Kimi Räikkönen in der Formel 1:Zum Abschied ein leerer Stuhl

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Kimi Räikkönen (Foto: Florent Gooden/imago)

Selten gab es einen wortkargeren Menschen im Rennsport, selten hätte ein Sportler mehr erzählen können über den Wandel seines Metiers als jetzt Kimi Räikkönen - nach seinem 350. Rennen wird man diesen wundersamen Finnen vermissen.

Von Philipp Schneider, Abu Dhabi

Abu Dhabi hat sich hübsch gemacht, pünktlich zu Kimi Räikkönens Abschiedsrennen auf dem Yas Marina Circuit. Die achtspurige Straße, die über wuchtige Brücken auf die Strecke zuläuft, ist zur Würdigung des Anlasses mit schweren Lichtgirlanden behängt, neben denen der Adventschmuck an der Königsallee aussähe wie eine Familie Glühwürmchen. 50 Jahre hier, 50 Jahre da. An jeder Straßenlaterne hängt ein Gruß, die Birnen brennen schon früh morgens, bei blauem Himmel und 28 Grad Außentemperatur. Solange das Öl noch sprudelt, ist Strom nicht viel wert. Ob Räikkönen die Ehren überhaupt mitbekommt?

Kleiner Spaß! Selbstverständlich kommt nicht einmal Staatsoberhaupt Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan auf die Idee, eine Abschiedsparty für Räikkönen in seinem Emirat zu schmeißen. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem: Vor Jahren wurde Räikkönen mal nach einem Rennen vom Prinz von Bahrain eingeladen. Er kam mit seinem Kumpel, dem Eishockeyprofi Kimmo Pikkarainen. Danach war er 16 Tage in Serie betrunken. Steht so in seiner Autobiografie.

Formel-1-Pilot Kimi Räikkönen
:Trocken im Abgang

Für Kimi Räikkönen ist nach der Saison endgültig Schluss. Der einstige Weltmeister und Pilot mit den meisten Formel-1-Rennen gab Journalisten oft legendäre Antworten - seine Abschiedsrede enthält drei prägnante Sätze.

Von Philipp Schneider

Gut also, dass in Abu Dhabi aus einem anderen Grund gefeiert wird: Acht Jahre bevor im finnischen Espoo ein sagenhaft wortkarger Rennfahrer geboren wurde, schlossen sich im Dezember 1971 die Emirate Abu Dhabi, Adschman, Dubai, Fudschaira, Ra's al-Chaima, Schardscha und Umm al-Qaiwain zu einer föderalen Monarchie zusammen. Um ein Land des Friedens zu schaffen, eine Nation der Wissenschaften und schönen Künste. Was man nun weiß, weil diese Slogans in den Vereinigten Arabischen Emiraten gerade an jeder Ecke leuchten. Aber seien wir ehrlich: Räikkönen wäre ein pompöses Adieu mindestens ebenso egal gewesen wie seine Abschiedspressekonferenz.

"Ich freue mich schon darauf, wenn die Saison vorbei ist", sagt Räikkönen. "Dann brauche ich mich nicht mehr um irgendwelche Termine kümmern."

Der Moderator begrüßt die Zuhörer. Vorne auf der Bühne sitzt der Rennfahrer George Russell. Drei Jahre war er alt, als Räikkönen 2001 erstmals in ein Formel-1-Cockpit kletterte. Der Sitz neben ihm ist leer. Der Moderator sagt: "Wir hoffen, dass Kimi Räikkönen gleich auch noch kommt." Mangels Räikkönen redet nun Russell über das vergangene Rennen. Irgendwann sagt er: Ah, da kommt er, "cruising in". Der tatsächlich cruisende Räikkönen bringt ein Tetra-Pack mit, offenbar Wasser. Er setzt sich hin. Nimmt die Maske ab. Trinkt. Guckt. Auch eine Entschuldigung wäre selbstverständlich mindestens ein Wort zu viel.

Na, Kimi. Wie fühlst du Dich so, kurz vor Deinem Abschiedsrennen?

"Gut."

Riesige Pause. Dann dämmert ihm, dass ein gewisser Erklärungsbedarf besteht.

"Ich freue mich schon darauf, wenn die Saison vorbei ist. Dann brauche ich mich nicht mehr um irgendwelche Termine kümmern."

Und, wird der Abschied sehr emotional werden?

"Ich weiß es nicht." Kleinere Pause: "Ich glaube aber nicht."

