Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Sotschi:Hamilton triumphiert, Putin applaudiert

Lewis Hamilton gewinnt in Sotschi das vierte Formel-1-Rennen in Serie, seinen Rivalen Nico Rosberg hängt er ab im Kampf um den Fahrer-Titel. Rechtzeitig zur Siegerehrung trifft dann auch Russlands Präsident Wladimir Putin ein - und freut sich über die vielen schönen Bilder.

Von René Hofmann

Nein, es war kein normales Formel-1-Rennen, das da an diesem Sonntag auf dem Olympiagelände in Sotschi direkt am Schwarzen Meer stattfand. Der erste Große Preis von Russland wurde von einem Politiker gestartet: Vize-Premier Dmitri Kosak drückte den Startknopf. Gut eineinhalb Stunden später beendet ein anderer Politiker die Veranstaltung: Präsident Wladimir Putin kürte Sieger Lewis Hamilton, nachdem er von Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone bereits in den Raum geführt worden war, in dem die schnellsten Drei vor der Siegerehrung ansonsten unter sich bleiben dürfen.

Wie viel Gewicht er in einem Grand Prix denn verliere, wollte Putin vom Zweitplatzierten Nico Rosberg wissen. Drei Kilogramm, gab der artig zurück, bevor die Kamera am Drittplatzierten Finnen Valtteri Bottas (Williams) vorbei zu den sieben hübschen Mädchen schwenkte, die in äußerst knappen Kleidchen in den russischen Landesfarben neben den mutigen Männern standen.

Schöne Bilder zu produzieren: Darum war es den Veranstaltern bei der umstrittenen Show gegangen. Putin bekam sie. Die Schlussphase des Großen Preises hatte er auf der Ehrentribüne neben Ecclestone und dem König von Bahrain verfolgt. Viele packende Aktionen aber hatte es nicht zu sehen gegeben. "Nicht das ereignisreichste Rennen", sagte Beobachter David Coulthard in typisch britischer Understatement-Manier über den Grand Prix.

Die entscheidende Szene spielte sich bereits wenige Sekunden nach dem Start ab. Am Ende der langen Startgeraden verpasste Nico Rosberg den Bremspunkt bei dem Versuch, sich am Qualifikationsschnellsten, seinem Teamkollegen Lewis Hamilton, vorbeizuzwängen. Da habe er sich "völlig verschätzt", räumte Rosberg, 29, ein.

Die Quittung für die Fehlkalkulation bekam er umgehend: Weil er einen Reifen unrund gebremst hatte, musste er alle vier Pneus wechseln lassen. Dies warf Rosberg ans Ende des Feldes zurück, von wo er anschließend in 52 Runden ohne Reifenwechsel bis zurück auf Platz zwei eilte. Der Sieg ging völlig ungefährdet an Hamilton.

Die 16. Wettfahrt in dieser Saison endete mit dem neunten Doppelerfolg für Mercedes. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie überlegen die Marke mit dem Stern in diesem Jahr ist: Hier war er, vorgetragen bei 23 Grad unter wolken- losem Himmel. "Wir sind die Besten", stellte Mercedes-Sportchef Toto Wolff stolz fest und verteilte Shirts, auf denen eine historische Marke gefeiert wurde: Zum ersten Mal ist ein Mercedes-Werksteam Konstrukteurs-Weltmeister. In den vergangenen vier Jahren stand die Trophäe, die es dafür gibt, in Milton Keynes, wo Red Bull seine Rennwagenfabrik unterhält. "Nächstes Jahr werden wir versuchen, sie wieder zurückzugewinnen", kündigte deren Chef Christian Horner umgehend an, als er den Mercedes-Verantwortlichen gratulierte.

"Für die Leute im Team ist das der wichtigste Titel", richtete Rosberg seinem Teamkollegen Lewis Hamilton ein wenig unfreundlich aus. Der Deutsche weiß selbst, dass ihn sein britischer Rivale im Rennen um den Fahrer-Titel zunehmend abhängt. Nach dem Großen Preis von Belgien Ende August war Rosberg Hamilton noch 29 Punkte voraus gewesen. Nach vier Niederlagen in Serie liegt er nun 17 Zähler hinten. 100 Punkte gibt es in den verbleibenden drei Rennen in Austin/Texas (2. November), São Paulo/Brasilien (9. November) und in Abu Dhabi (23. November) noch zu gewinnen: Das sieht nicht gut aus für Rosberg. Noch nie hat ein Fahrer, dem - wie Hamilton jetzt - vier Siege in Serie glückten, den Titel nicht gewonnen.

"Ein unglaubliches Rennen" habe Hamilton gezeigt, schwärmte Niki Lauda. Auf die Frage, ob der 29-Jährige nach den Gala-Vorstellungen in Monza, in Singapur, in Suzuka und in Sotschi nun nicht mehr zu schlagen sei, gab der Chef des Aufsichtsrats des Mercedes-Formel-1-Teams zurück: "Ja, in gewisser Weise schon."

Zu wenig Ersatzteile

Vom Siegerpodest aus hatte Hamilton sich zuvor höflich bei den russischen Fans für den freundlichen Empfang bedankt, den diesen der Formel 1 bereitet hatten. Sogar ein paar russische Worte kamen dem Weltmeister des Jahres 2008 über die Lippen, der versprach: "Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Vielleicht komme ich auch mal in den Ferien vorbei." Zum Ende des Tages gab es für den Titelfavoriten aber erst einmal einen Freiflug in die anderer Richtung: Lauda nahm ihn in seiner Maschine mit zurück nach Westeuropa.

800 Tänzer, eine 450 Meter lange Fahne und eine Flugshow - vor dem Start hatte es neben mehrerer Aktionen, die an den Franzosen Jules Bianchi erinnerten, der bei einem Unfall beim Japan-Grand-Prix sieben Tage zuvor lebensgefährlich verletzt worden war, mächtig viel Brimborium gegeben. Am Samstagabend schon war Lenny Kravitz auf dem Platz mitten in der Rennstrecke aufgetreten, an dem bei den Winterspielen die Medaillen verliehen worden waren. Trotz all der Mühen, die sich die Gastgeber gaben, verließen nicht alle Sotschi zufrieden. Titelverteidiger Sebastian Vettel haderte überdeutlich, nachdem er von Startplatz zehn aus Achter geworden war, womit er erneut hinter seinem Teamkollegen Daniel Ricciardo (Siebter) blieb.

Jeder Fahrer darf pro Saison nur fünf Motoren verwenden. Vettel kommt mit der Menge nicht aus. Deshalb droht ihm beim nächsten Wechsel eine Strafversetzung. "Es hätte Sinn gemacht, den Joker schon hier zu ziehen. Aber wir hatten nicht alle Teile dafür", ließ Vettel grummelnd wissen, nachdem er schon die Taktik kritisiert hatte, die ihm das Team vorgegeben hatte.

Beim nächsten Auftritt in drei Wochen in Texas will Vettel in der Qualifikation überhaupt nicht fahren, um das Material zu schonen. Ein Start aus der Boxengasse wäre dann die Folge. 2015 verlässt Vettel Red Bull. Mit der Verkündung, dass er dann für Ferrari fährt, wird in den nächsten Tagen gerechnet.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2014
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