Formel 1 in Suzuka:Einer fehlt am Jahrestag

Suzuka Circuit Suzuka Japan Thursday 24 September 2015 The Jules Bianchi tribute outside the Ma

Mit der Rückkehr nach Suzuka kommen die Erinnerungen an den schweren Unfall von Jules Bianchi.

(Foto: imago/LAT Photographic)
  • Vor einem Jahr verunglückte der Franzose Jules Bianchi beim Rennen in Suzuka so schwer, dass er an den Folgen starb.
  • Zum ersten Mal seit dem Unglück kehrt die Formel 1 zurück.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Es ist der große Zwiespalt, den es für die Formel-1-Fahrer an diesem Wochenende zu überwinden gilt. Der Suzuka International Circuit gehört zu jenen Rennstrecken alter Schule, bei denen die Kurven lang und schnell sind; die Asphalt-Acht schmiegt sich dazu in ein leicht hügeliges Stück japanischer Küstenlandschaft. Zusammen ergibt das einen besonderen Kick. Es ist eine der letzten großen rennfahrerischen Herausforderungen. Allerdings auch keine ganz ungefährliche.

Vor allem dann nicht, wenn wie am ersten Trainingstag japanischer Landregen auf die Piste prasselt. So war es im vergangenen Jahr während des Rennens, als die Ausläufer eines Taifuns einen Abbruch des Großen Preises von Japan gerechtfertigt hätten. Den gab es dann auch neun Runden vor Schluss, aber erst nachdem der Franzose Jules Bianchi in der einbrechenden Dunkelheit bei Aquaplaning und zu hoher Geschwindigkeit in einen Bergungskran gerutscht war und mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zur Notoperation in ein Hospital gefahren werden musste. Der 25-Jährige erlag dann im Juli, nachdem er in seine Heimatstadt Nizza verlegt worden war, seinen Verletzungen. Die Kräfte, die bei dem Unfall auf ihn eingewirkt hatten, waren zu groß gewesen.

Mit der Rückkehr nach Suzuka kommen die Erinnerungen

Bianchi war der erste Formel-1-Tote auf einer Rennstrecke seit Ayrton Sennas Unfall im Mai 1994, für die aktuelle Rennfahrer-Generation damit die erste Konfrontation mit dem Schrecken dieser Sportart. Einige Piloten, wie Sebastian Vettel, gehörten zu den Sargträgern. "Die Umstände des Unfalls waren sehr speziell, daraus musste gelernt werden und wurde gelernt", sagt Vettel, Sprecher der Fahrer- gewerkschaft GPDA: "An dem Thema kann man immer arbeiten. Die Dinge, die man in der Hand haben kann, die sollte man in Zukunft versuchen zu beeinflussen und zu verbessern." Als unmittelbare Folge des Unfalls wurde das virtuelle Safety Car eingeführt: Die Technik erlaubt es, zu jedem Zeitpunkt an jeder Stelle Signale auf die Lenkraddisplays zu schicken, die die Fahrer warnen. So soll verhindert werden, dass sich die Umstände wie bei Bianchis Unfall unglücklich verketten.

Mit der Rückkehr nach Suzuka kommen aber auch die Erinnerungen. Es ist an den ersten beiden Tagen im Fahrerlager vor allem das trübe Wetter, das den Eindruck einer Formel 1 in Moll erweckt. Fahrer, Funktionäre, Teams und auch der Veranstalter, der in ersten Berichten nach dem Unfall mitangeklagt worden war, weil er auf die späte Startzeit mitten im Regen beharrt hatte, scheinen ein kollektives Schweigegelübde abgelegt zu haben. Möglich, dass es am Rennsonntag (der Start ist um 7 Uhr MESZ) zu einer Würdigung des Verunglückten kommt.

Viele Piloten wollen nicht an das Risiko erinnert werden

In der Vorbereitung aber will sich keiner ablenken lassen, viele Piloten wollen nicht an das Risiko erinnert werden. Doch Bianchi, das Talent aus der Ferrari-Fahrerakademie, das für Marussia fuhr, ist dabei nicht vergessen. Auf den Autos des Manor-Teams, dem Rechtsnachfolger von Marussia, fährt seit dem Unfall Bianchis Namenszug mit. Neben der Boxengarage gibt es ein kleines Mahnmal mit Blumen und Plakaten. Der Franzose Romain Grosjean beschreibt seine Gefühlslage bei der Ankunft in Suzuka so: "Das bringt Erinnerungen an den schlimmsten Moment meiner Karriere zurück."

Jeder der Piloten geht seinen eigenen Weg der Verarbeitung. Adrian Sutil, 32, war im vergangenen Oktober direkter Unfallzeuge. Sein zuvor havarierter Sauber-Rennwagen fiel vom Haken des Krans, als Bianchi das Bergungsfahrzeug rammte, kaum gebremst. Sutil, inzwischen nur noch Reservefahrer des Williams-Teams, ahnt: "Dieses Rennen wird sicher schwieriger für alle." Er selbst habe lange gebraucht, bis ihm der schreckliche Moment aus dem Kopf gegangen sei, sagt Sutil. Das Geschehen habe seine Sichtweise verändert: "Es öffnet einem die Augen, was wir da eigentlich tun. Fakt ist, dass man in der heutigen Zeit in der Formel 1 verdrängt, dass es immer noch ein gefährlicher Sport ist."

Jules Bianchis Vater Philippe schaut das Rennen nicht

Vorjahressieger Lewis Hamilton gehört zu denen, die die Achterbahn von Suzuka für eine der besten Rennstrecken der Welt halten - auch weil er um ihre Gefahren weiß. Zwar gibt es an der Unfallstrecke, wo das Wasser quer den Hang hinunter schoss, eine neue Drainage, aber an vielen Stellen fehlen immer noch Auslaufzonen aus Asphalt. Natürlich, sagt Hamilton, fahre Bianchi in Gedanken mit. Hamilton versucht die Aufarbeitung durch eine grundsätzliche Betrachtung von Regenrennen: "In der Gischt ist es, als fahre man durch dichten Nebel, und plötzlich tauchen Kurven vor einem auf. Man muss viel konzentrierter sein, schneller reagieren, die Bedingungen ändern sich rasend schnell. Irgendwie ist es wie Fahren auf Eis."

Jules Bianchis Vater Philippe wird sich das Rennen nicht anschauen. "Diese Woche ist keine gute Woche für die Familie Bianchi. Im Moment ist es zu schwierig für mich, einen Grand Prix zu verfolgen. Vielleicht kann ich es in ein paar Monaten aushalten, vielleicht in ein paar Jahren", sagt er. Vielleicht wird er es aber auch nie mehr können. Suzuka wird für immer mit dem Unfall in Verbindung gebracht werden, der seinen Sohn das Leben kostete.

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