Es gibt nicht viel, dass sich Stefano Domenicali von Bernie Ecclestone abgeguckt hat. Der Unterschied zwischen dem Italiener, der heute an der Spitze der Formel 1 steht und dem Briten, dem Strippenzieher von früher, zeigt sich schon im Titel. Domenicali, 56, firmiert als CEO - Ecclestone, mittlerweile 91, trat immer nur als Zampano auf. Eins eint die beiden allerdings: Sie verstehen es, zum Wohle des Geschäfts ihre Vertragspartner immer ein bisschen im Ungewissen zu lassen. Domenicali macht das Ganze zwar wenig charmanter - aber auch dank seiner knallharten Verhandlungstaktik zahlt sich der weltweite Boom der Formel 1 gerade richtig aus.
Am anderen Ende der Welt, also in Australien, haben sie lange genug warten müssen, um sich wieder einreihen zu können. Kurze Rückblende: Es ist ein Freitag der Dreizehnte, an dem im März 2020 das Rennen in Melbourne abgesagt wird, obwohl die Zuschauer schon vor den Toren stehen - Corona-Angst. Danach ist nichts mehr wie vorher, der in den Herbst 2021 verschobene australische Grand Prix wird erneut zum Covid-19-Opfer. Die Formel 1 zieht zwei Rumpf-Rennjahre durch und gewinnt auch dadurch gewaltig an Popularität.
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Beim Großen Preis von Australien wird der Ferrari-Pilot vor Weltmeister Max Verstappen starten. Sebastian Vettel erlebt bei seinem Comeback einen weiteren Tiefschlag.
Nach 760 Tagen ist sie jetzt zurück in Melbourne, und für die Australier, aber auch für viele Fahrer fühlt es sich nach zwei Gastspielen im Mittleren Osten an, als ob die Saison mit dem am Sonntagmorgen deutscher Zeit (7 Uhr, Sky) gestarteten Rennen erst richtig los geht. Über das Wochenende verbreiten zusammen 400 000 Zuschauer Partystimmung im Strand-Stadtteil St. Kilda. Melbourne hat auch gewaltigen Nachholbedarf, die Metropole an der Port-Philip-Bucht musste 262 Tage Lockdown ertragen, ein trauriger Weltrekord. Die Formel 1 wird fast zu einer Art Bote der Freiheit.
Ein Rennen in Deutschland? Das könnte erst wieder Thema werden, sollten Porsche oder Audi in die Formel 1 einsteigen
Bei aller Sportbegeisterung in der Stadt am Yarra River gibt es auch Kritiker an den über eine Milliarde Aussie-Dollars an Steuergeldern, die im letzten Vierteljahrhundert in Rennen und Rennstrecke investiert wurden. Die temporäre Piste im Albert Park ist hübsch gemacht worden seit dem letzten Gastspiel. Die Strecke wurde neu asphaltiert, fünf Kurven wurden umgestaltet, zwei flogen ganz raus. Mehr Tempo, mehr Überholmöglichkeiten, mehr Risiko - und damit mehr Attraktivität.
Überall auf der Welt verbessern sie gerade die Strecken, denn zwischen den Veranstaltern ist ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb entbrannt, seit sich die Formel 1 vor Anfragen reicher Städte oder Länder nicht mehr retten kann. Im kommenden Jahr werden Katar und Las Vegas Fixpunkte im WM-Kalender werden. Maximal 25 Rennen pro Saison haben die Rennställe zugestimmt, in diesem Jahr soll die vorläufige Rekordzahl von 23 erreicht werden, obwohl Russland sofort nach Beginn des Ukraine-Krieges gestrichen wurde. Schon träumt Domenicali von 30 Terminen, und er versucht die Zahl geschickt hochzupokern.
Wenn die Nachfrage nach Rennen die Möglichkeiten des Terminkalenders übersteigt, werde eben selektiert. Jeder Zugang dürfte deutlich höhere Startgelder als die meisten etablierten Großen Preise bezahlen, warum also auf Zusatzeinnahmen verzichten? Um das neue Gesicht der Königsklasse zu prägen, droht Domenicali damit, bisherige Klassiker entweder zu streichen oder sie rotieren zu lassen. Von einem Rennen in Hockenheim oder auf dem Nürburgring ist dabei allerdings längst keine Rede mehr - wer sollte es dort auch bezahlen wollen oder können. Das ändert sich vielleicht erst mit dem möglichen Einstieg von Porsche oder Audi.
Lewis Hamilton wünscht sich ein Rennen in Südafrika
Glück für das Formel-1-Engagement ist dabei, dass einige Verträge auslaufen. Das schafft Platz oder erhöht die Offerten. Der französische Rennfahrer Pierre Gasly, dessen Heimrennen in Le Castellet offenbar trotz der Bemühungen von Emmanuel Macron auf der Kippe steht, warnt: "Heutzutage ist kein Rennen mehr sicher." Der alte Kampf zwischen Kultur und Kohle tobt, bei dem die Tradition auf der Strecke bleiben könnte. "Wir müssen eine Balance zwischen Alt und Neu finden", fordert Weltmeister Max Verstappen, der im vergangenen Jahr erstmals zuhause in Zandvoort antreten durfte: "Auf den historischen Kursen macht es am meisten Spaß zu fahren."
Für Sebastian Vettel ist es schlichtweg "unvorstellbar", Rennen wie Melbourne oder Monza zu verlieren, aber auch er weiß: "Am Ende ist die Formel 1 natürlich immer Geschäft." Was das Gleichgewicht angeht, denkt der siebenmalige Champion Lewis Hamilton viel weiter: wenn er sich ein Rennen wünschen dürfe, dann eins in Südafrika - das 1993 zuletzt im WM-Kalender war.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat keine Sorge, dass es zu einer Übersättigung kommt. Er guckt auf die rein wirtschaftliche Balance: "Für die Zuschauer am Fernsehen in den sozialen Medien ist es egal, wo wir fahren. Aber auf den traditionellen Strecken treten wir für die lokalen Fans an. Und wie wir in Melbourne sehen - sie danken es uns mit einer großen Kulisse." Der Vertrag von Melbourne läuft 2025 aus, die Australier würden ihn sofort verlängern, am liebsten gleich um zehn Jahre.