Süddeutsche Zeitung

Großer Preis von Katar:Müde wie nie

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Drei Rennen in drei Wochen auf drei Kontinenten: Von der Gewinnmaximierung und den Auswirkungen der Pandemie getrieben gerät die Formel 1 in Katar merklich an ihre Grenzen.

Von Elmar Brümmer

Was wäre die Formel 1 ohne die Flügel? Die Rennwagen hätten nicht annähernd den Halt, den sie in den Hochgeschwindigkeitskurven auf dem Losail Circuit in Katar brauchen. Die Streithähne Toto Wolff von Mercedes und Christian Horner von Red Bull müssten sich andere Objekte suchen, um die Atmosphäre zwischen den Top-Rennställen zu vergiften. Und die Reglementhüter des Automobilweltverbandes Fia hätten deutlich weniger zu kontrollieren an diesem drittletzten WM-Lauf, in dem sich Titelverteidiger Lewis Hamilton und WM-Spitzenreiter Max Verstappen abermals duellieren werden. Flügel sind im Übrigen so wichtig, dass sich einmal ein unschwer als Ferrari-Ersatzteil identifizierbarer rot lackierter Frontflügel mutterseelenallein auf den Weg von Mailand ins australische Melbourne machte. Weil der Spoiler so spät fertig geworden war, durfte er in der Business Class fliegen.

Die gut 17 000 Kilometer Luftlinie sind allerdings bloß die Hälfte dessen, was die zehn Rennställe und die gut 1500 Menschen aus dem Grand-Prix-Zirkus in der letzten Zeit zurückgelegt haben. Tripleheader nennt sich dieser Renn-Hattrick, es ist der dritte in dieser zweiten Pandemiesaison. Diesmal allerdings ging es nicht bloß im Zick-Zack durch Europa. Die drei Rennen innerhalb von drei Wochen wurden auf drei Kontinenten ausgetragen. Tripleheader, kalauern die Mitreisenden, ist der Zustand, wenn dein Körper schon in Asien ist, aber der Kopf noch in Südamerika. Das Rennen zwischen den Rennen ist das eigentliche Drama in diesem Schlussspurt. Von der Gewinnmaximierung und den Auswirkungen der Pandemie getrieben, gerät die Transport-Weltmeisterschaft an ihre Grenzen.

Die große Diskussion in der Formel 1 vor dem Debüt am Wochenende auf dem Losail Circuit in Katar gilt noch nicht den Menschenrechten, sondern mehr den Menschen im Fahrerlager. Ausgerechnet in der spannendsten Phase der Saison ist die Grand-Prix-Belegschaft müde wie nie. Kein Wunder, bei drei Rennen in drei Wochen auf drei Kontinenten. Der ehrgeizige Flugplan bei dieser Strecke zwischen Europa, Mexiko, Brasilien und Katar reicht für die einzelnen Rennställe fast an die Distanz einer Weltumrundung heran. An die 750 Tonnen Material müssen dazu über insgesamt gut 35 000 Kilometer transportiert werden, das meiste in sechs Flugzeugen, der Rest per Schiff. Die Frachtkosten allein für diesen intensivsten Abschnitt des Jahres liegen weit über einer halben Million Dollar.

2022 hat die Formel 1 einen Rekordkalender mit 23 Rennen

Die gute Nachricht bislang: ein Chaos bei der Verfrachtung aller für einen Grand Prix benötigten Materialien ließ sich in Sao Paulo gerade noch einmal abwenden. Die weniger gute für alle Beteiligten: Auch im kommenden Jahr wird es diese Reisen wieder geben, die so nerven- wie kräftezehrend sind. Zwei der so gefürchteten Tripleheader stehen erneut im Rennkalender, dazu mehrfach zwei Rennen nacheinander, zum Teil wieder innerhalb Wochenfrist auf unterschiedlichen Kontinenten. Die gelebte Konsequenz des Formel-1-Booms, der 2022 für einen Rekordkalender von 23 Rennen sorgen wird. Und das bei einer vier Wochen kürzeren Saison, um der Fußball-WM aus dem Weg zu gehen. Für die nahe Zukunft ist sogar eine Ausdehnung auf 25 Große Preise angedacht.

Die Teamchefs sind gespalten. Einerseits profitieren sie bei der Ausschüttung der Marketing-Einnahmen gewaltig, allein die Katarer an diesem Wochenende sollen 50 Millionen Dollar Startgeld einzahlen. Andererseits zermürbt der Reisestress das Personal, Fehler schleichen sich ein. Die angedachte Doppelbesetzung von Mechaniker- und Ingenieurposten ist kaum möglich. Es gibt weder so viele Spezialisten, noch würde die vereinbarte Etatdeckelung es zulassen. Das Traditionsteam von McLaren beispielsweise propagiert 20 WM-Läufe als ideales Maß für die Zukunft. Auch der deutsche Debütant Mick Schumacher spricht sich für mehr Augenmaß aus: "Ich sehe, dass es hart ist. Und manchmal ist es besser, Qualität statt Quantität zu haben."

Mehr und mehr Beachtung muss die Formel 1 auch der Umweltbelastung schenken. Die Serie hat bereits vor zwei Jahren das Klimaversprechen abgelegt, bis 2030 karbonneutral zu sein. Nach eigenen Angaben sind es gut 250 000 Tonnen C02, die momentan den ökologischen Fußabdruck belasten. Der Anteil der Rennwagen daran liegt unter einem Prozent, der Transport hingegen ist der Großteil. Damit einzelne Teams bereits heute auf eine ausgeglichene Ökobilanz kommen, kompensieren sie den Ausstoß durch den Kauf von entsprechenden Zertifikaten. Aber eine High-Tech-Sportart bringt eben auch sonst viel Technik und Material mit sich, allein die Verkabelung am Ort beläuft sich pro Team auf gut zwei Kilometer Länge. Und wenn die unebenen Pisten wie in Brasilien und Katar dem Chassis zu stark zusetzen, muss etwa das Schweizer Alfa-Romeo-Team auf der ohnehin schon langen Reise noch zwei Unterböden einen Umweg zur Reparatur in die Rennfabrik fliegen lassen.

Der Große Preis von Brasilien brachte den bisher größten Logistik-Albtraum mit sich, weit schlimmer als einst bei diversen Taifunen während der Asien-Tourneen. Eine Nebelbank über Mexiko sorgte für viele zusätzliche Nachtschichten im Fahrerlager. Denn die Sammeltransporter flogen auf Umwegen, mit Verspätung und nicht in der richtigen Reihenfolge ein. Statt drei Tagen Vorlaufzeit für den Aufbau an der Strecke blieben vielen weniger als 24 Stunden Zeit. Hätte der Automobilweltverband Fia nicht die nächtliche Sperrstunde aufgehoben, wäre kein geordnetes Rennwochenende in Sao Paulo möglich gewesen. Manche Teams hatten zwar ihre Rennwagen in der Garage stehen, aber die Werkzeuge fehlten noch. Andere hatten Werkzeugkisten, aber keine Autos. Die verbleibenden beiden Rennen nach dem Debüt in Katar sind hingegen eher Kurzstrecken - das Material muss nur noch nach Jeddah und Abu Dhabi verfrachtet werden, zusammen keine 3000 Kilometer.

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