Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:Olé-Rufe im Boxenfunk

Fernando Alonso verblüfft alle, Lewis Hamilton mobilisiert seine Superhelden-Kräfte und Mick Schumacher bräuchte ein Auto, das ein klitzekleines bisschen schneller fährt. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

Lewis Hamilton

Wie lässt sich erklären, dass Lewis Hamilton genau im richtigen Moment zur Form seines Lebens gefunden hat, die sein Renningenieur sogar für "galaktisch" hält? Mercedes-Teamchef Toto Wolff glaubt, dass es sich - abgesehen vom neuen Mercedes-Motor und der guten Balance des Rennwagens - um eine Trotzreaktion handelt, hervorgerufen durch die Vorkommnisse beim WM-Lauf in Brasilien. Nach Wolffs Interpretation haben die Rückstufungen "den Löwen in ihm geweckt".

Der Österreicher ist kein Träumer, aber er sieht den Briten nach dessen 102. Grand-Prix-Sieg zurückgekehrt zur inneren Stärke, die einst schon Nico Rosberg verzweifeln ließ: "Er fährt kaltblütig, beinahe brutal und holt das Beste aus sich raus. Immer, wenn es zu Rückschlägen kommt, mobilisiert das seine Superhelden-Kräfte." So sind die 19 Punkte Rückstand in der WM-Wertung auf acht geschmolzen. Auch die kommenden beiden Rennstrecken sollten Mercedes liegen, aber auf Theorie gibt der Praktiker Hamilton nichts: "Wir haben einfach diese Punkte gebraucht. Es war echt ein hartes Jahr. Das war ein wichtiger Schritt nach vorn. Ich fühle mich fit wie noch nie."

Max Verstappen

Hat der Mann, der jetzt zweimal Zweiter hinter Lewis Hamilton war, aber die WM noch anführt, noch etwas mit dem strahlenden Sieger von Austin und Mexiko zu tun? Max Verstappen wirkt auf den ersten Blick rotzig-gelassen wie immer, aber die jüngste Trendwende macht ihm zu schaffen. Justament, als er seinen Zweckpessimismus nach seinem neunten Saisonsieg aufgegeben hatte, begann die Stärke seines Red-Bull-Honda zu bröckeln. Dafür nahm die Geräuschkulisse rund um das Team zu, von seinen Chefs selbst angefacht.

Aber offenbar lenkt dies Red Bull selbst mehr ab als Mercedes. Verstappen gibt daher den Stoiker. Die fahrerische Leistung des Niederländers ist der Hamiltons ebenbürtig, nur manchmal kommt seine Hyper-Aggressivität noch durch. Als ihn in Doha die Kollegen im Fahrerbriefing dafür stellen wollten, stellte er sich taub. Die Antwort gab er nach der Rückstufung von Platz zwei auf sieben - mit einem Raketenstart. Nach fünf Runden war er wieder Zweiter.

Fernando Alonso

Dritter. Im Prinzip nur ein Trostpreis für einen, der mal mindestens dreimal Formel-1-Weltmeister werden wollte. Aber Dritter in einem Auto, das zwar gut für Punkte, aber nicht für Triumphe ist, das hat Fernando Alonso dann doch zu Olé-Rufen über den Boxenfunk veranlasst - die als vielstimmiges Echo vom Team Renault-Alpine zurückkamen. Anfänglich hatte er sogar damit gerechnet, als Erster in die erste Kurve zu gehen. Was bedeutet, dass der Profiteur der zahlreichen Startplatzstrafen über ein absolut intaktes Selbstbewusstsein verfügt. Das Publikum wählte den 40 Jahre alten Rückkehrer zum Fahrer des Tages, ein Grand-Prix-Podium hatte er seit sieben Jahren nicht mehr betreten. "Ich genieße diese Formel 1", sagte Alonso und stellte den kleinen Triumph von Doha auf eine Stufe mit seinen Sportwagen-Erfolgen bei den 24 Stunden von Le Mans, "es war einfach fantastisch." Und von unten aus der Boxengasse nach oben zu Alonso applaudierte Teamberater Alain Prost, der vierfache Champion.

Mick Schumacher

Nur ein Stopp in 57 Runden, von Startplatz 19 auf den 16. Platz. Einen kleinen Fahrfehler gemacht, aber weiter Selbstvertrauen gesammelt. Hätte der deutsche Debütant ein Auto, das ein klitzekleines bisschen besser wäre als der veraltete Haas-Ferrari, dann könnte sich sein Traum vom ersten WM-Punkt an Tagen wie diesen von Katar erfüllen. "Trotzdem gut, und wir können glücklich sein", befindet der nach Lewis Hamilton und Daniel Ricciardo vielleicht optimistischste Fahrer im ganzen Formel-1-Feld.

