Formel 1 in Montreal:Verstappen entwischt immer wieder

Formel 1 in Montreal: Sechster Sieg im neunten Rennen: Max Verstappen lässt sich feiern.

Sechster Sieg im neunten Rennen: Max Verstappen lässt sich feiern.

(Foto: Zak Mauger/Imago/Motorsport Images)

Der Niederländer gewinnt den Großen Preis von Kanada und baut seine Führung im Titelkampf aus. Während Mick Schumacher von der Technik ausgebremst wird, erlebt Lewis Hamilton längst vergessene Glücksgefühle.

Von Philipp Schneider

Für einen Augenblick hat Lewis Hamilton womöglich wieder diese altbewährte Freude am Fahren verspürt; das Gefühl, das einen übermannen kann, wenn er die Schnellsten überholt. Wer weiß, vielleicht waren schon in diesem Moment die Schmerzen vergessen, die Hamilton sein so grenzwertig hoppelnder Wagen zuletzt in Baku zugefügt hatte, als er nach dem Rennen aus dem Cockpit gezogen werden und auf den ersten Metern danach gestützt werden musste. Wie ein alter Mann.

Und nun, eine Woche später in Montreal: Da waren 44 Runden gefahren, als der siebenmalige Weltmeister mit Vollgas die Gerade entlangraste, den behelmten Kopf hielt er im Wind. Aus der Boxengasse schob sich tatsächlich sein alter Rivale auf die Strecke, Weltmeister Max Verstappen, der sich ganz offensichtlich einen schnelleren Boxenstopp erhofft hatte. Und Hamilton raste tatsächlich an ihm vorbei.

Aber der bezaubernde Moment hielt nur ein paar Sekunden, er war so real wie eine Fata-Morgana. Hamilton musste seinerseits an die Box, benötigte frische Reifen. Und Verstappen passierte nicht nur Hamilton, er ließ sich auch von niemand sonst mehr aufhalten, als es 17 Runden vor Schluss noch einen Wiederstart hinter dem Safety Car gab, den der Japaner Yuki Tsunoda ausgelöst hatte, als dieser seinen Alpha Tauri tief in die Bande gejagt hatte. Carlos Sainz im Ferrari hing Verstappen zwar noch ein paar Runden hartnäckig im Heck. Aber am Ende strebte Verstappen vor Sainz im Ferrari und Hamilton recht kontrolliert zu seinem sechsten Sieg im neunten Rennen.

Die Startaufstellung liest sich wie eine Zeitreise in die Vergangenheit

Ach ja, Charles Leclerc, Verstappens WM-Rivale? Er wurde nach einem tapferen Rennen, das er von ganz hinten in Angriff nehmen musste, noch Fünfter. Weil der anfällige Antrieb von Ferrari in dieser Saison schon weit mehr Zuwendung der Mechaniker erforderlich gemacht hatte, als es das Reglement erlaubt, war der Monegasse strafversetzt worden auf Startplatz 19. Sein Rückstand auf Verstappen beträgt nun schon 49 Punkte.

Formel 1 in Montreal: Diesmal hätte es klappen können mit den Punkten, doch Mick Schumacher schied auch in Montreal aus.

Diesmal hätte es klappen können mit den Punkten, doch Mick Schumacher schied auch in Montreal aus.

(Foto: Andy Hone/Imago/Motorsport Images)

Das offizielle Parkbucht-Arrangement in Montreal las sich in Teilen nicht wie eine Startaufstellung, sondern wie eine Zeitreise - zehn Jahre zurück in die Vergangenheit. Fernando Alonso auf Position zwei? Und ein Schumacher auf Rang sechs? Tatsächlich musste es schon ordentlich regnen in der Qualifikation, um den zweimaligen Weltmeister aus Spanien und Mick Schumacher, Sohn des Rekordweltmeisters Michael, so weit nach vorne zu spülen.

Andererseits schmälerte dies mitnichten die Darbietung Alonsos, der auf dem Circuit Gilles Villeneuve 1,6 Sekunden schneller gekreist war als sein Teamkollegen Esteban Ocon und nun zum ersten Mal seit dem Großen Preis von Deutschland 2012 aus der ersten Startreihe losrollte. Und auch nicht die von Schumacher, der sich überhaupt erst zum zweiten Mal in seiner Karriere ins Q3 vorgekämpft hatte. Schumacher sah den Startplatz als Beleg für ein Talent, das zuletzt angesichts von noch immer null WM-Punkten und zwei kolossal kostspieligen Crashs von immer mehr Beobachtern in Zweifel gezogen worden war. "Das zeigt, dass ich aus gutem Grund hier bin", sagte er trotzig. Er meinte: die Formel 1.

Schon die erste Runde verlief sehr unbefriedigend für Mick Schumacher

Die Ampeln gingen aus auf der Ile Notre-Dame. Und Alonso hielt nicht Wort. Er griff den 16 Jahre jüngeren Verstappen nicht an, der ihn tags zuvor als alt bezeichnet hatte, woraufhin Alonso ankündigte: "Ich werde ihn morgen überholen. Mal sehen, wer dann alt aussieht!" Was soll man sagen? Vier Kurven waren gefahren, und Alonso, der träge losrollte, war noch immer der Alte, Verstappen der Junge.