Es hat ja etwas Beruhigendes, wenn jemand in Zeiten, in denen die Gewissheiten nur noch andauert bis zur nächsten Mutation, im selben Stil aufhört, mit dem er 20 Jahre vorher angefangen hat. Räikkönen mag keine Pressekonferenzen. Ach, was: Er hasst sämtliche Gespräche über sich selbst! Immer schon. Das Herrliche und Ehrliche an ihm ist, dass er sich nicht einmal die Mühe gibt, seine Abneigung zu verbergen. So aber blieb er viele gute Geschichten schuldig, die er hätte erzählen können. Zum Beispiel die über den Wandel seines Sports.

Bei seinem Einstieg in die Formel 1 musste Räikkönen mit einer Sondergenehmigung antreten

Als Räikkönen im Jahr 2001 von Peter Sauber, damals Teamchef und Mehrheitsbesitzer des gleichnamigen Rennstalls, mit der legendär mickrigen Vorerfahrung aus 20 Autorennen in sein erstes Formel-1-Cockpit gesetzt wurde, da war das ein wagemutiger Schritt. Räikkönen musste mit einer Sondergenehmigung antreten, die ihm der Automobil-Weltverband ausstellte. Heutzutage werden Fahrer in Nachwuchsakademien gezüchtet, jahrelang erprobt im Simulator, ehe sie sich erstmals austoben dürfen in den sündteuren Rennwagen. Als Räikkönen loslegte, da hatte er sich allein mit seinem Talent eine große Chance erarbeitet, die ihn schließlich 2007 sogar bis zum Weltmeistertitel im Ferrari chauffierte.

Abschiedsgruß vom Team: "Lieber Kimi, wir lassen Dich jetzt in Ruhe." (Foto: Florent Gooden/PanoramiC/imago)

2001 bestand eine Formel-1-Saison aus 17 Rennen. Gefahren wurde in Europa, Australien, Brasilien, USA, Malaysia und Japan. 2022 wird es 23 Grand Prix geben. Allein drei davon am Arabischen Golf und Roten Meer. Die Taktung wird für die Fahrer stressiger. Es gibt immer mehr Triple-Header - drei Rennen an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen. Für einen wie Räikkönen, der volle Terminpläne hasst, ist das eine toxische Entwicklung.

Die Deutsche Presse-Agentur hat ihn am Rande seines vorletzten Rennens gefragt, ob er sich vorstellen könnte, künftig eine Rolle im Management der Formel 1 einzunehmen. Oh nein, hat Räikkönen gesagt. "Da steckt zu viel Blödsinn und Politik drin. Ich finde das lächerlich." Er meinte: in der Formel 1: "Aber so ist es eben, es scheint, dass es schlimmer und schlimmer wird."

Die Räikkönen-Doktrin: Wer witzig ist, muss nicht lachen

Räikkönen fuhr Sauber, McLaren, Lotus, Ferrari und zum Schluss noch Alfa Romeo. Dort konnte er in dieser Saison gerade einmal zehn Punkte sammeln, sieben mehr als der nicht der Hochbegabung verdächtige Antonio Giovinazzi. Höchste Zeit für den Schleudersitz.

Welches das härteste seiner bislang 349 Rennen war? Nun, das könne er so nicht sagen: "Aber, wenn es heiß und schwül ist, ist es anstrengender." Er muss es wissen. Vor vier Jahren ist er mal beim Rennen in Bahrain mit dem Ferrari gestrandet, weit entfernt von seiner Garage. Jeder andere Fahrer hätte sich dort abholen lassen, oder einen Motorroller geschnappt. Räikkönen lief los. In dicker Rennfahrerkluft, samt Helm, stiefelte er bei 37 Grad durch die Wüste. Es war ja nur heiß. Kaum schwül. Die ikonische Szene entwickelte im Internet ein Eigenleben. Es wurden Fotomontagen geteilt, wie Räikkönen in derselben Montur auf dem Mond spazieren geht. Was haben sie alle gelacht. Nur er nicht. Die Räikkönen-Doktrin: Wer witzig ist, muss nicht lachen.

Dann steht er auf. Bevor er die Bühne verlässt, schnappt er sich das Tetra-Pack. Es soll ja nichts von ihm zurückbleiben, außer guten Erinnerungen. Sein Team hat ihm in Abu Dhabi einen hübschen Spruch auf das Auto lackiert: "Lieber Kimi, wir lassen Dich jetzt in Ruhe."

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