Formel 1 in Kanada:Verstappen zieht sich selbst aus der Krise

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Feiernd, aber weiter in Lauerstellung: Die Bilder der Sieger-Zeremonie von Kanada spiegeln ganz gut die Stimmung von Max Verstappen und Red Bull wider. (Foto: Paul Chiasson/AP)

Beim Großen Preis der Kapriolen in Montréal profitiert Max Verstappen davon, dass die Konkurrenz noch keine konstanten Höchstleistungen abrufen kann. Aber die Titeljagd ist ein Vierkampf geworden: Mercedes meldet sich zurück.

Von Elmar Brümmer, Montréal

Aus dem so genannten cool down room, der angesichts der Witterungsbedingungen beim kanadischen Grand Prix eher eine Wärmestube war, drangen merkwürdige Geräusche. Immer wieder Ahs und Ohs, dazwischen auch mal ein „Uiuiui!“. Die drei schnellsten Rennfahrer des spektakulären Formel-1-Rennens vertonten nachträglich die Fernsehbilder, sie staunten über Dreher, sie sahen ihre Autos über die feuchte Fahrbahn schlingern, dazu kamen Kollisionen und Safety-Car-Phasen. Der neunte WM-Lauf auf der Ile de Notre-Dame war ein Großer Preis der Kapriolen – mit demjenigen als Sieger, dem die wenigsten Fehler unterlaufen waren.

Auf seine ganz eigene Art, mit einer sehr kontrollierten Aggressivität auf dem rutschigen Asphalt, war es einmal mehr Max Verstappen, der als Erster über die Ziellinie fuhr. Der Titelverteidiger, der seit einigen Wochen mit seinem Red-Bull-Rennwagen eine technische Talsohle durchschreitet, zog sich just unter elementar schwierigen Bedingungen selbst aus der Krise. Bei seinem dritten Sieg in Serie in Montréal empfand der Niederländer das Resultat als „ganz besondere Belohnung“.

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:Verstappen trotzt den Bedingungen

Bei Regen und Safety-Car-Phasen setzt sich der Weltmeister im Grand Prix von Kanada vor Lando Norris und George Russell durch – der das erste Podium in dieser Saison für Mercedes holt.

Von Anna Dreher

Es sei so leicht gewesen, Fehler zu machen, sagte Verstappen – und überließ sie den anderen. Lando Norris im McLaren und George Russell im erstarkten Silberpfeil waren dem Sieg tatsächlich manchmal näher, hatten während der mit zwei Safety-Car-Phasen garnierten 70 Runden zwischenzeitlich die Führung übernommen. Aber sie gingen dann mal zu wenig und mal zu viel Risiko ein, während Red Bull und sein Ausnahmefahrer immer eine gedachte Ideallinie einhielten. Verstappen war die Ruhe im Sturm. „Es war ein sehr schwieriges Rennen“, gestand Verstappen nach dem sechsten Sieg im neunten WM-Lauf der Saison: „Aber es hat zugleich ungeheuren Spaß gemacht. Manchmal braucht man so etwas. Allerdings nicht an jedem Wochenende. Das Rennen hat mich an meine Jugendtage im Go-Kart erinnert.“

Bei Ferrari folgt dem Triumph von Monaco der Absturz von Montréal

Die Erleichterung bei ihm ist auch deshalb größer als sonst gewesen, weil Red Bull die vier schwierigsten Strecken der Saison jetzt hinter sich gebracht hat. Der Vorsprung in der Gesamtwertung der Fahrer-Weltmeisterschaft jedenfalls kann sich zum Start des zweiten Saisondrittels sehen lassen. Auf Charles Leclerc hat er 56 Zähler Abstand, auf Norris noch einmal sieben mehr. Ein anderes Bild erzählt die Konstrukteurswertung, da liegt Red Bull mit 301 Punkten knapper vor Ferrari (252) und McLaren (212). Was auch daran liegt, wie Verstappen es ungewollt sarkastisch formuliert, dass Red Bull nur mit einem Auto unterwegs war. Nach seiner Vertragsverlängerung war Sergio Perez einmal mehr ein Komplettausfall in Qualifikation und Rennen, endgültig ausgeschieden nach 51 Runden.

