Formel 1:Der rasende Mister Mercedes verabschiedet sich

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Ein Rennen noch im Silberpfeil: Lewis Hamilton wechselt nach dieser Saison zu Ferrari. Bei Mercedes wird dann George Russell (re.) die Führungsrolle übernehmen. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

84 Siege, sechs WM-Titel: Eine längere und erfolgreichere Beziehung zwischen einem Team und einem Fahrer hat es in der Formel 1 nie gegeben. In Abu Dhabi fährt Lewis Hamilton sein letztes Rennen für Mercedes. Bei Ferrari will er den Glauben an sich zurückgewinnen.

Von Elmar Brümmer

Es ist nur ein kleiner Fingerzeig gewesen, aber er zeigte, wo die Reise hingeht. Lewis Hamilton lief die Boxengasse des Yas Marina Circuit entlang, und als er an den Garagen von Ferrari vorbeikam, hob er die rechte Hand zu einem schüchternen Gruß. Einer der Mechaniker in Rot grüßte aus dem Halbdunkel zurück, Hamilton ging weiter in Richtung Mercedes-Box.

Nur die paar Schritte und ein letzter Großer Preis in dieser Formel-1-Saison trennen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft für den Rekordchampion in Abu Dhabi. Einfach im Handumdrehen werden sich Abschied und Neuanfang über das letzte Rennwochenende des Jahres aber nicht erledigen lassen. Das zeigen die vielen Bilder, die in den sozialen Medien im Umlauf sind. Die meisten Erinnerungen sind schwarz-weiß, was der Tragweite angemessen scheint, wenn ein Rennfahrer nach 346 Rennen die Marke verlässt, 246 davon für den Werksrennstall. Eine längere, eine erfolgreichere Beziehung zwischen einem Team und einem Fahrer hat es in der Grand-Prix-Geschichte nie gegeben. Es ist das Ende von etwas Großem.

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Die Hamilton-Nachfolge ist geregelt: Andrea Kimi Antonelli wird nächstes Jahr für Mercedes fahren. Der Italiener ist erst 18 Jahre alt und gilt als großes Talent – bei seinem ersten Auftritt in Monza aber landet er im Reifenstapel.

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Kurz bevor der vielleicht gefühlsbetonteste Pilot der Königsklasse zum vermutlich emotionalsten Team der Serie wechselt, dämmert es vielen erst richtig, dass Silber bald für die Geschichte und Rot für eine zweite Karriere mit dann 40 Jahren steht. Mercedes hat für das Finale seinen Briefkopf um die handgeschriebenen Worte „Thank you, Lewis“ ergänzt. Eine Danksagung, die nicht ohne einen Wust ans Erfolgszahlen auskommen kann: 84 Siege. 78 Pole Positionen. 153 Podestplätze. Acht Konstrukteurs-Weltmeistertitel. Sechs Fahrer-Weltmeisterschaften. Und dann kommen ja noch die Jahre bei McLaren-Mercedes und im Juniorteam hinzu.

„Ich hatte erwartet, dass es schwierig wird, aber ich habe es insgesamt unterschätzt“, sagt Hamilton über sein Abschiedsjahr

Was wäre der Rennstall ohne diesen Fahrer, was der Pilot ohne diesen Rennstall? Eine Londoner Werbeagentur hat die in 4284 Tagen entstandene Dankbarkeit in eine Kampagne gegossen: Every Dream Needs a Team. Riesige Plakate mit dem Slogan und Hamiltons Konterfei werden in den kommenden Tagen auch bei der Abschiedstournee beim Hauptsponsor in Kuala Lumpur, im Stuttgarter Mercedes-Museum und den Rennfabriken von Brackley und Brixworth zu sehen sein. Gebucht wurden dazu riesige Multivisionswände am New Yorker Times Square. Hamilton ist nicht einfach ein Markenbotschafter, wie es ein Boris Becker gewesen ist – er ist der rasende Mister Mercedes.

Wer sonst hätte es schaffen können, dass der heilige Silberpfeil schwarz umlackiert wird, um die Bewegung „Black lives matter“ zu unterstützen? Das Rennstall-Management absolvierte Kurse für mehr Diversität und Inklusion, Hamiltons Überzeugungskraft setzte die Themen für die ganze Formel 1 auf die Agenda. Toto Wolff, sagt der scheidende Fahrer, habe ihm in die Hand versprochen, diese Ziele weiterzuverfolgen. Warum die Beziehung dann endet, bevor sie in ein – ursprünglich geplantes – 13. gemeinsames Rennjahr geht?

