Als Max Verstappen am Samstag ins Fahrerlager des Autodromo Internazionale Enzo e Dino Ferrari kommt, begleitet von einem Bodyguard mit beeindruckend breitem Kreuz, geht sofort das große Wuseln los. Alle, die seine Ankunft erwartet haben, wollen Fotos und Autogramme. Ähnlich viele Menschen ziehen an diesem Vormittag sonst nur Charles Leclerc und Lewis Hamilton an, klar, die fahren für Ferrari; und auch Bilder mit Mercedes-Pilot Kimi Antonelli sind beliebt, der in Bologna aufgewachsen ist und erstmals in der Formel 1 auf seiner Heimstrecke in Imola fährt. Verstappen ist Profi, er lächelt für die Schnappschüsse, aber etwas gequält wirkt es bisweilen schon, nach Feiern ist ihm weniger zumute. Der Weltmeister kann gerade nicht zufrieden sein.
Vor dem siebten Rennen dieser Saison am Sonntag (15 Uhr, Sky) rangiert Verstappen in der Gesamtwertung mit 99 Punkten auf Platz drei – wie sein Team Red Bull Racing in der Konstrukteurswertung. Lando Norris kommt auf 115 und Oscar Piastri auf 131 Zähler, sie sind nicht unerreichbar weit weg. Aber die beiden geben in ihren McLaren eindeutig den Takt vor. Besonders Piastri dominiert mit vier Grand-Prix-Siegen und zeigt sich dabei derart abgezockt, wie es einem auf dem Weg zum ersten großen Titel nur helfen kann. Er ist zum neuen Hauptrivalen Verstappens geworden. Dieser musste die Podiumsparty zuletzt öfter den Kollegen überlassen, als es ihm lieb ist. Nach seinem sechsten Platz in Bahrain Mitte April stellte Verstappen resigniert fest: „Ich fahre nicht um die Weltmeisterschaft, ich nehme nur an ihr teil.“ Womöglich ist das dieses Jahr tatsächlich so.

Kimi Antonelli in der Formel 1:Ein besonderer Fahrer unter besonderer Beobachtung
Die Erwartungen an Kimi Antonelli als Nachfolger von Lewis Hamilton sind hoch. Mit einem Erfolg auf seiner Heimstrecke in Imola würde er eine Sehnsucht der Italiener stillen – wäre da nicht diese eine Sache, die aus Sicht der Tifosi anders sein sollte.
Es wirkt zumindest derzeit nicht, als könnte Verstappen mit Red Bull an die vier WM-Titel in Serie noch ein fünftes Championat reihen und mit Juan Manuel Fangio gleichziehen. Zumal Adrian Newey, jahrelang als Design-Mastermind maßgeblich an seinen Erfolgen beteiligt, seit März für Aston Martin tüftelt. Der RB 21 ist Verstappen zu langsam und manche Defizite in der Konstruktion kann selbst das größte Talent nicht komplett ausgleichen. Wobei Verstappen auch in diesem Jahr bewiesen hat, welchen in der Branche gefürchteten Unterschied es machen kann, wenn Max der Maschine seinen Willen aufzwingt. Eine Woche vor dem Desaster von Bahrain gewann der 27-Jährige in Japan mit einer perfekten Leistung. Da half McLaren auch nicht das schnellste Auto im Feld.
Zwischen den Rennen in Miami und Imola dreht Verstappen ein paar Runden im GT3-Auto auf der berüchtigten Nordschleife
Verstappen ist also grundsätzlich schon noch jener Vollstrecker, der die Konkurrenz mit seiner Fahrweise demütigen kann. Auch wenn im Motorsport die Legende umgeht, wonach ein Rennfahrer, der Vater geworden ist, um ein Zehntel pro Runde langsamer wird. In dem Fall sitzt das Problem nicht hinter dem Lenkrad, Verstappen erweitert vielmehr seinen Horizont und legt sich zusätzliche Einheiten in seinen Kalender.
Zwischen den Vaterfreuden und Platz vier am Rennwochenende in Miami und dem Europa-Auftakt diese Woche in Imola, reiste Verstappen in die Eifel an den Nürburgring. Auf der berüchtigten Nordschleife drehte er im Rahmen der offiziellen Probefahrten zum dritten Lauf der Nürburgring Langstrecken-Serie (NLS) ein paar Runden in seinem eigenen Ferrari 296 GT3, betreut vom Schweizer Rennstall Emil Frey Racing. Und stellte auf den 24,358 Kilometern direkt einen neuen Rundenrekord für Sportwagen dieser Klasse auf. Wohlgemerkt, obwohl er die Strecke zuvor nur aus dem Simulator kannte, wo er seinen eigenen Worten zufolge Tausende virtuelle Runden durch die „Grüne Hölle“ gedreht hat.

