Leclerc in der Formel 1:Der Mann mit dem Engelsgesicht provoziert

Grand Prix von Singapur

Der Mann mit dem Engelsgesicht: Charles Leclerc.

(Foto: Vincent Thian/dpa)
  • Charles Leclerc testet in der Formel 1 gerade die Grenzen aus.
  • In Singapur startet er wieder von der Pole Position.
  • Der Ferrari-Pilot steht für eine Fahrweise, in der oft nur Zentimeter zwischen grandios und schmutzig liegen.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Wie hitzig so ein Manöver im Grenzbereich des Motorsports ist, wird bei allen Super-Zeitlupen und Videobeweisen immer erst dann richtig sichtbar, wenn die Protagonisten die Helme abgenommen haben. Es gibt ein wunderbares Dokument, das Max Verstappen mit leuchtend roten Backen zeigt: "Es ist einfach nicht fair", ereifert sich der Niederländer, "ich war in Führung, dann hat mich Charles beim Überholen weggedrängt. Ich hab dagegengehalten, daraufhin hat er mich von der Piste geräumt."

Der gleiche Vorfall aus der Sicht des Unfallzeugen und Rennsiegers Leclerc: "Da war nichts, das war einfache eine Rennsituation." Die Aufzeichnung vom Zwist der beiden größten Talente in der Formel 1 ist sieben Jahre alt, sie stammt von einem Kart-Rennen in Italien. Aber dieses Scharmützel aus der Vergangenheit könnte aktueller nicht sein: Denn in der Königsklasse ist eine neue Härte eingezogen, und vor dem Großen Preis von Singapur steht vor allem Sebastian Vettels Teamkollege Charles Leclerc für eine Fahrweise, in der oft nur Zentimeter zwischen grandios und schmutzig liegen.

Startaufstellung zum Großen Preis von Singapur

1. Charles Leclerc (Monaco) Ferrari

2. Lewis Hamilton (Großbritannien) Mercedes

3. Sebastian Vettel (Heppenheim) Ferrari

4. Max Verstappen (Niederlande) Red Bull Honda

5. Valtteri Bottas (Finnland) Mercedes

6. Alexander Albon (Thailand) Red Bull Honda

7. Carlos Sainz jr. (Spanien) McLaren Renault

8. Daniel Ricciardo (Australien) Renault

9. Nico Hülkenberg (Emmerich) Renault

10. Lando Norris (Großbritannien) McLaren Renault

11. Antonio Giovinazzi (Italien) Alfa Romeo Ferrari

12. Pierre Gasly (Frankreich) Toro Rosso Honda

13. Kimi Räikkönen (Finnland) Alfa Romeo Ferrari

14. Kevin Magnussen (Dänemark) Haas Ferrari

15. Daniil Kwjat (Russland) Toro Rosso Honda

16. Sergio Perez (Mexiko) Racing Point Mercedes (fünf Plätze zurück wegen unerlaubten Getriebewechsels)

17. Lance Stroll (Kanada) Racing Point Mercedes

18. Romain Grosjean (Frankreich) Haas Ferrari

19. George Russell (Großbritannien) Williams Mercedes

20. Robert Kubica (Polen) Williams Mercedes

SID

Das Limit in der Formel 1 ist immer nur eine gedachte Grenze. Das gilt für die Spitzengeschwindigkeit und den Bremspunkt ebenso wie für die Zweikämpfe. So oft, so eng, so wild wie in dieser Saison sind die Rennfahrer schon lange nicht mehr aneinandergeraten. Die Zweikämpfe zwischen Weltmeister Lewis Hamilton und Aufsteiger Charles Leclerc in Monza gingen zum Teil weit über das bisherige Limit der Straffreiheit hinaus. Und es wird spannend zu sehen sein, wie es nun in Singapur (Sonntag, 14 Uhr) weitergehen wird. Dort startet Charles Leclerc vor Lewis Hamilton und Sebastian Vettel von der Pole Position.

Manchmal geht das Temperament mit den Fahrern durch, sagt Ricciardo

Denn Gangart ist härter geworden, das musste auch Titelverteidiger Hamilton feststellen, nachdem Charles Leclerc den Ferrari-Sieg in Italien mit allen sauberen und auch ein paar unsauberen Finten verteidigen konnte. Selbst die schwarz-weiße Flagge, die der Gelben Karte im Fußball entspricht, haben den Monegassen nicht in seiner wilden Fahrt bremsen können. Der 21-Jährige kam durch mit seinen umstrittenen Abwehrmanövern und dem Abkürzen einer Schikane. Damit gibt Leclerc einen Trend vor: Gefahren wird so hart es geht, so lange man damit durchgelassen wird. "Es gibt Berührungen und es gibt wirklich schmutziges Fahren", urteilt der Australier Daniel Ricciardo, "manchmal ist es eben ein bisschen eng, und gelegentlich geht auch das Temperament mit uns durch."

