Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Kontrollverlust in Rot

Nach dem erneuten Zwist zwischen seinen Piloten muss Ferraris Teamchef Mattia Binotto eine Strategie entwickeln, um eine Eskalation zu verhindern.

Von Anna Dreher, Sotschi/München

Charles Leclerc lächelte ganz freundlich in den Saal hinein, fast schon ein bisschen verträumt sah er aus, wie er da auf dem Podium bei der Pressekonferenz nach dem Großen Preis von Russland saß. Das Kinn auf die Hände gestützt, auf dem Kopf eine knallrote Ferrari-Kappe. Der Moderator der sonntäglichen Gesprächsrunde begrüßte die Schnellsten des 16. Rennens dieser Formel-1-Saison. "Glückwunsch an die Top-drei-Fahrer", sagte er, Leclerc lächelte immer noch. "Auf dem dritten Platz Charles Leclerc..." - und als wäre ihm erst in diesem Moment wieder bewusst geworden, wie dieses Rennen eben zu Ende gegangen war, verfinsterte sich seine Miene.

Zum vierten Mal nacheinander beantwortete Leclerc, 21, als einer der schnellsten Piloten Fragen. Ferrari hatte seit der Sommerpause nach einer äußerst schwierigen ersten Saisonhälfte ein Comeback hingelegt, was wiederum das bis dahin fast schon unschlagbar wirkende Team von Mercedes an der neuen Dominanz des Konkurrenten verzweifeln ließ. Leclerc hatte den Grand Prix in Spa-Francorchamps gewonnen, das erste Formel-1-Rennen seiner Karriere. In Monza holte er wieder den Sieg, der auf der Heimstrecke für die stolze Scuderia aus Maranello weit mehr zählt als die 25 dafür vergebenen Punkte. In Singapur folgte der erste Doppelerfolg des Jahres, emotional besonders für den viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel, dem erstmals nach einer 392 Tage langen Pause wieder ein Triumph gelang. Für Ferrari war das die Bestätigung: Wir sind wieder da!

Und bis Sonntagmittag sah es ganz danach aus, als könnte Ferrari sich ein weiteres Mal freuen und sagen: Wir sind wirklich wieder da! Aber Leclerc saß nun mal nicht als strahlender Erster oder zufriedener Zweiter bei der Pressekonferenz. Diese Plätze nahmen die beiden Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ein. Leclerc saß dort als drittplatzierter Vertreter eines Teams, das in Sotschi wie der sichere Doppelsieger ausgesehen und sich dann selbst um den Erfolg gebracht hatte. Und über das sich nun sagen lässt, dass es im Umgang mit der Rivalität seiner beiden Fahrer die Kontrolle zu verlieren droht.

"Offener Krieg zwischen Vettel und Leclerc!", titelte der Corriere dello Sport am Montag. Und der Corriere della Sera bemerkte stichelnd: "Wenn das Verhältnis zwischen Vettel und Leclerc bereits so angespannt ist, wenn es nicht um den WM-Titel geht, was wird nächstes Jahr passieren, sollte Ferrari die Führung übernehmen?" Denn was in den vergangenen Wochen von den guten Ergebnissen noch überdeckt wurde, ist nun offensichtlich, da Ferrari gemessen an den Möglichkeiten des Wochenendes mit leeren Händen dasteht: Obwohl sich der Traditionsrennstall auf dem Weg zurück zur Spitze befindet, herrscht durch den Kampf um die interne Führungsrolle große Unruhe.

Teamchef Mattia Binotto übt sich weiter in Diplomatie und drückte es so aus: "Ich glaube, es ist ein Luxus, denn wir haben zwei fantastische Fahrer." Das ist ganz bestimmt so. Der 32-jährige Vettel gehört als viermaliger Weltmeister zu den erfolgreichsten Formel-1-Piloten der Geschichte, Leclerc gilt neben Max Verstappen als größtes Talent seiner Generation. Nur: In Monza beschloss der Monegasse, Vettel den Windschatten im Qualifying zu verwehren. In Singapur verhalf wiederum dem Deutschen ein Strategievorteil zum Sieg. Und nun in Sotschi sollte der von Platz drei startende Vettel in Leclercs Windschatten Hamilton überholen. Ein eigentlich cleverer Plan für den nächsten Doppelsieg, bei dem jedoch der Ehrgeiz der Fahrer nicht einkalkuliert wurde.

Vettel überholte gleich beide - und fuhr davon. Es begann eine per Funk ausgetragene Debatte um den vorab für diesen Fall besprochenen Tausch der Plätze, die grotesk wirkte: Leclerc hatte sich auf die Absprache verlassen. Aber nun war Vettel eben der deutlich Schnellere. Die Diskussion endete damit, dass Ferrari den Positionstwechsel erzwang. Erst kam Leclerc an die Box, dann Vettel. Zum Desaster wurde dieser Tag, als er seinen Wagen aufgrund eines technischen Defekts nach 28 Runden parken musste. Die Führung ging an Mercedes, das von der Safety-Car-Phase profitierte. Auch ein zweiter Stopp brachte Leclerc nicht wieder nach vorne. Die Mercedes fuhren gemäß ihrer klaren Hierarchie über die Ziellinie: Der fünfmaligen Weltmeister Hamilton als Nummer 1 vor seinem zuverlässigen Helfer Bottas.

"Für uns ist das Ganze ein Vorteil, weil sie sich gegenseitig die Punkte wegnehmen", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff offen. Und: "Immer, wenn zwei Alphatiere um die erste Position im Team kämpfen, bringt das die Gefahr einer Eskalation mit sich." Die Situation ist ihm wohlbekannt. Nico Rosberg und Hamilton fuhren sich 2016 sogar ins Auto. 2019 führt der Brite nun bei noch fünf Rennen die WM-Wertung mit 73 Zählern Vorsprung an. Von einer Eskalation wie zwischen Hamilton und Rosberg scheint Ferrari noch entfernt zu sein. "Seb und ich müssen uns vertrauen können. Es ist sehr wichtig fürs Team, dass man auf den anderen zählen kann", sagte Leclerc in Russland. "Das Vertrauen ist weiter da." Vettel hingegen hielt sich sichtlich frustriert zurück mit einer deutlichen Meinungsäußerung: "Für mich ist es am besten, wenn ich nichts dazu sage. Ich habe nichts falsch gemacht."

Das nächste Rennen findet in zwei Wochen im japanischen Suzuka statt. Bis dahin muss Teamchef Binotto mit einer klaren Strategie dafür sorgen, dass die Querelen um die teaminterne Hackordnung zwischen Vettel und Leclerc Ferrari nicht weiter Kraft kosten. Das Auto ist mit seiner Schnelligkeit ja längst nicht mehr Ferraris Problem. Nur bringt das wenig bei zwei zerstrittenen Fahrern.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019
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