Formel 1:Hamilton hat es satt

F1 Grand Prix of Russia - Previews

Lewis Hamilton und Mercedes sind vor dem Rennen in Sotschi in einer ungewohnten Situation.

(Foto: Clive Mason/Getty Images)
  • Das Mercedes-Team um Weltmeister Lewis Hamilton ist seit der Sommerpause sieglos.
  • Beim Formel-1-Rennen in Sotschi müssen die Silberpfeile den Trend stoppen, um den Rivalen Ferrari auf Abstand zu halten.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der Formel 1.

Von Elmar Brümmer

Sätze wie diesen muss Toto Wolff selten sagen, und deshalb sagt der Mann an der Spitze des Formel-1-Rennstalls von Mercedes auch nicht einfach, "wir haben es vermasselt", sondern: "Wir haben es voll vermasselt." Vierter und Fünfter in einem Chaos-Grand-Prix auf den Straßen von Singapur zu werden, das ist für das seit sechs Jahren dominierende Team tatsächlich ein Debakel, allerdings nur gemessen an jenen fünf Doppelerfolgen und acht Siegen in der Serie zu Saisonbeginn. Oder dann, wenn sich die Momentaufnahme aus der Nacht am Äquator tatsächlich zu einem Trend verfestigen sollte. Das macht den Großen Preis von Russland am Sonntag (13.10 Uhr MESZ/RTL und Sky), das zweite Rennen binnen weniger Tage, tatsächlich zu einem wichtigen Wegweiser.

Nicht nur für Mercedes, auch für Ferrari. Sebastian Vettel und Charles Leclerc haben im Ferrari die vergangenen drei Rennen gewinnen können. Leclerc zwei, weil er so viel mehr Power in seinem roten Dienstwagen hat als Lewis Hamilton in seinem silbernen, Vettel eines, weil er im richtigen Moment zur Stelle war, einen der wenigen Mercedes-Fehler auszunutzen. Sechs WM-Läufe sind es noch, ernsthaft glaubt noch niemand, dass das sechste Double von Fahrer- und Konstrukteurs-WM gefährdet ist. Lewis Hamilton hat 65 Punkte Vorsprung auf seinen Teamkollegen Valtteri Bottas, Leclerc hinkt als Dritter schon 96 Zähler hinterher. In der Konstrukteurwertung steht es 527:394.

Doch Mercedes hat seit der Sommerpause kein Rennen gewonnen, und Ferrari hat nicht nur einen gewaltigen PS-Überschuss, sondern erstmals auch das Auto in Balance gebracht. Neue Teile, neue Abstimmung, neue Strategie - als wenn es ein Saisonanfang wäre und nicht das Ende. Vieles geschieht schon mit Blick auf 2020, um im nächsten Frühjahr bei einem sich kaum veränderten Reglement mindestens ebenbürtig zu sein mit den Abo-Weltmeistern. Mercedes spürt diesen Atem; Lewis Hamilton grummelt, dass sein Auto schon lange kein technisches Upgrade mehr bekommen habe. "Ich bin nicht der Typ, der sich Sorgen macht. Aber wir sind uns der Lage bewusst. Eine kurzfristige Lösung für unseren Nachteil bei der Power gibt es nicht", sagt der Champion, "und ich glaube nicht, dass wir bei einem der nächsten Rennen Favorit sind. Aber das bedeutet nicht, dass wir nicht gewinnen können. Wir haben sechs Versuche, es wieder besser zu machen."

In Sotschi, in Putins Autodrom mit seinem glatten Asphalt und der beinahe zwei Kilometer langen Geraden, sollten sich die angeblich 50 Zusatz-PS von Ferrari klar bemerkbar machen. Mercedes kann den Nachteil nur mit einer rundum perfekten Leistung kontern. "Aber in den letzten drei Rennen haben wir nicht 100 Prozent unserer Möglichkeiten abgerufen", bilanziert Hamilton. Chefingenieur Andrew Shovlin drückt es drastischer aus: "Wir haben am leeren Tor vorbeigeschossen."

Als Hamilton zuletzt vier Rennen in Serie nicht gewann, wurde Nico Rosberg Weltmeister

Muss ein Dauersieger das Verlieren lernen? "Du musst immer besorgt und auf der Hut sein. Wenn man sich auf seinen Lorbeeren ausruht, wird man erwischt", bilanziert Toto Wolff; er vertraut aber auf die mentale Stärke im Rennstall aus Brixworth. Die Strategen, die in Singapur einen Tick zu lange gezögert haben, hätten sich sofort bei allen Betroffenen entschuldigt. Überhaupt, verrät Wolff, werde eine Unternehmenskultur gepflegt, in der auch mal Fehler erlaubt sind. Diese Souveränität macht einen Teil der Erfolge aus: Lediglich sieben Mal seit Beginn der Hybrid-Ära 2014 kam es vor, dass - wie in Singapur - kein Fahrer im silbernen Rennanzug auf dem Podium stand.

Beim Gegenüber Ferrari hat der enorme Erfolgsdruck zur schnellen Genesung beigetragen, nachdem in der ersten Saisonhälfte Siegchancen verschleudert wurden. Die jüngste Serie mit drei Siegen, so etwas gab es seit zehn Jahren nicht mehr. "In nur drei Rennen vom hässlichen Entlein zu einem Raumschiff geworden", fabulierte die Zeitung La Repubblica.

Thema sind mal wieder die Reifen. Die Crew der Silberpfeile hadert mit dem komplizierten Prozess, das Gummi-Potenzial maximal zu erschließen. Die Launenhaftigkeit des Materials steht inzwischen in krassem Gegensatz zur mannschaftlichen Geschlossenheit. Klaglos akzeptierte Valtteri Bottas die Stallorder von Singapur, als er auf Anweisung vom Kommandostand auf einer Runde drei Sekunden langsamer fahren musste, damit der Kollege Hamilton wenigstens Vierter werden konnte. "Gegen den Instinkt und für das Team", erklärt der Finne seinen Bremser. Hamilton selbst hofft darauf, dass die Fernsteuerung eine Ausnahme bleibt: "Ich brauche keine Hilfe in meinem Job." Im Rennen ist der Mercedes W10 immer noch konkurrenzfähig, die Problemzone ist eher die Qualifikation. Formel-1-Geschäftsführer Ross Brawn sieht "definitiv" noch keine rote Revolution: "Im Rennen sind die Silberpfeile immer noch die stärksten. Bei den Gegnern muss schon alles perfekt laufen, um sie zu schlagen. Aber bei Mercedes weiß man jetzt, dass man keinen Moment entspannen kann."

Dass Lewis Hamilton mal vier Rennen in Serie nicht gewann, geschah zuletzt 2016. Damals gab jene WM-Phase im Spätsommer den Ausschlag dafür, dass er seinen Titel an Nico Rosberg abtreten musste. Jetzt ist die Situation eine andere. Hamilton könnte mit Leichtigkeit versuchen, seinen klaren WM-Vorsprung über die Runden zu kriegen. Doch dazu ist er nicht der Typ. Von seinem Mercedes-Team fordert er mehr Aggressivität, die Leistung von Ferrari respektiert er: "Sie sind wahnsinnig hungrig und geben absolut alles." Aber jetzt hat er das auch satt.

Zur SZ-Startseite
Grand Prix von Singapur

Formel 1 in Singapur
:Hat der richtige Ferrari gewonnen?

Nach seinem Triumph in Singapur erteilt Sebastian Vettel dem elf Jahren jüngeren Teamkollegen Leclerc eine Lektion in Demut. Teamchef Binotto muss den Friedensengel geben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: