Lewis Hamilton in der Formel 1:Man on fire

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Singender Teufel? Das letzte Zweihorn? Lewis Hamilton trägt auch in der Steiermark beim Großen Preis von Österreich seine stets interessante Mode. (Foto: Alessio Morgese/dpa)

Der einstige Seriensieger Lewis Hamilton muss im Duell mit Max Verstappen das Verlieren wieder lernen. Er nimmt das als Ansporn - und verlängert um zwei weitere Jahre bei Mercedes.

Von Philipp Schneider, Spielberg

Lewis Hamilton trug noch seinen Helm, als er neben dem Auto seines Konkurrenten in die Hocke ging, seine Augen ließen sich nicht erkennen. Es konnte trotzdem jeder sehen, was er dachte. So eindeutig, wie sich Hamilton dort positionierte, wie er den Kopf zu Boden neigte, als würde ihn das Gewicht des Helms nach unten ziehen, wie er die Arme hinter dem Rücken verschränkte, als wisse er, dass er noch eine Weile würde starren müssen, um das Geheimnis des Rennwagens direkt vor ihm zu enthüllen, dies alles sollte so aussehen, als wäre er fassungslos nach einem Rennen, in dem ihm sein WM-Konkurrent davon gefahren war. Als reite der eine Rakete und Hamilton bloß einen ergrauten Silberpfeil.

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Kommentar von Philipp Schneider

Als er fertig war mit dem Niederstarren des Ferrari SF71H, der Sebastian Vettel auf wundersame Weise hoch aus der Eau Rouge und rechts an ihm vorbei katapultiert hatte, da sagte Hamilton: "Er hat mich überholt, als wäre ich gar nicht da." Und eine Erklärung hatte er auch parat: "Sie haben ein paar Tricks im Auto!"

Lange her. August 2018. Das Rennen in Spa-Francorchamps. Aber es lohnt sich zu erinnern. Denn die Momente, in denen Hamilton sein Visier so weit öffnet, dass Spuren von Verwundbarkeit zu erkennen sind, sie sind selten.

Als Hamilton am vergangenen Sonntag in Spielberg aus dem Auto kletterte, da waren die Parallelen unverkennbar. Die Berg- und Talsause in Österreich ist eine der Rennstrecken, auf der die Kraft eines Autos wichtiger ist als die fahrerische Exzellenz des Piloten. Diesmal war ihm Max Verstappen auf und davon gefahren wie einst Vettel. Er hatte ihn abgezogen, als wäre der siebenmalige Weltmeister gar nicht da. Fast auf den Tag drei Jahre nach der Erniedrigung in Spa war Hamilton erstmals wieder verwundbar. Er stieg aus dem Wagen, aber diesmal starrte er nicht anklagend auf die Maschine der Konkurrenz, er rief seinen eigenen Ingenieuren eine Botschaft zu: "Gebt mir ein Upgrade, das würden wir lieben!"

Wie sich Hamilton gibt im Angesicht einer Niederlage, das hängt immer davon ab, ob er das Gefühl hat, auf faire Weise besiegt zu werden. Oder eben nicht. Das Hinterherfahren in Spielberg dürfte durchaus ein bisschen zusätzlichen Eifer bei ihm freigesetzt haben. Am Samstag gaben er und Mercedes bekannt, dass sein Ende der Saison auslaufender Vertrag um zwei weitere Jahre verlängert wird. Ende 2023 wird Hamilton dann sagenhafte elf Jahre im Silberpfeil gesessen haben.

Die Formel 1 ist ein technischer Sport, niemand sonst, nicht einmal der Ski- oder Bobfahrer, ist so angewiesen auf die Güte seines Materials wie der Rennfahrer. Das lässt sich theoretisch bedauern. Treibt doch die Neugierde den Menschen stets zur Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wer ist der Beste der Geschichte? Einer wie Muhammad Ali konnte in den Ring steigen und dann so lange Gegner umhauen, die immer größer wurden, bis niemand auf der Welt sein gnadenloses Talent länger übersehen konnte. Dazu brauchte er nur Handschuhe und ein kurzes Höschen. Im Rennsport ist es theoretisch möglich, dass der Beste niemals einen Grand Prix gewinnt, weil er Zeit seines Lebens auf einem lahmen Esel reitet. Hamilton steht kurz davor, zum achten Mal Weltmeister zu werden, die Bestmarke von Michael Schumacher zu überflügeln, wie Ali zum Goat aufzusteigen: Dem Greatest of all time. Aber wie einst bei Schumacher fährt irgendwann auch bei ihm der Zweifel mit ins Rennfahrer-Museum: Welchen Anteil hatte der Mensch, welchen die Maschine? Das ist das Dilemma.

