Mercedes in der Formel 1:„Kimi“ ersetzt den Unersetzbaren

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Vom Mercedes-Junior zum Mercedes-Senior: Kommende Saison ist Andrea Kimi Antonelli der neue Teamkollege von George Russell. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Die Hamilton-Nachfolge ist geregelt: Andrea Kimi Antonelli wird nächstes Jahr für Mercedes fahren. Der Italiener ist erst 18 Jahre alt und gilt als großes Talent – bei seinem ersten Auftritt in Monza aber landet er im Reifenstapel.

Von Anna Dreher, Monza

Samstagvormittag, ein paar Stunden bevor die Rennwagen der Formel 1 bei den abschließenden Trainingsrunden über das Autodromo Nazionale di Monza donnern. Das Fahrerlager wird zur exklusiven Flaniermeile, aufgeregt sind um diese Zeit für gewöhnlich mehr diejenigen, die einen Ausflug statt Arbeit mit diesem Ort verbinden. Aber nun gibt es einen für alle gleichermaßen starken Magneten: das schwarz lackierte Motorhome von Mercedes. Ein Journalist nach dem anderen verschwindet durch die Schiebetür oder den Seiteneingang hinein. Im Hochparterre sind die Kameras der internationalen TV-Medien aufgebaut, im Obergeschoss ist schnell jeder Stuhl von den schreibenden Kollegen gefüllt. Es sind sehr viele Stühle.

Die Bildschirme flimmern schon, niemand soll etwas verpassen. Ein paar Minuten Verspätung, dann ist er zu sehen, jener Fahrer, den Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff auserkoren hat zum Nachfolger des Unersetzbaren: von Lewis Hamilton, dem siebenmaligen Weltmeister, der Anfang des Jahres ein Beben in der Formel 1 ausgelöst hat mit seinem Wechsel zur Scuderia Ferrari in der kommenden Saison. Kann es größere Fußstapfen geben?

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Etwas schüchtern nimmt Andrea Kimi Antonelli, genannt Kimi, auf einem der Barhocker Platz und blickt in die Runde, neben ihm sitzen Wolff und sein künftiger Teamkollege George Russell. Der Italiener ist gerade erst 18 Jahre alt geworden, in den Nachwuchsklassen geht es deutlich ruhiger zu. Sogar Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali ist gekommen, um einleitende Worte zu diesem Transfer zu sagen. „Ich wünsche dem neuen Paar viel Erfolg“, sagt Domenicali und gluckst: „Ja, das ist ein gutes Paar, gute Energie, gute Motivation. Eine gute Nachricht für die Formel 1.“ Und Wolff stellt amüsiert fest, dass so viel Rummel im Motorhome sonst nur bei Titelgewinnen gewesen sei – und 2016 in Barcelona, als Lewis Hamilton und Nico Rosberg crashten und der Streit der damaligen Teamrivalen eskalierte.

Wolff sagt, er habe sich binnen fünf Minuten für Antonelli als Hamilton-Nachfolger entschieden

Kurz vor der Audienz im Fahrerlager hatte der Rennstall die Mitteilung verschickt, deren Eingang schon länger antizipiert worden war. Das Timing war wohlüberlegt: passend zum Heimspiel von Antonelli. Auch, dass er am Freitag im ersten freien Training mit dem Mercedes W15 von Russell fahren durfte, hatte darauf hingewiesen, dass sein Aufstieg aus der Formel 2 verkündet werden würde. „Das ist so ein großartiges Gefühl. Ich kann es kaum abwarten loszulegen“, sagte Antonelli und beschrieb seine Herangehensweise angesichts seines prominenten Vorgängers so: „Ich will mich nicht als sein Ersatz sehen. Ich bin einfach der nächste Fahrer für Mercedes.“

Sein erster großer Auftritt jedoch lief anders als geplant: Auf dem frisch asphaltierten Hochgeschwindigkeitskurs wollte Antonelli sich offenbar beweisen – und kam nach den ersten schnellen Runden eingangs der Parabolica-Kurve vom Kurs ab, rutschte durch das Kiesbett und knallte seitlich in einen Reifenstapel. Der junge Italiener blieb unverletzt, sein Leihwagen aber war ordentlich verbeult. Die Mechaniker bekamen gut zu tun, um Russells Auto für die zweite Session des Tages zu reparieren. „Kimi, alles gut, alles gut“, hatte Wolff gefunkt – nachdem er beim Anblick der Szene ganz schön das Gesicht verzogen hatte.

