Formel 1: Mercedes-Piloten:Funkenflug in der Woonkamer

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"Ein Schumacher wie in alten Zeiten": Der 41-Jährige und sein Mercedes-Teamkollege Nico Rosberg schneiden in Spa überraschend gut ab - den Frust über die Entwicklung dämpft das kaum.

René Hofmann

Die Strecke in Spa hat in der Karriere von Michael Schumacher oft eine wichtige Rolle gespielt. Hier bestritt er 1991 sein erstes Formel-1-Rennen. Hier gelang ihm 1992 sein erster Sieg. Hier fuhr er 1995 von Startplatz 16 aus in einem Regen-Sonne-Regen-Sonne-Rennen zum Triumph. 1996 holte er hier für sein neues Team Ferrari einen wichtigen Erfolg, der seinem Freund Jean Todt, damals Teamchef, den Job rettete. Hier wurde er im Jahr 2004 zum siebten Mal Weltmeister. Auch bei der ersten Rückkehr in seiner zweiten Karriere glückte ihm Erstaunliches beim Großen Preis von Belgien. 21. am Start, Siebter im Ziel. Nicht nur Niki Lauda sah "einen Schumacher wie in alten Zeiten", der sagte: "Heute kann ich mit einem angenehmen Gefühl nach Hause gehen."

Fast wären sogar noch zwei WM-Punkte mehr herausgesprungen für den 41-Jährigen, doch drei Runden vor der Zielflagge jagte ihm sein Mercedes-Kollege Nico Rosberg noch einen Platz ab, was dem 25-Jährigen vergleichsweise leicht fiel, weil es regnete und er gepokert hatte: Sein Dienstwagen war bewusst auf eine nasse Strecke abgestimmt. "Der sechste Platz ist Schadensbegrenzung", meinte Rosberg, der in der elften der 44. Runden hatte erleben müssen, dass Schumacher auch bei einem Teamkollegen kein Pardon kennt: Als Rosberg vom Russen Witali Petrow (Renault) kurz von der Ideallinie gedrängt wurde, nutzte Schumacher das, um sich an beiden vorbeizupressen. Dabei kamen er und Rosberg sich so nahe, dass sich die Felgen ihrer Renn- wagen berührten und Funken sprühten.

Es war das bislang spektakulärste erfolgreiche Schumacher-Manöver seit dem Comeback. Dass es ihm ausgerechnet in Spa glückte, überraschte nicht. Das Auf und Ab und Rechts und Links in den Ardennen liegt Schumacher. Er selbst nennt die Strecke sein "Wohnzimmer", was im Pressespiegel viele schöne Worte aufscheinen lässt. Vom "salon" schreiben die französischen Zeitungen, vom "living room" die englischen, von der "woonkamer" Het Nieuwsblad.

Das Heck schmilzt

Das klingt wunderbar heimelig, fast gemütlich, aber natürlich hat die Realität damit so gar nichts zu tun. Ultra-schnell geht es dahin bei dem Auf und Ab und Rechts und Links und nicht einmal einer, der in einem überlegenen Auto sitzt, hat es bequem. Schumachers Auto ist im Moment alles andere als überlegen. "Mehr kann man bei den Startplätzen kaum erwarten", kommentierte Mercedes-Sportchef Norbert Haug das Resultat, "aber unseren Speed müssen wir weiter verbessern." Teamchef Ross Brawn gibt zu: "Wir haben zuletzt viel ausprobiert und nicht erhalten, was wir uns davon erhofft hatten."

Zwar funktioniert die mattsilberne Version des sagenumwobenen F-Duct- Systems, das auf den Geraden dazu führt, dass die Strömung am Heckflügel abreißt und der Wagen an Höchstgeschwindigkeit gewinnt, mittlerweile einigermaßen zuverlässig. Aber ein anderes, ebenfalls sagenumwobenens System bereitet noch Ärger. Der Blown-Diffusor im Heck, der sich sinngemäß als Anblas-Diffusor übersetzten lässt. Es gibt Autos, bei denen die Auspuffgase den Heckflügel so umschmeicheln, dass die Hinterachse fester auf den Asphalt gedrückt wird, was ebenfalls für ein schnelleres Fortkommen sorgt. Sebastian Vettels Red Bull kann das vorbildlich. Am Mercedes verformt sich das Heck dagegen, wenn die heiße Luft strömt. Der richtige Materialmix ist noch nicht gefunden, und alle Beteiligten müssen sich inzwischen mächtig mühen, um ihren Ärger darüber zu verstecken.

Ein bisschen besser hätte es in Spa trotz der guten Strategie bei den wechselnden Bedingungen nämlich schon laufen können, zumindest am Samstag. Weil Sébastien Buemi (Toro Ross) in der Qualifikation Rosberg in den Weg kam, musste der bremsen, was wiederum Schumacher um eine schnelle Runde brachte.Im Samstags-Zwischenergebnis standen somit zunächst die Plätze elf und zwölf.

Ungeplanter Getriebewechsel

Aus denen wurden nach einigen Zwischenschritten (Rosberg erst plus fünf Startplätze wegen eines ungeplanten Getriebewechsels, dann minus einen, weil Buemi für die Behinderung nach hinten gerückt wurde / Schumacher plus zehn Startplätze wegen des gefährlichen Manövers in Ungarn gegen Barrichello) die Positionen 14 (Rosberg) und 21 (Schumacher). So weit hinten blieb nur die Chance, mit gewagten Abstimmungen zu pokern. Ross Brawn dazu: "Je weniger man zu verlieren hat, desto abenteuerlustiger wird man." Bei der Wahl zum Euphemismus des Jahres dürfte der Ausspruch in der Kategorie "Verzweiflung" weit vorne landen.

© SZ vom 30.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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