Fans und Fahrer lieben gleichermaßen, dass unter dem neuen Renndirektor Michael Masi mehr Großzügigkeit gewährt wird. Nach großen, harten Duellen haben sich auch die Vermarkter jahrelang gesehnt, denn das bringt die Formel 1 richtig ins Gespräch. "Bestes Kino" befindet der britische Fernsehkommentator Martin Brundle, der selbst in der Ära der beinharten Duelle gefahren ist, Senna gegen Prost, Schumacher gegen Hill. Im Zusammenspiel mit den nachlassenden Reifen ergibt sich so besonders gegen Rennende eine derart hohe Spannung, dass sogar die Mercedes-Dominanz ins Wackeln gerät.

Lewis Hamilton will nichts von einer Retourkutsche wissen: "Wenn hartes Rennfahren für alle klar ist, und wir alle gleich behandelt werden, dann gerne." Für den Briten sind die veränderten Fahrweisen auch ein Ausdruck davon, dass sich der Kampf der Generationen zuspitzt: "Es sieht so aus, als ob jungen Fahrer mit solchen Manövern eher davon kommen als die erfahreneren Piloten. Aber es ist gut, das zu wissen. Ein paar Dinge haben mich schon überrascht in Monza. Aber ich habe etwas über Leclercs Charakter als Rennfahrer gelernt... und freue mich schon auf den nächsten Zweikampf."

Die Fahrer haben sich die großzügige Regelauslegung gewünscht

Leclerc, der immer noch mit dem engelsgleichen Unschuldsblick von der Kartbahn ausgestattet ist, weiß genau, wen er da provoziert hat, er kalkuliert eine härtere Gangart vom großen Gegner ein. "Vielleicht wird Lewis nun auch ein bisschen aggressiver sein, aber vielleicht ist hier nicht unbedingt die beste Strecke, um das zu tun", sagt er mit Blick auf die Betonmauern in Singapur. Er selber versuche nur, bis an die Grenze des Erlaubten zu gehen. Wo die liegt, hatte er im Juli in Österreich gelernt, als ihm kurz vor Schluss sein alter Kontrahent Max Verstappen den Sieg weggerempelt hatte. Das hatte sich der 21-Jährige gut gemerkt, und seither seine Vorgehensweise sichtbar radikalisiert. Es geht vor allem um das mehrfache Zucken in der Ausbremszone, mit dem ein Angreifer abgehalten werden soll. Eine Taktik, die dem gleich alten Niederländer Verstappen in seinen ersten Formel-1-Jahren den Ruf als Renn-Rüpel eingebracht hatte.

Alle Fahrer hatten sich nach dem Rennen in Kanada, als Sebastian Vettel seinen ersten Platz wegen gefährlicher Fahrweise verlor, eine großzügigere Regelauslegung gewünscht. Seither läuft das Experiment der Selbstbestimmung: "Solange wir ein gewisses Maß an Respekt behalten, ist es in Ordnung", befindet Daniel Ricciardo. Respekt, das ist auch wieder so ein dehnbares Wort, ähnlich wie das "freie Fahren", das Rennleiter Masi neuerdings propagiert. Denn wo genau fängt der strafbare Bereich an?

Es ist eine Grauzone, eingefärbt auch durch das ständig wechselnde Schnellgericht vor Ort. Die Diskussionen werden weitergehen, so viel ist schon klar. Mercedes-Sportchef Toto Wolff rechnet mit weiter zunehmenden Berührungen, bis es zu einer großen Kollision kommt: "Dann müssen wir uns fragen, ob wir wieder einen Schritt zurück machen müssen. Das ist ja üblich so. Bis dahin lassen wir die Fahrer kämpfen." Auch das ein schmaler Grat, auch angesichts des tragischen Unfalltods des Franzosen Anthoine Hubert in der Formel 2 vor drei Wochen.

Ausnahmsweise findet auch der ehemalige Zampano Bernie Ecclestone freundliche Woche für die aktuellen Geschehnisse: "Die letzten Rennen waren so, wie die Formel 1 sein sollte. Wenn es so bleibt, dann sehe ich kein Probleme, dass sie wieder so populär wird, wie sie früher einmal war. Lasst sie einfach Rennen fahren!"

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