Verstappen nicht einmal in jenem Moment an die Möglichkeit einer Strafversetzung dachte, als diese für alle anderen Piloten schon so gut wie beschlossen war. Dann kam das Rennen.

Auf der langen Geraden nach dem Start bietet der Windschatten in Mexiko große Vorteile. Hamilton genoss den von Leclerc, Verstappen den von Vettel. Die zwei Ferraris starteten gut, Hamilton auch. Der Brite schmiegte sich sogleich in den Windschatten Leclercs. Vettel witterte Gefahr, er ließ seinen Wagen nach außen treiben - und drängte damit auch Hamilton ab. Das Manöver ging gerade so gut und hätte mit wenig Fantasie auch eine Bestrafung für Vettel nach sich ziehen können. In der Folge, weil Hamilton wieder nach innen ziehen musste, berührten sich in der zweiten Kurve die Wagen von Verstappen und Hamilton, beide mussten über die Wiese rollen und verloren Plätze: Verstappens Teamkollege Alex Albon war nun Dritter, Hamilton nur noch Fünfter, Verstappen Achter. Von Dauer war das nicht: In Runde vier rollte Hamilton vorbei an Carlos Sainz im McLaren. Und Verstappen überholte Bottas. Dabei schlitzte der Mercedes-Pilot dem Niederländer einen Reifen auf. Verstappen musste an die Box und sortierte sich am Ende des Feldes wieder ein.

Hamilton fürchtet, dass die Ferrari-Strategie aufgeht

Nach zehn Runden führte Leclerc vor Vettel und Albon - dahinter folgten die Silberpfeile von Hamilton und Bottas. Nach 15 Runden hielt Albon als erster Fahrer aus der Spitzengruppe. Eine Umdrehung später ließ sich Leclerc neue Reifen reichen. Danach war er Vierter - und Vettel vorübergehend ganz vorne. Bei Leclerc verfolgte die Scuderia offensichtlich eine Zwei-Stopp-Strategie. Bei Vettel eine Ein-Stopp-Strategie mir einem späten Halt. Das wurde Runde für Runde klarer, die ihn sein Team mit alten Gummis auf der Strecke beließ. Nach 24 Runden ließ sich Hamilton neue Reifen reichen. Vettel blieb draußen - genau wie Bottas. Vettel solle sich bereitmachen, funkte sein Boxenstand. "Lasst ihn (Hamilton, d. Red.) fahren", konterte Vettel. Und so blieb er draußen. Ein Fehler.

Kurz zuvor hatte Hamilton befürchtet, die Strategie von Ferrari könnte aufgehen. Er sorgte sich, dass Vettel gegen Rennende weit frischerer Reifen zur Verfügung haben könnte. "Ich glaube, wir waren zu früh an der Box", klagte Hamilton. Ach was, antwortete Vowles, der sich in Abwesenheit von Hamiltons Stamm-Renningenieur Pete Bonnington bemüßigt fühlte, Hamilton persönlich zu beruhigen: Die Strategie sei genau richtig. Er werde schon sehen.

Als Vettel zum ersten und Leclerc zum zweiten Mal die Reifen wechseln ließen, führte Hamilton das Feld an, dahinter folgten Vettel, Bottas und Leclerc. Hamilton lag drei Sekunden vor Vettel und fünf vor Bottas. Vettel machte Jagd auf Hamilton. Aber es reichte nicht. Und Max Verstappen? Wurde tatsächlich noch Sechster. Autofahren kann er ja.

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