Formel 1: Vettel gewinnt in Melbourne:Beängstigende Überlegenheit

Sebastian Vettel gewinnt den Grand Prix von Melbourne vor Lewis Hamilton, ein russischer Fahrer überrascht mit dem dritten Platz. Die Mercedes-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg dagegen erleben ein schlimmes Wochenende.

Jürgen Schmieder

Als Sebastian Vettel die Ziellinie überquerte, da riss er die rechte Faust nach oben. Dann bedankte er sich bei seiner Mannschaft: "Brillantes Auto, brillantes Rennen. Was für eine Art, das Jahr zu beginnen." Die Antwort seiner Boxencrew: "Gratuliere! Aber nicht vergessen: Wir haben eine Menge gelernt heute!"

In der Tat hat Vettel viel gelernt an diesem Wochenende: Er hat gelernt, mit den neuen Reifen zurechtzukommen und rechtzeitig an die Box zu fahren. Er hat gelernt, wie man am Start seine Position verteidigt. Er hat gelernt, dass ein Pilot ohne das Umklappen des Heckflügels Rennen gewinnen kann. Vor allem aber dürfte er gelernt haben: Er ist den Konkurrenten deutlich überlegen.

Grundsätzlich dient das erste Rennen einer Formel-1-Saison dazu, den Protagonisten ein erstes Ergebnis dafür zu liefern, wie gut sie in der Winterpause im Vergleich zu den Konkurrenten wirklich gearbeitet haben. All die Interpretionen der Testfahrt-Zeiten sind hinfällig, als erste Standortbestimmung dient allein das erste Rennwochenende.

Es war weniger Sebastian Vettels Dominanz im Qualifying, sondern vielmehr die selbstbewussten Aussagen der Red-Bull-Verantwortlichen danach, die den Konkurrenten Stirnrunzeln bereiten dürften. "Das war nicht optimal", hatte Teamchef Christian Horner gesagt. Wohlgemerkt: Vettel lag fast acht Zehntelsekunden vor dem Zweitplatzierten der Qualifikation, Mark Webber stand auf Startplatz drei. So eine überhebliche Aussage ist beängstigend - und sie ist umso beängstigender, weil sie berechtigt ist.

In diesem Jahr jedoch waren aufgrund der Regeländerungen und Neuerungen auch noch andere Fragen zu beantworten: Würde es ein Gedränge an der Box geben, weil die neuen Reifen tatsächlich nur bedingt haltbar sind? Würden sich die Fahrer auf der Strecke aufgrund von Kers und verstellbarem Heckflügel tatsächlich in jeder einzelnen Runde spektakulär duellieren? "Es könnte ein bisschen chaotischer werden", hatte Vettel vor dem Rennen prophezeit.

Der Start im Albert Park verlief für Vettel zunächst einmal wenig chaotisch, er blieb vorne - übrigens ohne Zuhilfenahme der Kers-Technologie -, er fuhr rasch einen Sieben-Sekunden-Vorsprung heraus und überließ die spektakulären Duelle zunächst den anderen Piloten.

Lewis Hamilton und Mark Webber kämpfen um Platz zwei (Hamilton gewann), weiter hinten stritten sich Jenson Button und Felipe Massa (Button gewann, kürzte jedoch ab und wurde bestraft) und schließlich überholte Fernando Alonso seinen Teamkollegen Massa ohne Probleme (und wurde nicht bestraft, weil in dieser Saison Teamorder wieder erlaubt ist). In diesem Getümmel wäre beinahe unbemerkt geblieben, dass sich Renault-Pilot Witali Petrow auf den dritten Rang geschoben hatte und dort zunächst auch blieb.

Nach diesen ersten aufregenden Momenten folgten die zahlreichen Fahrten an die Boxen. "Meine Reifen lassen extrem nach", funkte etwa Sebastian Vettel seinem Teamchef, ehe er zu den Mechanikern eilte, um die Reifen austauschen zu lassen. Für Spannung sorgten der extrem hohe Reifenverschleiß und die damit verbundenen Stopps eher weniger, weil alle Piloten gleichermaßen damit zu kämpfen hatten. Vielmehr verzichteten die Fahrer auf allzu aggressive Manöver, um die Reifen zu schonen. "Solltest du nicht mehr kommen wollen, denke daran, dass noch 21 Runden zu fahren sind", bekam etwa Lewis Hamilton mitgeteilt.

Spannung nur im hinteren Teil des Feldes

An der Spitze des Feldes änderte sich deshalb während des gesamten Rennens nur wenig, Vettel gewann dieses Rennen, ohne sich auch nur einmal auf der Strecke mit einem anderen Fahrer duellieren zu müssen. Hamilton blieb ebenfalls relativ kampflos auf Platz zwei, Petrow sicherte sich nach unauffälliger aber effektiver Fahrt den dritten Platz. Er ist damit der 196. Fahrer und der erste russische Pilot, der in der Geschichte der Formel 1 am Ende auf dem Podest landet.

Sebastian Vettel, Mark Webber, Lewis Hamilton

Dominant wie in der vergangenen Saison: Sebastian Vettel beim Grand Prix in Melbourne.