Ferrari erwischte es noch schlimmer. Dem Triumph von Monaco folgte der Absturz. Beide Autos qualifizierten sich schon nicht für die Top Ten, im Rennen dann schied Leclerc mit einem lahmenden Motor etwa zur Hälfte aus, in der Schlussphase zerstörte Carlos Sainz jr. seinen roten Wagen bei einem Crash. Der vermeintliche Kronprinz Leclerc sprach von einer „unangenehmen Überraschung“, eine charmante Umschreibung für den Frust. Er forderte einen Neustart bei der Rückkehr nach Europa, am 23. Juni wird in Spanien gefahren. Sainz verstand den Kontrast zwischen Himmel und Hölle überhaupt nicht, reimte sich eine Erklärung aber zusammen: „So ist wohl die neue Formel 1.“

"Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder oben mitkämpfen können", sagte George Russell nach Platz drei beim Grand Prix in Kanada. (Foto: Geoff Robins/AFP)

Launisch wie das Wetter eben. Was im Prinzip eine ziemlich gute Nachricht ist. Denn aus dem Dreikampf Red Bull – Ferrari – McLaren ist ein Quartett geworden, das um den Sieg fahren kann. Bereinigt um die Unbill der unberechenbaren Regenwolken über Quebec zeigte das Rennen, dass sich im Gesamtbild etwas verändert hat. Auch Mercedes hat sich mit der Pole-Position von Russell zurückgemeldet, Hamilton hatte trotz seiner Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung eine Podiumschance.

„Wir können uns keine Fehler mehr leisten, es kommt aufs kleinste Detail an“, sagt Verstappen

Teamchef Toto Wolff als bekennender Zweckpessimist sprach von der leisen Hoffnung, von nun an wieder vorne mitmischen zu können. Ein veränderter Frontflügel hat nach einer Trendwende, die sich schon vor einigen Wochen abzeichnete, für eine Art Durchbruch gesorgt. Trotzdem haderte Russell mit dem Endresultat. Verstappen war, als es schwierig wurde, voll da. Dem Briten hingegen unterliefen ein paar Schnitzer, selbstkritisch beklagte er eine verpasste Chance: „Ich ärgere mich über mich selbst.“ Als es der 26-Jährige im hektischen Renngeschehen zwischendrin mit seinem Ehrgeiz zu übertreiben drohte, musste Toto Wolff die mahnenden Worte „Fokussier’ dich!“ ins Cockpit funken. Russell schmerzte der verpasste Sieg mindestens so, wie Landsmann Norris unter seinem selbst verschuldeten Schicksal litt. Immerhin hat Montréal Russell etwas vom Glauben an sich selbst zurückgegeben: „Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder oben mitkämpfen können.“

Das gilt nun für viele. Noch profitiert Max Verstappen davon, dass die anderen – mit Ausnahme von McLaren – noch keine konstanten Höchstleistungen zeigen können, aber er registriert die näher gekommenen Wettbewerber: „Es ist eine größere Herausforderung geworden. Wir können uns keine Fehler mehr leisten, es kommt aufs kleinste Detail an.“

Deshalb soll das Auto künftig wieder einfacher zu fahren sein, der Problembereich ist wohl erkannt. Verstappen gibt jedoch zu, dass Red Bull Racing aus unterschiedlichsten Gründen gerade nicht den Flow vom Vorjahr habe: „Aber wir machen immer noch vieles richtig.“ Gerade an Tagen wie diesen, wo es insbesondere auf den Fahrer ankommt. Dafür spricht auch die Eleganz, mit welcher der Sieger im letzten Moment durch ein beherztes Bremsmanöver ein Murmeltier auf der Strecke umkurven und vor dem sicheren Tod bewahren konnte: Null-Fehler-Job.

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