Formel 1:Wunder werden plattgewalzt

F1 Grand Prix of Emilia Romagna

Sie kriegen Lewis Hamilton einfach nicht zu fassen: Valtteri Bottas verbremst und wird Zweiter, Max Verstappen (dahinter) scheidet gar aus.

(Foto: Joe Portlock/Getty Images)

Nach dem Doppelsieg in Imola ist Mercedes mit sieben Titeln der erfolgreichste Serien-Weltmeister der Formel-1-Geschichte. In der Emilia-Romagna profitiert Hamilton auch vom Pech der Konkurrenz.

Von Philipp Schneider

Lewis Hamilton hatte gerade erst wieder den Boden mit seinen Füßen berührt, nach seinem beherzten Sprung aus dem Dienstwagen, als er sogleich hinüber sprintete zu dem Mann, den er jetzt offenkundig an seiner Stelle ins Rampenlicht schieben wollte. Es war eine passende Geste, nachdem zuletzt oft über ihn geredet worden war: Hamilton, den Rekordmann, der inzwischen mehr Siege erlebt hat als der Rekordweltmeister Michael Schumacher. So eine spontane Feiereinlage in ansteckenden Corona-Zeiten ist ja nicht ganz einfach umzusetzen, aber Hamilton trug zum Glück noch seinen Helm auf dem Kopf, als ihm sein Chef förmlich auf den Arm hüpfte.

Und dann trug er Toto Wolff, jenen Mann, mit dem er sich noch immer nicht auf einen Anstellungsvertrag über die Saison hinaus geeinigt hat, für einen Moment über den Asphalt des Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola, als sei er eine Trophäe. Angesichts dieser gelebten Freude war es erstaunlich, dass Hamilton später durchblicken ließ, dass er wohl noch mit guten Argumenten von Wolff zur Unterschrift überredet werden muss. "Ich wäre gern hier nächstes Jahr, es ist nicht garantiert."

Gut, so spontan war die Feier im Mercedes-Lager natürlich auch wieder nicht. Den Schampus haben sie schon vor Tagen eingekühlt, wenn sie so schlau sind, wie man inzwischen annehmen muss. Der Gewinn des siebten Konstrukteurstitels nacheinander wäre Wolff und Hamilton ja nur noch zu nehmen gewesen, wenn sie es ordentlich "vergeigt" hätten, das hatte Wolff vor dem Start zugegeben.

Und so verrät es viel über den Zustand der Formel 1 der Gegenwart, dass es mal wieder die Konkurrenten waren, die es trotz einer ordentlichen Ausgangslage mit Pech vergeigten, den Dauerdominatoren von Mercedes an ihrem Jubeltag zumindest einen weiteren Doppelsieg abspenstig zu machen: Max Verstappen im Red Bull wäre Zweiter geworden, hätte ihn nicht kurz vor Schluss ein Reifenplatzer unsanft ins Kiesbett befördert. Der Niederländer stieg danach aus und trat voller Wut mit dem Fuß gegen die traurigen Überreste des Gummis, das sich nun wie eine Hängebrücke vom rechten Hinterrad über den Heckflügel hinüberzog.

"Es ist beschissen", sagte er später. Und so also kam es, dass nach 63 Runden Hamilton und sein Teamkollege Valtteri Bottas als die Tagesschnellsten vor dem Drittplatzierten Daniel Ricciardo im Renault Seite an Seite zu einer Triumphfahrt ansetzten durften, die der Wucht des sportlichen Ereignisses zweifellos angemessen war: Sieben WM- Titel nacheinander, das ist nun einer mehr, als ihn das fortan nur noch zweitbeste Team der Geschichte gewann: Michael Schumachers Ferrari-Mannschaft zu Beginn des Jahrtausends.

Er werde seinen Enkelkindern von diesem Tag erzählen, plauderte Hamilton in das erste Mikrofon, das ihm am Sonntag vor den Mund gehalten wurde. Das war nett zu hören. Zumal man noch gar nicht wusste, dass seine Pläne zur Familiengründung bereits so weit gediehen sind, dass sie sich strategisch über mehre Generationen strecken. Von einem "riesigen, stolzen Moment" sprach Wolff. Und dann vergaß Hamilton, der in zwei Wochen beim Rennen in der Türkei mit dem siebenmaligen Weltmeister Schumacher an Titeln gleichziehen könnte, auch nicht die Ingenieure aus Brixworth und Brackley, die ihm seit Jahren ein in allen Belangen überlegenes Auto überlassen. "Echte Helden" seien sie.