(Foto: AP)

Die spannenden Manöver gab es deshalb, wie schon während der ersten Rennhälfte, ein wenig weiter hinten. Alonso und Webber stritten sich fast eine Stunde lang um den vierten Rang (Alonso gewann) - und auch Sauber-Pilot Sergio Perez erhielt von seinem Rennleiter die Aufforderung, doch bitte Jenson Button zu Überholen, immerhin McLaren Fahrer. Button jedoch konnte den sechsten Platz behaupten.

Mercedes GP dagegen erlebte einen bitteren Saisonauftakt. "Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen", hatte Michael Schumacher nach Platz elf im Qualifying gesagt. Auch während des Rennens war Schumacher dann nur selten da, wo er sein wollte. Am Start kollidierte er mit Jaime Alguersuari, eine Runde später kam er auf drei Reifen an die Box, dann lag er rundenlang auf dem letzten Platz - und in Runde 23 stellte er seinen Dienstwagen in die Garage. "Bis Kurve drei war alles in Ordnung", sagte Schumacher sarkastisch. "Wir sind mit anderen Erwartungen hierher gereist, jetzt müssen wir intensiv daran arbeiten, was uns noch fehlt."

Zwei Runden später parkte Teamkollege Nico Rosberg im Gras neben der Strecke, nachdem Rubens Barricchello sein Auto bei einem übermotivierten Überholversuch touchiert und unbrauchbar gemacht hatte. Rosberg hatte lange Zeit den siebten Rang belegt und war mit den Reifen äußerst vorsichtig umgegangen. "Das war kein super Manöver von Barrichello", sagte Rosberg danach - und war ähnlich wie Schumacher mit seinem Auto unzufrieden. "Wir verstehen nicht so ganz, warum wir jetzt im Niemandsland sind. Wir werden uns verbessern - nur wie viel, das ist die Frage."

Das erste Rennen dient bisweilen auch dem Festlegen der Hierarchie im eigenen Team - und auch in diesem Fall lieferte der Grand Prix in Melbourne aufschlussreiche Erkenntnisse. Vettel war deutlich schneller als Webber, Hamilton flinker unterwegs als Button, Petrow lag deutlich vor Heidfeld - und Massa musste seinen Kollegen Alonso gar freiwillig passieren lassen.

Nach dem Grand Prix von Australien folgen noch noch 18 Rennen in dieser Saison. Das erste Rennen hat Sebastian Vettel nicht gewonnen, er hat es dominiert. "Wenn man am Ende vorne steht, dann habe ich nichts dagegen, dass es nicht so spannend ist", sagte Vettel nach dem Rennen. "Als der Druck von Hamilton nachließ, konnte ich die Situation ein wenig besser kontrollieren. Es gab heute eine Menge Dinge, die wir lernen konnten, und wir müssen uns das Rennen noch einmal anschauen."

Die Aussage von Red-Bull-Berater Helmut Marko war noch selbstbewusster, ja beängstigend selbstbewusst: "Wir haben unser Tempo an Hamilton orientiert, um notfalls noch einen Stopp einlegen zu können." Das heißt übersetzt: Hätten wir gemusst, hätten wir noch schneller fahren können.

Es war eine beeindruckende und beängstigend überlegene Vorstellung, wirklich spannend war es jedoch nicht. Vettel dürfte das ziemlich egal sein. Er hat ja viel gelernt bei diesem Rennen.

Ergebnis:

1. Sebastian Vettel (Heppenheim) Red Bull 1:29:30,259 Std. (Schnitt: 206,184 km/h);

2. Lewis Hamilton (England) McLaren Mercedes + 22,297 Sek.;

3. Witali Petrow (Russland) Lotus Renault + 30,560;

4. Fernando Alonso (Spanien) Ferrari + 31,772;

5. Mark Webber (Australien) Red Bull + 38,171;

6. Jenson Button (England) McLaren Mercedes + 54,304;

7. Sergio Perez (Mexiko) Sauber + 1:05,845 Min.;

8. Kamui Kobayashi (Japan) Sauber + 1:16,872;

9. Felipe Massa (Brasilien) Ferrari + 1:25,186;

10. Sébastien Buemi (Schweiz) Toro Rosso + 1 Runde;

11. Adrian Sutil (Gräfelfing) Force India + 1 Runde;

12. Paul di Resta (Schottland) Force India + 1 Runde; 13. Jaime Alguersuari (Spanien) Toro Rosso + 1 Runde;

14. Nick Heidfeld (Mönchengladbach) Lotus Renault + 1 Runde;

15. Jarno Trulli (Italien) Lotus + 2 Runden;

16. Jérôme d Ambrosio (Belgien) Virgin + 4 Runden

Ausfälle: Pastor Maldonado (Venezuela) Williams (10. Runde/Defekt); Heikki Kovalainen (Finnland) Lotus (20. Runde/Defekt); Michael Schumacher (Kerpen) Mercedes (20. Runde/Defekt); Nico Rosberg (Wiesbaden) Mercedes (23. Runde/Kollision); Rubens Barrichello (Brasilien) Williams (49. Runde/Kollision); Timo Glock (Wersau) Virgin (50. Runde/Defekt)

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