Papaya ist eine fröhliche Farbe. Zum McLaren-Rennstall passt sie auch deshalb besonders gut, weil sie den Wandel von einem durch und durch anthrazitfarbenen Traditionsrennstall mit permanent nachlassendem Erfolg hin zum aktuellen Formel-1-Spitzenreiter markiert. Die Machtverhältnisse in der Motorsport-Königsklasse waren vergangenen Sonntag vom Regenrennen in Melbourne verschleiert worden, weshalb an diesem Wochenende beim Großen Preis von China alles von Neuem beginnt. Das britische Team tritt dann zwar mit einem Sieg von Lando Norris im Rücken an, aber auch mit der ersten Zurücksetzung von dessen Partner Oscar Piastri.
Eine gute Beziehung zwischen den beiden gleichwertig erscheinenden Talenten soll durch die so genannten Papaya Rules aufrechterhalten werden. Der wichtigste Punkt dieser Regeln besagt, dass sich die beiden Teamkollegen nicht gegenseitig ins Auto fahren dürfen, vor allem die meist heikle Startphase ist geregelt. Aber wie das gelegentlich so ist mit der Bürokratie – sie hält dem wahren Leben nur bedingt stand. Zweites Rennen, nächste Konfliktsituation: Stallorder oder Stallkrieg.

Nachruf auf Eddie Jordan:Der Teamchef, bei dem die Schumacher-Brüder anfingen
Eddie Jordan hatte ein Gespür für Talente und fürs Geschäft: Bei ihm begannen Michael und Ralf Schumacher ihre Formel-1-Karrieren. Der Ire war viel zu unkorrekt, aber genau das machte ihn so legendär. Nun ist Jordan im Alter von 76 Jahren gestorben.
Vor allem ein Fall hat gezeigt, wie wichtig eine klare Regelung ist. Ayrton Senna und Alain Prost gingen einst so aufeinander los, dass sie mit ihrer ausartenden Fehde 1988 sogar eine perfekte Saison des McLaren-Rennstalls mit 16 Siegen verhinderten. Prost hatte Senna damals beim Rennen in Monza derart unter Druck gesetzt, dass der Brasilianer in der entscheidenden Schlussphase zurückstecken und Ferrari den Triumph überlassen musste – sonst wäre er ohne Benzin ausgerollt. Die alte Geschichte bekommt gerade wieder neuen Schwung.
Norris, 25, und Piastri, 23, gelten als das ausgeglichenste Fahrerpaar im aktuellen Feld. Beruhigend und beunruhigend zugleich für Teamchef Andrea Stella. Der hat beiden nämlich freie Fahrt versprechen müssen, und sofort im ersten Rennen das Abkommen brechen müssen.
Piastri muss fürchten, dass Norris’ Rolle als Nummer eins mit der Melbourne-Order zementiert worden sein könnte
„Hold position“, heißt jener Funkspruch, den alle Rennfahrer fürchten, denn Angreifen ist nun einmal der tiefere Sinn dieses Sports und in jedem Fahrer fest verankert. Oscar Piastri war zur Hälfte des Großen Preises von Australien drauf und dran, den führenden Teamkollegen Norris erst einzuholen, dann zu überholen. Bis mitten im Rennen besagte Botschaft vom Kommandostand kam. Stallregie ist in der Formel 1 – im Sinne der Mannschaftsdienlichkeit – seit 2010 nicht mehr verboten. Aber trotzdem wirft jede Regieanweisung die Frage nach der Moral auf, gerade bei den Zuschauern. Es ist ein böses Gespenst.
Aber am McLaren-Kommandostand stehen sie immer noch unter dem Eindruck der Vorsaison, als zwar mit gemeinschaftlichen Anstrengungen der WM-Konstrukteurstitel eingefahren werden konnte. Zugleich hatte das Team den beiden Piloten zu lange freie Fahrt gewährt mit dem Resultat, dass Lando Norris in seinem Titelkampf gegen Max Verstappen am Ende entscheidende Punkte fehlten.