Unbefriedigend verlief die erste Runde vor allem für Schumacher: Gleich nach dem Start wurde er überholt von Esteban Ocon im Alpine. Dann passte er in der Haarnadel-Kurve nicht gut auf, auch George Russell schob seinen Silberpfeil klammheimlich innen vorbei. Eine Runde war gefahren, und Schumacher war nur noch Achter, sein Teamkollege Kevin Magnussen, der ihn schon sehr oft düpiert hatte in dieser Saison: auf Rang fünf.

Formel 1 in Montreal: Es sah gut aus für Fernando Alonso. Doch am Ende wurde er, schwer genervt, nur Siebter.

Es sah gut aus für Fernando Alonso. Doch am Ende wurde er, schwer genervt, nur Siebter.

(Foto: Andy Hone/Imago/Motorsport Images)

Alonso, selbstverständlich nicht nur alt, sondern stets ein Fuchs, probierte sich vor dem nachrückenden Verkehr breit zu machen wie ein Sattelschlepper. Er hatte ja immerhin zehn Jahre gewartet auf diesen Start von der Spitze. Aber schon nach drei Runden nutzte Sainz die überlegene Kraft seines Ferraris und eroberte Platz zwei, widerstandslos. Nun galt es für den Spanier, zumindest die Gruppe um Lewis Hamilton hinter sich zu lassen, seinen alten Lieblingsgegner seit gemeinsamen Zeiten bei McLaren, der sich schon nach der Qualifikation für Platz vier, seinem besten Resultat in dieser Saison, wie "beseelt" gefühlt hatte. Weil sich Magnussen im Zweikampf mit Hamilton den Frontflügel lädierte, musste zum Tausch an die Box. Danach fiel er zurück an das Ende des Feldes.

Acht Runden waren gefahren, da meldete auch Sergio Perez Probleme an sein Red-Bull-Team. "Ich stecke in einem Gang fest", rief er in den Bordfunk. Dann rollte er aus. Es war nicht das Wochenende des Mexikaners und Zweiten der WM-Wertung, der sich ja schon lediglich nur für Startplatz 13 beworben hatte. Das Safety Car wurde aktiviert, und an der Spitze nutzten Verstappen und Hamilton die Gelegenheit für einen überaus frühen Reifenwechsel. So übernahmen Sainz und Alonso vorübergehend die Führung.

Und auch Schumacher erfuhr nun, was es bedeutet, nicht von einem Fahrfehler um WM-Punkte gebracht zu werden - sondern von Zuverlässigkeitsproblemen an seinem Haas. Aus dessen Heck drang unversehens Qualm, eines der zwei Energie-Rückgewinnungs-Aggregate war defekt, Schumacher rollte aus, das Virtuelle Safety Car wurde zum zweiten Mal aktiviert. "Ein unschönes Gefühl ist das", klagte Schumacher später bei Sky. "Wir hatten die Geschwindigkeit für Platz fünf." Und im Hinblick darauf, dass er nach eineinhalb Jahren in der Formel 1 noch immer auf seinen ersten WM-Punkt wartet, gab er ein Versprechen ab: "Another Day." An einem anderen Tag.

Während jene Fahrer, die bei erster Gelegenheit nicht gestoppt hatten, nun ihre Boxengassen ansteuerten, sorgte Alonso für ein kleines Rätsel: Er fuhr weiter. Erst nachdem ihn Hamilton überholt hatte, steuerte auch er die Versorgungsgasse an und ließ sich neue Reifen reichen. Am Ende wurde er, schwer genervt, zunächst nur Siebter - noch hinter seinem Teamkollegen Ocon. Nachträglich brummten ihm die Rennkommissare noch eine Fünfsekunden-Strafe dafür auf, dass er im Duell mit Valtteri Bottas in der vorletzten Runde Schlangenlinien gefahren war. So fiel er zurück auf Platz neun.

Nach der Hälfte des Rennens führte Verstappen das Rennen an vor Sainz und den Silberpfeilen von Hamilton und Russell. Leclerc hatte inzwischen immerhin 13 Positionen gut gemacht und war bereits Sechster. Allerdings hing er dort wie eingemauert fest hinter Ocon - und er hatte als einer von nur drei Fahrern noch nicht gehalten.

Der Crash von Tsunoda und das Safety Car sorgten vorübergehend für ein wenig Spannung. Alonso verlor seine Position an Ocon, und als er seinen Teamkollegen überholen wollte, da funkte sein Team: Position halten! Vor allem Sainz profitierte, weil ihm so ein zeitsparender Boxenstopp ermöglicht wurde. Verstappen entwischte ihm letztlich jedoch ein ums andere Mal an der Spitze.

Und Lewis Hamilton? Federnd wie ein Teenager sprang er am Ende eines befriedigenden Arbeitstages aus seinem Mercedes. Keine Anzeichen von Rückenschmerzen. Er lächelte und sagte: "Wir kommen immer näher ran! Ich fühle mich fast wieder jung."

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