Für sich selbst hat Lewis Hamilton Hasenohren gewählt, der junge Rennfahrerkollege Carlos Sainz jr. wird zum Reh gemacht. Lustige Bilder, auf Snapchat verbreitet, aufgenommen und verziert vom Formel-1-Weltmeister persönlich: "Ich lach' mich tot über diesen Quatsch", schreibt der 31 Jahre alte Hamilton dazu.
Dass der Mercedes-Fahrer sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Motorenexplosion beim Rennen in Malaysia am vergangenen Sonntag lieber mit seinem Smartphone beschäftigte als mit den Fragen der Journalisten - das fanden nicht alle lustig: Einige Vertreter der britischen Presse warfen Hamilton nach seinem Einstand zum Großen Preis von Japan, der an diesem Wochenende in Suzuka ausgetragen wird (Rennstart am Sonntag, 7 Uhr/MESZ), Respektlosigkeit vor. Was Hamilton ebenfalls über einen Social-Media-Kanal konterte: "Manche nehmen sich einfach zu ernst", schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter.
Sebastian Vettel:Strafversetzung beim nächsten Rennen
Die Kollision mit WM-Spitzenreiter Nico Rosberg hat Konsequenzen: Der Ferrari-Pilot muss beim Grand Prix in Suzuka/Japan drei Plätze weiter hinten ins Rennen starten.
23 Punkte Rückstand auf Teamkollege Nico Rosberg bei noch fünf Rennen - da stellt sich die Frage: Ist die Sorglosigkeit bloß gespielt? Suzuka, wo Hamilton in den vergangenen beiden Jahren gewann, obwohl Rosberg auf der Pole-Position stand, ist jedenfalls fast schon ein Alles-oder-nichts-Rennen für seine Titelverteidigung. Rosberg tritt Hamiltons digitalen Blödeleien betont seriös entgegen. Er meide "Spiele auf dem PC oder Party bis fünf Uhr morgens" richtet er aus, stattdessen widme er sich lieber "meiner Frau und meiner wunderbaren kleinen Tochter".
Es sind offenbar nicht nur zwei sehr unterschiedliche Typen, die da im Duell um den Titel aufeinanderprallen, sondern fast so etwas wie Weltanschauungen. "Ich habe gelernt, mit meiner Energie zu haushalten, und sie nur für Dinge einzusetzen, die ich beeinflussen kann", sagt Rosberg, so, als rezitiere er gerade aus einem Motivations-Handbuch. Dass Hamilton für eine Aufholjagd womöglich die Zeit davonläuft? "In solchen Situationen kommt Lewis eigentlich immer noch stärker zurück", weiß Rosberg, der aber behauptet: "Ich denke nicht an das Pech von Lewis, sondern an mich, und schaue nur von Rennen zu Rennen."
Endspurt im Titelkampf
Das Technik-Drama in Malaysia, wo Hamilton auf dem Weg zum Sieg in Führung liegend mit einem Motorschaden ausfiel, hat es für die Chefetage nicht einfacher gemacht. Teamchef Toto Wolff und Aufsichtsrats-Chef Niki Lauda, die Hamilton im Privatjet von Kuala Lumpur mit nach Tokio nahmen, weisen immer wieder darauf hin, dass sie ein Berührungsverbot für Hamilton und Rosberg erlassen haben. Nicht nur, damit an diesem Wochenende der Konstrukteurs-Titel wieder eingefahren werden kann, sondern auch, um weitere Eskalationen zu vermeiden und ein weiteres Miteinander zu ermöglichen.
Angreifer Hamilton trägt dabei das größere Risiko, denn Rosberg muss nur noch einmal gewinnen, dann würden ihm in den weiteren Rennen schon zweite Plätze zum Titel reichen. Das Ansehen des Deutschen im Team ist merklich gestiegen. "Er hat seine kleinen Schwächen gegenüber Lewis voll kompensiert und seinen Kopf in die richtige Richtung getrimmt", sagte Oberaufseher Niki Lauda der Fachzeitschrift auto, motor und sport. Ein Indiz: Hamilton hat nur drei seiner acht Pole-Positionen in diesem Jahr in Siege umwandeln können, Rosberg fünf von sieben.
Die Motoren-Forensiker haben inzwischen auch ermittelt, was jenen 50. Grand-Prix-Sieg verhinderte, den Lewis Hamilton jetzt schon seit zwei Monaten jagt: ein Schaden am Kurbelwellen-Endlager. Als Vorsichtsmaßnahme werde man jetzt eine konservativere Ölmischung wählen, verlautbart der Rennstall. Laut Team und Rosberg bedeute das aber keinesfalls einen Leistungsverlust, sondern nur Schonung. Vorsorglich werden aber auch die neuen Ausbaustufen der Motoren für die Kundenrennställe an diesem Wochenende nicht ausgeliefert. Sicher ist sicher.
So sehr Lewis Hamilton einerseits wohl die innere Unruhe treibt, so selbstzufrieden kann er andererseits sein. Den möglichen Titelverlust entweder "höheren Mächten" zuzuschreiben oder der offensichtlichen Pannenserie befreit zumindest öffentlich von Selbstzweifeln. Nein, er sei sogar "glücklich" mit der Leistung, die er in Malaysia gezeigt habe, behauptet er, er habe wie üblich allen Frust vergessen, kaum dass er die Strecke verlassen habe.
Die Malaysia-Panne bedeutete seinen ersten Rennausfall seit mehr als einem Jahr, bei insgesamt drei Motorschäden an Rennwochenenden und drei Kupplungsproblemen am Start. Dennoch ist Hamilton - statistisch betrachtet - der Formel-1-Weltmeister, der über das zuverlässigste Material verfügte. Ob er deshalb im Rahmen einer nächtlichen Charme-Offensive in mehreren Postings den Einsatz der Techniker und Mechaniker lobte? "Das war schon lange geplant, und jetzt war der richtige Zeitpunkt", behauptet der Rennfahrer, "meine ganze Leidenschaft gilt dem Team."