Der Eingriff ins Renngeschehen im Albert Park von Melbourne war reines Risikomanagement, auf der unberechenbaren, nassen Piste wollten die McLaren-Bosse kein unnötiges Rad-an-Rad-Duell riskieren. Wohl wissend, dass der heranpreschende Piastri zu allem entschlossen war, und auch noch zu überrundende Autos vor beiden lagen. Daher kam die Anweisung, den Führenden zu schützen. Diese wurde erst später, als Piastri sich hatte zurückfallen lassen, wieder aufgehoben. Der junge Australier, gerade erst mit einem langfristigen Vertrag ausgestattet, hatte sich über Boxenfunk nur kurz mokiert: „Ich bin zwar schneller als Lando, aber ich mache es.“ Trotzdem muss er fürchten, dass Norris’ Rolle als Nummer eins damit zementiert werden könnte. Piastri wurde in Melbourne nach einem Fahrfehler nur Neunter.
Teamchef Stella hatte behauptet, dass beide Fahrer über den Sachverhalt informiert gewesen waren, was wohl nicht stimmt
Beim Sprintrennen in Shanghai am Samstagmorgen deutscher Zeit wird der 25-jährige Norris als Sechster starten – während Piastri als Dritter beginnt, hinter Lewis Hamilton im Ferrari in der Poleposition und Verstappen. Andrea Stella musste die entsprechend insistierenden Reporter schon in Melbourne beruhigen: „Wir lösen die Handbremse bei Oscar wieder!“ Das Überholverbot sei nur ein temporäres gewesen. Dem Ingenieur war anzumerken, wie bemüht er war, die Brisanz aus dem heiklen Thema zu nehmen. McLaren hatte Anfang 2007 seine Lektion gelernt, als Lewis Hamilton und Fernando Alonso einander das Leben so schwer machten, dass am Ende Kimi Räikkönen im Ferrari lachender Dritter war.
Stella hatte behauptet, dass beide Fahrer über den Sachverhalt informiert gewesen waren, was so aber wohl nicht stimmt. Denn Lando Norris plauderte in Shanghai munter: „Sie haben es nur zu Oscar gesagt, nicht zu mir.“ Der WM-Spitzenreiter macht sich die Argumentation seiner Bosse zu eigen: „Wenn wir im Kampf von der Piste abgekommen wären, hätten wir wie Idioten ausgesehen.“ Das ist die einfachste, schwierigste und rennstallübergreifend entscheidende Regel im Binnenverhältnis zweier Chauffeure: Du darfst alles – bloß nicht crashen. Das ist das Risiko der Teamchefs, die auf Gleichberechtigung setzen. Ihr Kalkül ist dabei, wie von Norris und Piastri in der Vergangenheit vorgeführt, dass einer das Beste aus dem anderen herausholt und sich die Rivalen der Rennbahn gegenseitig im Sinne des Gemeinwohls antreiben.
Der McLaren MCL39-Mercedes mag das am besten ausbalancierte Auto sein, aber die Piloten in einem ebensolchen Gleichgewicht zu halten, das ist noch ein Stück Arbeit. Denn jede noch so vernünftige Order hält dem Rennfahrertemperament meist nur bedingt stand. Auch Piastris vorzeitige Vertragsverlängerung dürfte nur kurz lindernde Wirkung auf aufflammende Konflikte haben. Dafür wird schon sein Manager Mark Webber sorgen, der sich während seiner aktiven Karriere bei Red Bull Racing der Stallregie zugunsten seines internen Konkurrenten Sebastian Vettel erwehren musste. „Wir haben im Laufe der Woche einige gute Gespräche darüber geführt, was wir besser oder anders hätten machen können“, erzählte Piastri und manifestierte seine Position, „und wir haben intensiv diskutiert, wie wir in Zukunft, falls nötig, eine bessere Lösung finden können.“ Es geht ums Fruchtfleisch der Papaya.