Formel 1 in Zandvoort:Königin Maxima könnte neidisch werden

Formula 1 2021: Dutch GP CIRCUIT ZANDVOORT, NETHERLANDS - SEPTEMBER 04: Max Verstappen, Red Bull Racing RB16B, waves to

Im Hintergrund tauchen die niederländischen Fans alles in Orange, vorne rast Max Verstappen vorbei.

(Foto: Charles Coates/Motorsport Images/imago)

Max Verstappen holt die Pole Position bei seinem Heimspiel und wird frenetisch gefeiert. In den Dünen von Zandvoort - dem ersten Großen Preis der Niederlande seit 36 Jahren - könnte er Geschichte schreiben.

Von Philipp Schneider, Zandvoort

Rote Flaggen, ständig rote Flaggen. Man kann sich nicht erinnern, jemals so viele rote Flaggen gesehen zu haben am Freitag und Samstag vor einem Grand Prix. Aber wer dachte noch an all die roten Flaggen, als die Zielgerade in Zandvoort aan Zee in orange Wolken gehüllt wurde an diesem erinnerungswürdigen Samstag an der niederländischen Küste. Als Max Verstappen um 16.21 Uhr auf seinen Red Bull kletterte und rüber winkte zur Haupttribüne, auf der sich tausende Erwachsene wie Kinder austobten und dann in jenen Wölkchen verschwanden, die sie heimlich mit Pyrofackeln selbst produzierten.

Verstappen hatte soeben die siebte Pole Position in dieser Saison herausgefahren, die zehnte in seiner Karriere. Aber diese hier war wertvoller als alle vorherigen. "Die Zuschauer sind unglaublich", rief Verstappen der orangen Wand entgegen. "Heute war gut, ich hoffe, wir können das morgen zu Ende bringen." Und dann brüllte die orange Wand zurück.

F1 Grand Prix of The Netherlands - Qualifying

Die orange Wand beim Großen Preis der Niederlande.

(Foto: Boris Streubel/Getty)

Was in Zandvoort aan Zee an diesem Wochenende zu erleben ist, das gab es so ähnlich schon mal. Es erinnert stark an den Hype in Spanien um den damals 22-jährigen Fernando Alonso, für den Anfang des Jahrtausends der Begriff "Alonsomania" erfunden wurde. Diesmal trägt ein ganzes Volk einen 23-jährigen Rennfahrer auf den Schultern, dass Königin Maxima neidisch werden könnte. In 71 Jahren Formel 1 hat es nie einen Weltmeister aus den Niederlanden gegeben. Und in diesem Jahr ist einer überreif wie der letzte Apfel am Baum.

Verstappen ist im Qualifying 38 Tausendstel schneller als Hamilton

Sobald sich Max Verstappen irgendwo im Fahrerlager blicken lässt und von den Fernsehkameras eingefangen wird, beginnt die Haupttribüne zu vibrieren. Wenn er vor der Box auftaucht, fangen die Fans an zu kreischen. Max hier, Max da - kaum auszudenken, welche Klimax die Euphorie erst erreicht, sollte Verstappen am Sonntag das Rennen gewinnen: den ersten Großen Preis der Niederlande seit 36 Jahren. Ach was, noch besser! Verstappen wäre ja der erste Niederländer, der einen Großen Preis der Niederlande gewinnt. Wenn er es zu Ende bringt.

Er startet vor seinem WM-Rivalen Lewis Hamilton, der lediglich 38 Tausendstel langsamer war. Dahinter parkt dessen Teamkollege Valtteri Bottas. Sergio Perez hingegen im zweiten Red Bull rollt erst als 16. ins Rennen. Verstappen muss es also alleine aufnehmen mit den zwei Silberpfeilen; gleich nach dem Start wird er gejagt werden, denn es ist auf der Strecke in den Dünen sehr schwierig zu überholen. Sebastian Vettel wird nach einer enttäuschenden Qualifikation nur als 17. starten, Mick Schumacher startet als Vorletzter ins Rennen.

"Welch ein Ort, um Rennen zu fahren!", rief Hamilton nach der Zeitenjagd den Niederländern entgegen, als auch er zur Qualifikation befragt wurde. Es war eine trotzige Umarmung aus Worten. Die Niederländer, die sich noch ganz gut daran erinnerten, dass Verstappen von Hamilton bei dessen Heimrennen in Silverstone von der Strecke geschubst worden war, hatten zu Beginn seiner Rede zunächst gepfiffen. Doch Hamilton gab sich unbekümmert, rief zarte Ironie hinein in den Unmut: "Danke an die orangenen Fans, was für ein unglaubliches Event. Ich liebe es, in dieses Land zu kommen, wie man willkommen geheißen wird. Ich weiß das zu schätzen!"

Nach zwei Tagen mit Training und Qualifikation ist absehbar: Sie haben in Zandvoort eine gleichermaßen neue wie tückische Strecke in die Dünen betoniert, die am Sonntag für ein turbulentes Rennen sorgen dürfte.