Abtasten: Im Sprintrennen von Katar gerieten Lewis Hamilton (re.) und sein künftiger Ferrari-Kollege Charles Leclerc auf der Strecke bei einem Überholmanöver schon eng aneinander. (Foto: Darko Bandic/dpa)

Der Küchentisch spielt nicht nur bei Neuerfindungen in der deutschen Politik, sondern auch in der Karriere des erfolgreichsten Rennfahrers der Königsklasse eine Rolle. Im Haus von Toto Wolff in Oxford gab es zwischen Hamilton und seinem Vorgesetzten, der mehr ein väterlicher Freund ist, entscheidende Gespräche: Als Hamilton nach Nico Rosbergs Überraschungstitel 2016 das Vertrauen ins Team verloren hatte. Als der Fahrer durch eine merkwürdige Regelauslegung beim Finale 2021 um den Titel gebracht worden war. Jedes Mal konnte Wolff den Chauffeur überzeugen weiterzumachen.

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Aber nach den zähen Jahren 2022 und 2023 mit einem neuen Rennwagenreglement, in denen Hamilton erstmals in seiner Karriere sieglos geblieben war, ergab die Küchentisch-Psychologie, dass die Beziehung wohl nicht mehr das werden würde, was sie einmal war. Beide Partner brauchten einen Neuanfang: Lewis Hamilton, der der großen Sehnsucht aller Rennfahrer folgen wollte. Und Mercedes, das in dem italienischen Talent Andrea Kimi Antonelli einen neuen Champion großziehen möchte.

Komisch habe es sich angefühlt, schon das ganze Rennjahr über, erzählte Lewis Hamilton nun in Abu Dhabi: „Ich hatte erwartet, dass es schwierig wird, aber ich habe es insgesamt unterschätzt.“ Er meinte damit nicht sein zickendes Auto, dessen unberechenbares Heck ihm trotz zweier Siege in Silverstone und Spa die Saison versaut hat. Er meinte die Reaktion der Menschen auf den schon im Februar verkündeten Farbwechsel: „Ich habe es unterschätzt. Es hat gedauert, bis die Leute darüber hinweg waren. Es war ein emotionales Jahr für mich. Vielleicht das schlechteste Jahr meiner Karriere, was den Umgang mit meinen Emotionen anging.“

Mercedes-Teamchef Toto Wolff kann sich noch nicht vorstellen, wie Lewis Hamilton in einem Ferrari-Rennanzug aussehen wird

Nun geht es darum, den Glauben an sich zurückzugewinnen, es sich noch einmal beweisen zu können, dass er schnell genug ist, auch für einen achten Triumph. Lewis Hamilton teilt sich den Ruhm als Rekordweltmeister immer noch mit Michael Schumacher. Der Kerpener war zum Karriereende hin den Weg andersherum gegangen, wollte es nach den Ferrari-Triumphen und einer Pause noch einmal bei Mercedes wissen. Von den Ergebnissen her waren die drei Jahre nicht sehr erfolgreich, aber die Basis für die Erfolge des Werksteams war gelegt – Hamilton übernahm gekonnt, nachdem ihn Niki Lauda zum Wechsel überredet hatte. Den Schumi-Vergleich wird der Brite nicht los, da kann er ihn noch so leugnen: „Ich denke nicht daran, mich mit Michael zu vergleichen. Das spielt für mich jetzt gerade keine Rolle.“

Nach Maranello wechseln zu können, das empfindet er nicht nur wegen der kolportierten 65 Millionen Dollar Jahresgehalt als „Traumszenario“. Bei seiner Bilanz in der offiziellen Medienrunde versagte ein paar Mal das Mikrofon, aber seine Worte hatten mehr Gewicht als der Frust nach dem zwölften Platz zuletzt in Katar, als er sich einfach nicht mehr als schnell genug empfunden hatte: „Ein bittersüßes Ende, aber alles davor bleibt unauslöschlich. Es ist das Lachen aus den Zeiten, in denen wir erfolgreich waren, das in Erinnerung bleibt. Das nehme ich mit.“

Teamchef Toto Wolff kann sich immer noch nicht vorstellen, wie Lewis Hamilton in einem Ferrari-Rennanzug aussehen wird (die KI weiß es schon: auch ziemlich gut). Der Österreicher schreibt am Ende eines fast poetischen Abschiedsbriefes: „Lewis hat sich mit Mercedes jeden Traum erfüllt. Aber in Rot Rennen zu fahren – das ist mit den Silberpfeilen einfach nicht möglich.“

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