Die erste Fahrt auf großer Bühne misslingt: Andrea Kimi Antonelli landet in Monza mit dem Dienstwagen von George Russell im Reifenstapel. (Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Bei der Vorstellung war der Österreicher sichtbar stolz auf die Silberpfeilpiloten der Zukunft. Damit starten von 2025 an zwei Talente in der Formel 1, die das Juniorenprogramm von Mercedes absolviert haben. „Das ist weit mehr für uns als die Bekanntgabe von Fahrern“, sagte Wolff. Russell stieg 2019 als Formel-2-Meister auf und fuhr sich die ersten drei Jahre bei Williams warm. Antonelli wurde von Mercedes im Kartsport gescoutet und ist seit seinem zwölften Lebensjahr ein Stern-Junior. Er gewann diverse Nachwuchsserien und übersprang die Formel 3. In der Formel 2 ist er nach zwei Siegen derzeit Siebter und wird nun steil befördert.

Hamilton gab in Monza öffentlich seinen Segen: „Ich habe schon vor langer Zeit gesagt, dass ich denke, dass das Team sich für ihn entscheiden sollte.“ Als Vorbereitung hat Antonelli bereits zehn Testtage in einem zwei Jahre alten Silberpfeil absolviert, so etwas kostet Millionen. Aber dieses Investment geht Wolff gerne ein, er wirkt äußerst überzeugt von seinem Protegé.

Fünf Minuten, nachdem ihm Hamilton im Februar seine Zukunftspläne offenbart hatte, habe er sich für Antonelli entschieden, verriet Wolff nun. „Wir haben auch andere Optionen besprochen und noch nicht komplett von der Max-Idee losgelassen, angesichts dessen, was bei Red Bull los war“, erzählte der 52-Jährige: „Aber instinktiv war das jetzt das Line-up, das ich immer wollte.“ Zur Erinnerung: Das Weltmeisterteam von Red Bull begann das Jahr mit einem Machtstreit; bei all der Unruhe war nicht ausgeschlossen, dass Verstappen die so erfolgreiche Beziehung zu Red Bull beenden könnte – trotz eines Vertrags bis 2028.

Bei Mercedes wird sich einiges ändern – auch für George Russell

Für Mercedes wäre es ein Königstransfer gewesen, das Cockpit eines siebenmaligen Weltmeisters in die Hände des dreimaligen Champions zu geben. Und dass zur Dauer des Antonelli-Vertrags keine Angaben gemacht wurden und Wolff von komplexen Optionen in den Kontrakten sprach, lässt vermuten, dass es eine Hintertür geben könnte. Darauf angesprochen, ob Verstappen noch ein Thema sei, antwortete Wolff am Samstag: „Ich flirte nicht außerhalb. Unser Fokus liegt auf George und Kimi, da gibt es keine Diskussion, keinen zweiten Gedanken, was 2026 sein wird.“ Er sagte aber auch: „Sollte geflirtet werden, werden diese Jungs es zeitgleich erfahren.“ Die Kommunikation sei immer aufrichtig und direkt.

Bei Mercedes wird sich einiges ändern – auch für Russell. Die vergangenen Jahre war sein Maßstab einer der erfolgreichsten Fahrer in der Geschichte seiner Sportart. Jetzt ist Russell der Erfahrene im Team, das steigert die Verantwortung. Bei der Pressekonferenz wirkte sein Auftritt schon angepasst an die neue Rolle. Er lobte die Schnelligkeit von Antonelli, redete dessen Trainingsunfall klein. Und als Wolff bei einer Frage das Mikrofon schon in der Hand hatte, bereit zur Antwort, übernahm Russell. Ansonsten nickte er eifrig, als würde er die Aussagen seines Chefs und des künftigen Teamkollegen befürworten.

Das erste Statement setzte der 26-jährige Brite gewissermaßen schon mit der Wahl seiner Kleidung, ob gewollt oder ungewollt. Während Toto Wolff ein weißes Hemd und Kimi Antonelli ein weißes Shirt trugen, hatte sich Russell für Schwarz entschieden – wie sonst so oft Lewis Hamilton.

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