Das Team spiele sich ein, was Fahrzeugabstimmung und Strategie angehe, und in diesen Dingen ist der 22-Jährige der Sohn seines Vaters: alles zum Wohl des Teams tun, denn das kommt einem dann wieder selbst zugute. Im Wettstreit mit dem Kollegen Nikita Masepin, der mit großem Rückstand auf Rang 18 landete, machte Schumacher junior auch einen wichtigen moralischen Punkt. Der Russe hatte vorher getönt, endlich mit gleichen Mitteln kämpfen zu können, da für den deutschen Ferrari-Zögling diesmal kein Simulatortraining bei Ferrari zur Verfügung stand. Masepin schiebt die neuerliche Niederlage auf den Wechsel des Unterbodens an seinem Auto.

Toto Wolff / Christian Horner

Die Beziehung zwischen Titelverteidiger Mercedes und Herausforderer Red Bull kann gar nicht schlechter werden, denn für Christian Horner "gibt es da gar keine Beziehung". Er müsse auch Wolff nicht in den Hintern kriechen. Die gemeinsame Interviewrunde mit Mercedes-Gegenüber Toto Wolff geriet zu einer Talkshow der Entfremdung. Horner hält die Aktionen und Reaktionen von Mercedes für ein Zeichen, wie sehr das Weltmeisterteam unter Druck stehe. Das wiederum verbat sich Wolff. Er habe es schon mit ganz anderen Situationen in seinem Leben zu tun gehabt. Für ihn sei es durchaus normal, dass der Titelkampf erbittert auf allen Ebenen geführt werde - politisch, sportlich, technisch. Trotzdem sieht er eine fatale Entwicklung der Rivalität über die Saison hinweg: "Wir haben wie Olympiaboxer angefangen, sind dann ins Profilager übergewechselt - und jetzt ist es ein Vollkontakt-Kampfsport."

Dschidda

Der für Motorradrennen gebaute Losail Circuit von Doha hat seine plötzliche Formel-1-Premiere ordentlich gemeistert. Der Asphalt vielleicht etwas rau, so kam es auch zu den späten Reifenschäden. Wie sich das mit dem Kurs in Dschidda verhalten wird, kann noch keiner sagen. Erst vor einem Jahr haben die Saudis den Zuschlag bekommen, seither sieht es auf dem Areal aus wie in einem großen Sandkasten. Es wird viel gebuddelt, und die Formel 1 treibt die große Sorge um, dass bis in anderthalb Wochen keine Rennstrecke hinzubekommen ist, die einem vorletzten WM-Lauf und vielleicht schon der Titelentscheidung würdig ist. Jetzt sollen 3000 Arbeiter Tag und Nacht schuften. Ob das reicht?

Die Inspekteure des Automobilweltverbandes Fia haben halb beruhigende Nachrichten aus der Hafenstadt mitgebracht. Die Strecke würde wohl fertig, bei der Infrastruktur dürfe man sich nicht zu viel erwarten. Nachdem schon der ausgefallene Große Preis von Belgien die WM beeinflusst hat, kann sich die Formel 1 nicht noch eine Wettbewerbsverzerrung leisten. Zur Beruhigung hat der Veranstalter Bilder vom Baufortschritt im Umlauf gebracht. Zu sehen: Ausschnitte einer ordentlich gefegten Piste. Und viel blauer Himmel.

Michael Masi

Nachfolger von Charlie Whiting als Rennleiter der Formel 1 zu werden, das war ein gewaltiger Karrieresprung für den Australier. Allerdings einer mit tragischem Ausgangspunkt, denn Whiting war vor dem Saisonstart 2019 tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden. Masi hat nie versucht, Whiting zu imitieren, der eine Autorität wie Bernie Ecclestone war. Er ist zugänglich, höflich, auch wenn er über Funk von den Teamchefs angegangen wird, er entscheidet schnell, und er lässt die Dinge manchmal einfach laufen. Ein guter Oberschiedsrichter eben.

Der 42-Jährige könnte sich viele Freunde machen mit dieser Art, an Autorität gewinnen - wenn er nicht ausgerechnet jetzt in den vergifteten Kampf zwischen Red Bull Racing und Mercedes geraten wäre. Zwei Crashs zwischen den WM-Kandidaten, mehrere kritische Ausweichmanöver, zahllose Proteste und Beschuldigungen. Als Christian Horner angesichts der Rückstufung von Max Verstappen die Streckenposten bezichtigte, keinen guten Job gemacht zu haben, reichte es dem Offiziellen des Automobilverbandes Fia. Nach der Vorladung gab sich Horner kleinlaut, entschuldigte sich ("Sie machen einen wunderbaren Job") und kam mit einer offiziellen Verwarnung davon.

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