Formel 1:Regeln wie aus Gummi

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Zwei Rennfahrer, einer von Regeln ausgebremst: Lewis Hamilton (li.) und Max Verstappen. (Foto: Steve Etherington/Motorsport Images/Imago)

Paragraf 48.12 wird von Paragraf 48.13 ausgehebelt - wer soll das kapieren? Das aktuelle Reglement der Formel 1 muss dringend verschlankt werden.

Kommentar von Philipp Schneider, Abu Dhabi

Viel wurde gefunkt, gestritten und diskutiert im Saisonfinale der Formel 1. Zwischen Rennleitung, Teamchefs, Sportkommissaren und Anwälten. Ein Satz stach dabei heraus. Und dass er an einen der berühmtesten Sprüche der Filmgeschichte erinnerte, das passte gut zum Rennverlauf in Abu Dhabi. "Toto, it's called a motor race. We want car racing", sagte Rennleiter Michael Masi zu Mercedes-Teamchef Wolff. Um ihm nahezubringen, weswegen er beabsichtigte, das Rennen auf Teufel komm raus eine Runde vor Schluss freizugeben und es nicht mit einer Schleichfahrt hinter dem Safety Car enden zu lassen.

"Toto, I have a feeling we're not in Kansas anymore", sagt das Waisenmädchen Dorothy Gale in einem Filmklassiker von 1939 zu ihrem Hund. Ihnen allen, Gale, Hund und Wolff, dämmert nach der jeweiligen Aufklärung, dass sie sich in einer Welt der Wunder befinden: Toto, also der Hund, im Land des "Zauberers von Oz". Toto Wolff im Zauberreich der Formel 1. In beiden Welten gibt es Regeln wie aus Gummi.

Der Satz stach heraus, weil er völlig paradox ist. Masi forderte etwas, was sonst Wolff gerne fordert: Wenn Renntempo gefahren werden kann, dann soll dies auch geschehen. Safety-Car-Phasen sind aus Sicht eines Motorsport-Puristen eine der Sicherheit geschuldete Notlösung, die so schnell wie möglich zu beenden ist. Niemand sieht das eher so als Wolff, der ja selbst ein ehemaliger Racer ist. Warum also die Diskussion?

Kenner aller Paragrafen: Renndirektor Michael Masi entschied, dass das Rennen eine Runde vor Schluss aus einer Safety-Car-Phase heraus wieder gestartet wird. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Weil die Ingenieure hochkomplexe Berechnungen darüber anstellen, in welchen Momenten sie ihre Fahrer zum Boxenstopp rauswinken, welche Reifenmischung sie anschrauben lassen, wie schnell die Pneus abbauen, ob sich neue Reifen überhaupt noch lohnen, kurzum: Sie versuchen den Erfolg zu berechnen, indem sie den Zufall minimieren. Grundlage für alle Kalkulationen ist ein verlässliches Regelwerk. So wie die Erdanziehungskraft dafür sorgt, dass wir nicht alle herumgewirbelt werden wie im Tornado von Oz.

Manche Autos? Oder alle? Über das Wort "any" wird gestritten, als sei es nicht Englisch, sondern Altgriechisch

Aus Wolffs entsetzter Reaktion auf Masis Anweisung, die Autos zwischen Hamilton und Verstappen kurzfristig aus dem Weg zu schaffen und das Rennen eine Runde vor Schluss freizugeben, war klar zu erkennen, dass Mercedes von einer anderen Rechtsgrundlage ausging als Masi. Ob zu Recht oder fälschlicherweise, das können nur Juristen prüfen. Nicht jene Rennkommissare, die Masi freisprachen und damit einen Kollegen beim Automobil-Weltverband. Und die zusätzlich gehörigen Respekt davor gehabt haben werden, Verstappen den gerade erst liebgewonnenen Pokal wieder zu entreißen. Unabhängige Richter.

Dass aber sogar die Kommissare im Urteilsspruch einräumen, ein gewisser Paragraf 48.12 sei "möglicherweise nicht vollständig angewandt" worden, weil er von dem nicht gerade berühmt-berüchtigten 48.13 ausgehebelt wurde, und über die korrekte Übersetzung des Wortes "any" (Alle Autos? Oder nur manche?) brüten, als sei dies nicht Englisch, sondern Altgriechisch, das schreit nach einer Verschlankung des Regelwerks. Gemäß 48.12 wäre Hamilton Weltmeister geworden, doch gefolgt wurde 48.13 und deshalb hat jetzt Verstappen die Krone auf. Wer soll das kapieren?

Im Namen des Rennfahrervolkes ergeht folgendes Urteil: Geschieht in den letzten zehn Runden ein Unfall, der ein Safety Car erforderlich macht, greift der nagelneue Paragraf 1: Das Rennen wird unterbrochen und mit einem stehenden Start fortgesetzt. Schön mit frischen Reifen für alle.

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