Inkognito wollte Verstappen dabei eigentlich bleiben. Auf seinem 600 PS starken Wagen stand ein Pseudonym, „Franz Hermann“, daneben die niederländische Flagge. Das Fachmagazin Auto, Motor und Sport bemerkte den Renntourismus als erstes. Und natürlich wurde Verstappen in der Emilia-Romagna zu diesem Ausflug und seinen Plänen befragt.
Im Motorhome von Red Bull versammelten sich um den Tisch, an dem Verstappen Platz nahm, so viele Journalisten, dass sie schon in zweiter und dritter Reihe standen. Also: wieso denn nur Franz Hermann? „Sie haben mich um einen falschen Namen gebeten, und ich sagte: Dann machen wir das so deutsch wie möglich“, erklärte Verstappen, der sich den Namen selbst ausdachte. Mit „sie“ waren die Veranstalter gemeint, denen bewusst war, dass Max Verstappen auf der Starterliste zu deutlich mehr Andrang geführt hätte. Der Wirbel um seine GT3-Fahrt war im Nachhinein trotzdem groß, dabei hatte sein Arbeitgeber selbst kein Problem damit. Bei Red Bull wissen sie um die enorme Motorsport-Passion ihrer Nummer eins. „Das ist meine Leidenschaft – und am Ende auch meine private Zeit“, sagte Verstappen lapidar. Immerhin, mehr Adrenalin gebe ihm definitiv die Formel 1.
Beim Rennen in Imola wird Max Verstappen als Zweiter starten, hinter Oscar Piastri im McLaren
Für ihn ging es dabei weniger darum zu zeigen, dass er auch in einer anderen Klasse quasi aus dem Stand Rundenrekorde aufstellen kann. „Ich wollte einfach Spaß haben“, sagte der Niederländer. Er will beim 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife starten, dafür braucht er eine spezielle Lizenz. Deshalb will sich Verstappen früh vorbereiten und Erfahrung sammeln auf jener Strecke, wo die Formel 1 seit dem schlimmen Feuerunfall von Niki Lauda 1976 nicht mehr gefahren ist: „Wir diskutieren das momentan, ich habe natürlich nicht viel Zeit.“
Red Bull wird alles recht sein, was den Weltmeister bei Laune hält. Der Erfolg des Teams hängt massiv von ihm ab. Keiner seiner Teamkollegen konnte wirklich mit Verstappen mithalten, was auch bedeutet, dass in den Rennen manch strategischer Kniff nicht unterstützend angewandt werden kann. Zuletzt bekam Liam Lawson zu spüren, was es heißt, wenn man nicht liefert. Nach nur zwei Rennen wurde er zum Nachwuchsteam Racing Bulls degradiert. Yuki Tsunoda stieg dafür auf, tut sich jedoch auch schwer mit dem RB 21. In der Qualifikation war das auf spektakuläre Weise zu sehen: In der zweiten Runde verlor der Japaner die Kontrolle über sein Auto, das am Ende des Kiesbetts abhob, sich in der Luft mit viel Tempo drehte – und nach dem Aufprall schwer beschädigt war. Tsunoda blieb unverletzt.
Der Ausflug an den Nürburgring jedenfalls scheint Verstappen gut getan zu haben. Er beendete die Qualifikation als Zweiter hinter Piastri und vor Mercedes-Fahrer George Russell. Damit stehen seine Chancen nicht schlecht auf jener Strecke, an die er gute Erinnerungen hat. Vergangenes Jahr gewann Verstappen in Imola. Ein Podiumsplatz am Sonntag wäre das nötige Beruhigungsmittel gegen die bereits offen ausgesprochene Sorge, dass Verstappen sich trotz bis 2028 unterzeichneten Vertrags und dank leistungsbezogener Ausstiegsklausel verabschieden könnte, wenn es nicht bald besser läuft. Eine Trophäe wäre außerdem das passende Geschenk zum Jubiläum: Imola markiert den 400. Grand Prix von Red Bull Racing in der Formel 1.