Die in dieser Saison weniger heldenhafte Scuderia Ferrari fügte sich mal wieder reibungsfrei ein in das Bild der chancenlosen Konkurrenten: Charles Leclerc wurde Fünfter, noch hinter Daniel Kwjat im sogenannten Alpha Tauri. Und Sebastian Vettel? Er wurde nach der nächsten enttäuschenden Qualifikation mit Platz 14 nur Zwölfter. Zunächst zögerte er im Rennen seinen ersten Stopp hinaus. Dann patzte seine Crew - und brauchte 13,1 Sekunden für einen Reifenwechsel, für den andere 2,7 Sekunden benötigten.

Bottas wird plötzlich langsamer

Die Ampeln gingen aus in Imola, zum 15. Mal in seiner Karriere startete Bottas von der Pole Position ins Rennen. Hinter ihm lauerten Hamilton, Verstappen - und Pierry Gasly. An dessen Alpha Tauri wurde kurz vor dem Start noch hektisch gearbeitet, offenbar gab es Probleme mit der Hitzeentwicklung. Bottas startete reaktionsschnell, behauptete die Führung. Verstappen nutzte Bottas' Windschatten, um sich gleich nach dem Start an Hamilton vorbeizuschieben. Er war nun Dritter. Ehe ihn erst das Pech der zwei Piloten vor ihm in Führung spülte. Weiter hinten verbesserte sich Leclerc auf Rang sechs - und Daniel Ricciardo fuhr vorbei an Gasly auf Position vier.

Dort angekommen, merkte der Australier allerdings schnell, dass er das Tempo der ersten Drei nicht würde halten können. Nach vier Runden hatten diese sich schon um sechs Sekunden abgesetzt. "So schwierig zu folgen hier...", stöhnte Hamilton im Funk. Verstappens Red Bull lief tatsächlich gut in Imola, das bestätigten dem Fahrer sogar seine Ingenieure: "Wir sind schneller in allen Kurven, verlieren aber Zeit auf den Geraden", funkten sie.

Nach 19 Umdrehungen hielt Verstappen bei seiner Werkstatt - und zwang so Mercedes zum Handeln. Bottas fuhr nun ebenfalls an die Box, blieb danach aber vor dem Red Bull. Hamilton blieb auf der Strecke und übernahm die Führung. "Ich werde schneller fahren, holt mich nicht rein", funkte er. Und schon waren alle Zutaten gegeben für Hamiltons 93. Rennsieg: Er startete die ersten Überrundungen, mit dem Ziel, seinen Vorsprung auf Bottas so zu vergrößern, dass er auch nach seinem Stopp vor ihm bleiben würde. Und Bottas fuhr plötzlich deutlich langsamer, womit er auch noch Verstappen ausbremste. Von seinem Team wurde Bottas unterrichtet, für seine Langsamkeit sei ein Schaden am Unterboden verantwortlich. Dieser sei verursacht worden von einem "Fremdkörper", vermutlich schon in der zweiten Runde.

Vorübergehend rollte Vettel nun auf Platz vier. Dieser war dem Umstand geschuldet, dass er wie Hamilton noch nicht an der Box gehalten hatte. In solchen Situationen wünschen sich Fahrer mit gebrauchten Reifen ein Safety Car, das das Feld verlangsamt. Und siehe da: Schwupps! Da war es! Esteban Ocon war gerade mit seinem Renault ausgerollt, also wurde das virtuelle Safety Car aktiviert: Und zwar gerade lang genug, dass Hamilton profitierte, nicht aber Vettel, der weit entfernt war vom Boxeneingang. Als Hamilton nach der Pause auf die Strecke bog, lag er 3,7 Sekunden vor Bottas. Wenn es läuft, dann läuft's.

Verstappen überholte 20 Runden vor Schluss zwar noch den lahmenden Bottas, doch acht Runden später, nach seinem Reifenplatzer, schlug seine Freude um in Wut im Kiesbett. Die folgende Safety-Car-Phase sorgte noch einmal für Hektik an den Boxen und einen Wiederstart. Was aber ausblieb, das war ein Wunder. Denn auch Wunder werden seit sieben Jahren plattgewalzt von Lewis Hamilton und Toto Wolffs perfekter Maschine aus Brackley.

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