Formel 1:In der Bärengruppe

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Woher kommt die Kraft der roten Motoren? Seit vergangenem Sommer steht die Scuderia Ferrari verschärft unter der Beobachtung der Konkurrenz - und nun auch der Regelhüter.

(Foto: HochZwei/Imago)

Schummelt Ferrari zu viel Sprit in die Motoren? Der Weltverband will endlich Gewissheit - und hat deshalb Benzinsysteme konfisziert.

Von Philipp Schneider

Am Donnerstagabend saß John Elkann auf einer Bühne in Turin, der Präsident von Ferraris Mutterkonzern Fiat Chrysler sitzt derzeit auf sehr vielen Bühnen. Elkann bereitet gerade eine umstrittene Konzernhochzeit mit Peugeot vor, der Autobauer will der viertgrößte der Welt werden, und Elkann muss vielerorts Überzeugungsarbeit leisten. Er fand allerdings trotzdem noch die Muße, sich über den in seiner Relevanz für den Konzern vergleichsweise zu vernachlässigenden Crash seiner Formel-1-Fahrer zu ereifern, die sich am Sonntag beim Rennen in Brasilien gegenseitig von der Piste geräumt hatten. Er sei noch immer sehr verärgert, ließ der 43-jährige Spross der italienischen Unternehmerfamile Agnelli Sebastian Vettel und Charles Leclerc wissen: "Auch wenn jeder von ihnen sehr gut ist, sollten sie nie vergessen, dass sie Ferrari-Piloten sind."

Seine Angestellten, das wollte Elkann damit sagen, fahren nicht nur zur Mehrung des eigenen Ruhms. Sie sitzen zunächst einmal in einem Ferrari - und die Reputation der Marke mit dem schwarzen Pferdchen stehe über allem.

Kein Kommentar Elkanns ist bislang überliefert zu einem für die Scuderia möglicherweise sehr viel pikanteren Vorgang als jene Kabbelei der Fahrer in São Paulo: In Brasilien hat der Automobilweltband Fia Techniker zu mehreren Vehikeln geschickt, um dort die Benzinsysteme auszubauen und zur näheren Untersuchung zu konfiszieren. Wie zunächst das Fachmagazin auto motor und sport berichtete, beschlagnahmten die Fia-Inspekteure diverse Teile von Ferrari, vom Ferrari-Kundenteam Haas - und von einem Wagen ohne Ferrari-Antrieb.

Auch in der Formel 1 gilt die Unschuldsvermutung. Aber offensichtlich will der Weltverband nun endgültig den seit Monaten im Fahrerlager kursierenden Verdacht aus der Welt schaffen (oder belegen), die Scuderia habe eine Lücke im Reglement gefunden, die sie ausnutzt, um in bestimmten Situationen mehr Benzin in die Motoren einzuspritzen. Bei den ausgebauten Teilen handelt es sich um Benzinleitungen, die zwischen dem Motor und jenem Sensor liegen, der die Durchflussmenge überwacht. Der Sensor misst nicht permanent, sondern in Intervallen. Deshalb lautet eine beliebte Theorie, Ferrari schieße in jenen Momenten zusätzliches Benzin in den Motor, in denen der Sensor inaktiv ist - und verbrenne so mehr als die erlaubte Menge von 100 Kilogramm pro Stunde.

Kein Rennstall hat bislang den Mut aufgebracht, Ferrari öffentlich Illegales zu unterstellen, niemand hat offiziell protestiert. Das mussten Teams wie Red Bull aber auch nicht, es gibt subtilere Wege, die zum Ziel führen. In der Formel 1 werden durch Anfragen an die Regelhüter Praktiken anderer Teams angeprangert, ohne dass deren Namen oder der konkrete Verdacht genannt werden. Die Teams bitten bloß um eine Klarstellung zu einem Sachverhalt. Es geht also ein bisschen zu wie im Kindergarten, wo Eltern ebenfalls eher ungern ein fremdes Kind mit dem Vorwurf konfrontieren, es habe die eigene Tochter an den Haaren gezogen. Selbst wenn die Beweislage erdrückend ist. Aber es wäre ja sehr viel stressfreier, die Aufsichtsperson einfach zu fragen, ob sie denn nicht auch dafür sei, Haareziehen in der Bärengruppe grundsätzlich zu verbieten. Dann würde im morgendlichen Stuhlkreis prompt die Direktive ergehen: Haareziehen verboten!

Auf exakt diese Weise haben Red Bull und Honda vor dem Rennen in Texas eine Klarstellung der Fia zur Messung der Sprit-Durchflussmenge erzwungen. Sie fragten nach, ob es erlaubt wäre, Benzin in Intervallen einzuspritzen. Wäre es natürlich nicht. Und siehe da: Die Direktive der Fia war gerade erst erlassen, da fuhren die Ferraris langsamer durch die schnellen Passagen als in den Rennen davor. Weil die Fia nun genau hinsah? "Das passiert, wenn man aufhören muss zu schummeln", behauptete der gleichermaßen für seine Unverfrorenheit und Ehrlichkeit berühmte Red-Bull-Fahrer Max Verstappen. Ferraris Teamchef Mattia Binotto reagierte pikiert: Seine Techniker hätten gar nichts verändert, argumentierte er. Die Ferraris seien auf den Geraden nur langsamer gefahren, weil sie aerodynamisch mehr Abtrieb verpasst bekommen hätten.

Spätestens seit dieser Saison, eigentlich schon seit dem Sommer 2018, als Vettel überlegen in Spa-Francorchamps triumphierte, hat Ferrari immer wieder mit der Kraft seiner Motoren irritiert. Schätzungen gehen davon aus, die Italiener hätten in gewissen Momenten 50 PS mehr zur Verfügung als die Konkurrenz. Nach der Sommerpause standen wochenlang nur rote Renner auf der Pole-Position. Erst in Texas brach diese Serie ab.

Die Fia hat nie behauptet, die Konkurrenten hätten unterstellt, Ferrari würde manipulieren. Doch offensichtlich tasteten sich Ferraris Neider weiter vor: Auf die Direktive 035/19 in Austin folgte in Brasilien die Direktive 038/19. In dieser präzisierte die Fia, es dürfte keine Flüssigkeit aus anderen Bereichen (etwa Öl aus der Kühlung) zweckentfremdet in den Brennraum gepumpt werden. Am Mittwoch dann erging Direktive 039/19: Darin wurden die Teams angewiesen, künftig in den Autos einen zweiten Durchfluss-Messer zu installieren. Um sicherzustellen, dass niemand mehr Benzin verbrennt als erlaubt?

Nächste Woche endet die Formel-1-Saison mit dem Rennen in Abu Dhabi. Bis dahin werden Techniker die konfiszierten Benzinsysteme ausgewertet und verglichen haben. Wenn die Fia bis dahin Ruhe gibt, ist das eine sehr gute Nachricht für Ferrari. Einen Freispruch wird sie nicht verkünden. In der Bärengruppe gab es ja nie eine Anklage.

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