Sebastian Vettel braucht den Feuerlöscher, Carlos Sainz macht den Abflug

Neuland unter den Reifen. Das ist ein Traum für den Rennfahrer, der sein Talent beweisen kann. Aber ein Alptraum für die Ingenieure, die alles im Vorfeld simulieren möchten. In so einer Situation ist jede Runde, die die Fahrer in den freien Trainings absolvieren können, extrem wertvoll. Am Freitag war es Vettel, der die Lektion in Steilkurvenkunde für alle Piloten jäh unterbrach. Sechs Runden waren gefahren, da hockte er mit einem Feuerlöscher hinter seinem Aston Martin und spritzte Schaum ins Heck. Dunkle Wölkchen stiegen auf und kündeten von einem kleinen Brand. Als Hamilton am Nachmittag wegen eines Öldruckverlustes sein Auto abstellen musste, hing die Formel 1 schon wieder fest - für weitere acht Minuten. Ein Abflug von Nikita Masepin sorgte dann für die dritte rote Flagge am Freitag; und am Samstag ging es munter weiter mit den Rennunterbrechungen.

Im dritten Training setzte zunächst Carlos Sainz jr. seinen Ferrari in die Bande vor der ersten von zwei Steilkurven, die sie anlässlich der Rückkehr der Formel 1 nach Zandvoort errichtet haben. Einer der hochhaushohen Kräne mit dem passenden Namen "Mammut", die die Veranstalter rund um die Strecke geparkt haben, hob den roten Renner von der Piste, die an vielen Stellen so eng ist, dass ein havariertes Auto eigentlich immer im Weg steht.

FORMULA 1 HEINEKEN DUTCH GRAND PRIX 2021 / 04.09.2021, Circuit Park Zandvoort, Zandvoort, FORMULA 1 HEINEKEN DUTCH GRAND

Ferrari-Pilot Carlos Sainz jr. machte schon Bekanntschaft mit der fordernden Strecke in Zandvoort.

(Foto: Bratic/Nordphoto/imago)

Ganz hoch, eher mittel oder tief? Wie rast man möglichst zeitsparend durch die Steilkurven? Das war noch immer die Frage, als schließlich die Qualifikation gestartet wurde. Kurve drei, die Hugenholtzbocht, ist gebaut wie eine Schüssel. Unten mit 4,5 Grad überhöht, dann ansteigend auf 19 Grad an oberen Ende. Wer zu hoch fährt, den rütteln Bodenwellen durch. Der zweimalige Weltmeister Alonso war im Training der Erste, der eine höhere Linie probierte, auf der ihm sehr viel später die meisten Piloten folgten. "Das ist für mich eine Kurve, wo du noch mit der Linie spielen kannst, wo sich Experimente lohnen", sagte Alonso. Klar sei aber auch: "Unsere modernen Renner sind gar nicht für solche überhöhten Kurven gebaut, weder die Frontflügel noch der Unterboden." Ein weiterer Weltmeister bekam gar nicht erst die Gelegenheit, die richtige Strategie zu testen. Kimi Räikkönen, der gerade erst seinen Rücktritt zum Saisonende angekündigt hat, muss seinen Platz im Alfa Romeo Ersatzmann Robert Kubica überlassen, weil er positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Vettels schnellster Versuch im ersten Teil der Qualifikation fiel nicht der Steilkurve zum Opfer. Er wurde ausgebremst von den Haas-Rennwagen, in denen sich Mick Schumacher und Teamkollege Masepin mal wieder ein Elefantenrennen um den vorletzten Platz lieferten. Wobei Vettel die Schuld gar nicht dem dichten Verkehr übereignen wollte. "Wir waren, auch als wir freie Fahrt hatten, nicht schnell genug", sagte er. Masepin klagte danach, es habe eine teaminterne Abmachung gegeben, dass er gar nicht hätte überholt werden dürfen. Schumacher hatte Masepin hinter sich gelassen, um seine Reifen schneller aufzuwärmen, nun konterte er: "Ich weiß nicht, was er da wieder rumerzählt. Ich habe das Team gefragt, ob ich überholen darf und ein Okay bekommen. Ich habe ihn nicht langsamer gemacht, seine Runde ist nicht kaputt gegangen." Jedenfalls stand Schumacher im Weg, als sich Vettel ins Q2 retten wollte - nach der Qualifikation entschuldigte er sich dafür. "Sebastian ist der Letzte, dem ich im Weg stehen möchte", sagte Schumacher. Also noch weniger gerne als dem Teamkollegen.

Ohne die deutschen Piloten ging es weiter - auch mit den roten Flaggen. Erst rauschte George Russell in seinem Williams durch das Kiesbett, Abbruch. Kaum ging es weiter, krachte Russells Teamkollege Nicholas Latifi mit Wucht in die Reifenstapel. Die sechste rote Flagge wurde geschwenkt.

Wenn es am Sonntag so weitergeht, dann fahren die Piloten in den Sonnenuntergang.

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Zandvoort - 03-09-2021, CM.com Circuit Zandvoort, Formula 1 Dutch Grand Prix at the CM.com Circuit Zandvoort , Friday ,

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