Wie verhält sich ein großer Athlet in einem Moment, in dem der Gegner plötzlich mit Handschuhen in den Ring steigt, die so hart sind, als wären Bleiplatten eingewoben? Fängt er an zu heulen? Oder versucht er, sich Muskeln aus Blei anzutrainieren?

Hamilton hat sich nicht am Gemunkel beteiligt

In den vergangenen Wochen wurde im Fahrerlager gemunkelt, Verstappens plötzlicher Sausewind könne auch daher rühren, dass sein Honda-Motor ein illegales Upgrade erfahren hat. Erlaubt sind während der Saison nur Verbesserungen der Zuverlässigkeit des Aggregats, nicht aber der Einzug von reichlich neuen Pferdestärken unter die Haube. Hamilton hat sich an diesem Gemunkel nicht beteiligt. Er hat zwar hier und da süffisant den extrem biegsamen Heckflügel Verstappens angesprochen, der sich flach stellt bei Höchstgeschwindigkeit und wieder aufrichtet, wenn es nötig ist: in den Kurven. Aber er hat den Wettbewerb akzeptiert. Vor dem zweiten Rennen in Österreich an diesem Sonntag forderte er, Mercedes solle nun herausfinden, "wo wir mehr aus dem Auto herausholen können". Grundlegend verbessert wird es nämlich nicht mehr.

Toto Wolff, sein Teamchef, hat Hamilton zu verstehen gegeben, dass sich die Silberpfeile in dieser Saison nicht mehr am Wettrüsten mit Red Bull beteiligen werden - um die wertvolle Erprobungs-Zeit im Windkanal lieber dem rundum neuen Auto ab 2022 zu gönnen. Aber wie man seit Samstag weiß: In diesem wird dann ja noch immer Hamilton sitzen. "Zum Beginn der neuen Formel 1-Ära ab der Saison 2022 kann ich mir keinen besseren Fahrer im Team wünschen als Lewis", sagte Wolff nun.

Im Angesicht einer ersten Niederlage im Kampf um den WM-Titel, seit ihm diesen vor fünf Jahren ein gewisser Nico Rosberg entriss, ist Hamilton trotzdem jetzt schon bereit, Dinge zu tun, die er sonst nie macht. In dieser Woche ist er eigens aus Österreich zurück nach England geflogen, um sich in den Simulator zu setzen und dort irgendwie die pro Runde fehlenden zwei Zehntel zu entdecken. Im Menschen, nicht an der Maschine. Ein Simulator ist eigentlich eher was für die Nerds, in der nachrückenden Rennfahrergeneration. Aber Hamilton ist on fire, wie sie in England sagen, was bleibt ihm auch sonst?

Es mag sein, dass er zuletzt etwas leiser sprach in seinen Pressekonferenzen, er wolle nicht in eine "negative Blase kommen", versicherte er gerade. Damit meinte er nicht jene aus dem Hygiene-Konzept der Formel 1; er dachte eher an die Jahre an der Seite von Rosberg, seinem Feind aus der Garage nebenan, mit dem er sich das feurigste Duell unter Rennfahrern des vergangenen Jahrzehnts lieferte. Ein Duell, das 2016 bei den Crashs der Teamkollegen in Spanien und Österreich eskalierte. Das aber los ging in einem Moment, in dem sich Hamilton betrogen fühlte: 2014 beging Rosberg am Ende der Qualifikation in Monaco einen Fahrfehler, den Hamilton für vorgetäuscht hielt. Rosbergs Mercedes stand danach im Weg, gelbe Flaggen wurden geschwenkt und Hamilton konnte seine schnellste Runde gar nicht fahren. Rosberg startete von der Pole Position, gewann das Rennen. Auf dem Podium aber gratulierte Hamilton nicht einmal, sprach kein Wort mit ihm, und als ein Reporter wissen wollte, ob der Streit mit Rosberg geklärt sei, da sagte er: "Ich habe keine Antwort für sie."

Von Verstappen fühlt sich Hamilton (noch) nicht betrogen, Tricks am Auto, wie einst bei Vettel, vermutet er auch nicht. Erstmals seit drei Jahren ist er wieder verwundbar. Die Saison aber ist erst zu einem Drittel vorbei. Genug Zeit also, um der Welt zu beweisen, dass der Mensch den Unterschied machen kann in der Formel 1. Und falls das nicht gelingen sollte: Für Titel Nummer acht hat er nun zwei weitere Jahre Zeit.

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