Formel 1:Keine Rücksicht auf Verwandte und Bekannte

Michael Schumacher bestätigt seinen Ruf, am Steuer skrupellos zu sein. Leidtragender ist sein Bruder.

René Hofmann

Michael Schumacher ist leicht zu durchschauen. Man muss nur ein bisschen etwas lesen. Die FAZ zum Beispiel. Der sagte Mitte April Heinz-Harald Frentzen, 38, Sieger dreier Formel-1-Rennen: "Den richtigen Zeitpunkt zum Rücktritt hat Michael Schumacher verpasst."

Die Stuttgarter Zeitung zitierte etwas später den 39-jährigen Eddie Irvine, dem es in seinen zehn Jahren in der Serie gelang, vier Rennen zu gewinnen: "Die Formel 1 erlebt gerade eine Wachablösung. Ich finde das gut, denn Michael ist der langweiligste Weltmeister aller Zeiten. Seine Zeit ist abgelaufen."

Die Bunte brachte in der vergangenen Woche ein Gespräch mit Flavio Briatore, der nie ein Formel-1-Rennen bestritt, aber auch als 55-Jähriger noch einen Blick für die Jugend hat. Er stellte die Diagnose: "Michael Schumachers Erfolge in Ehren (...), aber er ist zu alt."

Er würde doch nicht?...Doch!

Michael Schumacher, 36, Gewinner von 83 Formel-1-Rennen und sieben WM-Titeln hat zu all dem lange geschwiegen. Wurde er auf die Zitate angesprochen, lächelte er und sagte milde Sätze wie: "Flavio ist ja bekannt dafür, öfter etwas zu sagen, was er nicht unbedingt meint." Michael Schumacher gab sich zurückhaltend. Kühl. Überlegt. Bis Sonntag.

Bis in die letzte Runde des Großen Preises von Monaco, dem sechsten Rennen in dieser Saison. Es würde wieder nicht sein Rennen werden, das wusste Michael Schumacher schon. Im Training hatten mysteriöse Vibrationen seinen Ferrari erschüttert, in der Qualifikation klebten seine Reifen nicht, im Rennen hatte er sich bei einem Auffahrunfall den Frontflügel ramponiert.

Er war Achter. Jetzt ging es nur noch darum, ob er vielleicht doch noch Siebter werden könnte, oder Sechster. Knapp vor ihm fuhren sein Teamkollege Rubens Barrichello und sein Bruder Ralf im Toyota. Ein guter Bekannter und sein nächster Verwandter. Er würde doch nicht ...? Doch!

Plötzlich war es vorbei mit der Zurückhaltung. Michael Schumacher ging zur Attacke über. Stürmisch. Entschlossen. Kopflos. In der Schikane am Hafen zwängt er sich an seinem Teamkollegen vorbei- mit wenig Rücksicht auf das Wohl und Weh' ihrer beiden Ferraris.

Kaum vorbei, riskiert er einige Meter weiter noch mehr. Auf der Zielgerade presst er sich rechts neben seinen Bruder, bei Tempo 260 berührt sein linker Vorderreifen das rechte Hinterrad seines Bruders. 0,046 Sekunden nach ihm schießt er als Siebter über die Ziellinie.

"Wenn ich nicht rübergezogen hätte - wer weiß, wo wir hingeflogen wären"

"Wenn ich nicht rübergezogen hätte - wer weiß, wo wir hingeflogen wären", zürnte Ralf. Sein Bruder gab zurück: "Ich liege knapp dahinter, da kann ich auch attackieren. Das ist doch hier keine Kaffeefahrt."

Darauf wieder Ralf: "Ich weiß, dass das keine Kaffeefahrt ist, aber in dieser Situation überholt keiner mehr. Ein Millimeter mehr, und einer von uns ist tot."

Was seinen sieben Jahre älteren Bruder zu der Aktion verleitete? "Manchmal schaltet Michael sein Gehirn nicht ein. Er denkt immer, jeder würde für ihn Platz machen. Das ist aber nicht so."

Als Zeuge für die Anklage drängte sich Rubens Barrichello auf. "Michael ist eine Linie gefahren, die nicht da war. Wir hätten beide aus dem Rennen geworfen werden können. Michael hat für diesen einen zusätzlichen Punkt ein hohes Risiko genommen", schilderte er das Überholmanöver am Hafen aus seiner Sicht:

"Ein Weltmeister wie er sollte so etwas nicht tun." Seit 2000 fährt der Brasilianer bei Ferrari neben dem Deutschen. "Vor ein paar Jahren hätte ich noch nichts gesagt", sagte der Brasilianer, doch dieses Mal "habe ich über den Vorfall mit Michael und Jean Todt gesprochen."

Kein Gesprächsbedarf

Der Tonfall der Unterredung mit dem Stallgefährten und dem Teamchef lässt sich leicht vorstellen. Barrichello: "Ich bin froh, dass ich jeden Abend ruhigen Gewissens einschlafen kann. Ob Michael das auch kann, weiß ich nicht."

Dem Auto entstiegen, hatte Schumacher seine Contenance schnell wieder gefunden. Ein Treffen mit seinem Bruder ist nicht überliefert. Zu den Anschuldigungen sagt er: "Ich weiß nicht, ob ich darauf antworten muss." Viel Gesprächsbedarf sieht er ohnehin nicht.

"Ich bin ein Vollblutrennfahrer", sagt er: "Dazu gehören auch solche Situationen." Den Ruf, hinter dem Steuer skrupellos zu sein, hat er sich in vielen Jahren hart erarbeitet. 1997 versuchte er im letzten Rennen, den Titel mit einem Rammstoß gegen Jacques Villeneuve zu erobern.

Die Verwerflichkeit der Aktion hat er nie eingesehen. Machtspielchen und -demonstrationen gehören für ihn zum Motorsport. Wer einen roten Helm im Rückspiegel sieht, soll Angst bekommen.

"Car-Wars" beim "Brüder-Krieg"

Seine rüde Fahrweise bescherte Michael Schumacher in diesem Jahr schon einmal Ärger mit den Kollegen, nach seiner Kollision mit Nick Heidfeld beim Saisonauftakt in Australien. Die Mehrheit der Fahrer gab Schumacher die Schuld. Wie wenig der sich davon bremsen lässt, demonstrierte er am Sonntag.

Prekärerweise steht die nächste Wettfahrt nun schon am kommenden Wochenende an, und ausgerechnet auch noch auf einem Kurs, auf dem sich die beiden Schumachers schon zweimal bedrohlich nahe gekommen sind: dem Nürburgring.

1997 landete Ralf Schumachers Jordan auf Michael Schumachers Ferrari - allerdings eher ungewollt. Voller Absicht agierte der Große im Jahr 2001. Beim Startduell verhinderte er ein Überholmanöver seines Bruders, indem er ihn mit Karacho beinahe in die Boxenmauer drängte. Damals führte er die WM-Wertung souverän an.

Dieses Mal kommt er als abgeschlagener Neunter. Aber zumindest sein Alter ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Der Kölner Express schrieb am Montag vom "Harakiri-Schumi". Die Gazzetta dello Sport nennt ihn einen "Menschenfresser", in Bild tobt der "Bruder-Krieg" und im Telegraph "Car-Wars".

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