Formel 1 in San Marino:Wo Motoren mit der Landschaft verschmelzen

Emilia Romagna Grand Prix

Imola ist die Heimatstrecke von Ferrari. Nach einem miserablen Jahr des Teams lässt Charles Leclerc mit schnellen Runden aufhorchen.

(Foto: Jennifer Lorenzini/Reuters)

Imola ist die Lieblingsstrecke vieler Formel-1-Fahrer. Ihre Naturgewalt unterscheidet sie von vielen Retortenpisten - und wer Imola sagt, meint immer auch Ayrton Senna.

Von Elmar Brümmer, Imola

Rund um Bologna gilt der "Code Orange" der italienischen Covid-Regeln, weshalb beim Europa-Auftakt der Formel 1 keine Zuschauer an der Strecke zugelassen sind. Das tut jedem Veranstalter weh, aber in der Emilia Romagna schmerzt es ganz besonders. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto erinnert sich mit Blick auf die leeren und daher traurig wirkenden Naturtribünen: "Schon früh morgens sah man auf dem Hügel hinter der Rivazza-Kurve eine Wand voller Fans. Zu wissen, dass die meisten von ihnen schon die ganze Nacht dort gewesen waren, gab uns immer einen riesigen Energieschub." Heute liegt nur ein schmaler roter Teppichstreifen auf dem grauen Platz des Fahrerlagers. Für wen, das ist nicht klar. Vermutlich aus Prinzip. Ohne Rot geht es hier einfach nicht.

Es sind viele Botschaften, die den Großen Preis der Emilia Romagna begleiten und emotional verstärken. Der Titelsponsor heißt tatsächlich "made in Italy", das lässt ahnen, was die Rückkehr ins Autodromo Enzo e Dino Ferrari bedeutet. Der Gran Premio ist ein Heimspiel für die italienische Rennseele. Ein Banner, dass die Strecke überspannt, verkündet in großen Lettern die stolze Botschaft von Terre & Motori, dem hier unabdingbaren Zusammengehörigkeit von Landschaft und Motoren. Italien ist das einzige Land, das in dieser Saison zwei Rennen austragen darf. Der Speedtempel in Monza nimmt für sich die Bezeichnung Autodromo Nazionale in Anspruch - in Imola haben sie sich selbst das Gütesiegel Internazionale verliehen.

Nur 88 Kilometer sind es von hier zur Ferrari-Heimat Maranello

Überlebensgroß prangt an der nach dem siebten und letzten Sieg von Michael Schumacher neu gebauten Boxenanlage das Portrait von Enzo Ferrari, dem legendären commendatore. Lediglich 88 Kilometer liegen zwischen Imola und Maranello. Von dort kam 1950 das Ansinnen eines Rennstreckenbaus, ein kleiner Nürburgring sollte entstehen. Tatsächlich hat die wellige Piste in der Hügellandschaft mit ihrem Auf und Ab etwas von der Nordschleife, allerdings südlich einladender.

Fünf Kilometer schlängelt sich das Band des Asphalts durch Wald und Wiesen, die Charakteristik der 19 ganz unterschiedlichen Kurven ist von der Natur geformt worden und nicht durch berechnende Architekten. Kühn statt kühl. Die Fahrer lieben diese Naturgewalt, die sie von den vielen Retortenpisten kaum noch kennen. Dass die durchschnittliche Geschwindigkeit am Scheitelpunkt der Kurven bei 200 km/h liegt, sorgt für die nötige Herausforderung und den unentbehrlichen Respekt. Die Strecke ist an vielen Strecken so schmal, dass kaum zwei moderne Formel-1-Rennwagen nebeneinander passen. Das führt im Rennen häufig zu Prozessionen, aber auch zu grandiosen Platzkämpfen wie einst zwischen Rekordsieger Michael Schumacher und Fernando Alonso. Solche Duelle tragen viel zum Zauber von Imola bei.

Es dürfte heiß werden: Die besten Zehn der Qualifikation liegen innerhalb von einer halben Sekunde

Kaum einer kennt diese besser als Stefano Domenicali. Der neue Chef der Formel 1 ist in der Rennstadt geboren, er setzt für seinen WM-Kalender auf einen Hybrid aus neuen und traditionellen Rennstrecken. Dass Imola nach anderthalb Jahrzehnten Pause zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten die Königsklasse zu Gast hat, ist zwar der Pandemie und im aktuellen Fall dem abgesagten Rennen in Schanghai geschuldet. Aber schon die Qualifikation am Samstag hat gezeigt, wie gut etwas mehr Ursprünglichkeit dem Zukunftsgeschäft Motorsport tut.

Die besten Zehn innerhalb von einer halben Sekunde, Lewis Hamilton überraschend vor Sergio Perez, die Ausgangslage ist mehr als andernorts von der fordernden Strecke mitbestimmt. Max Verstappen hat die ihm schon fast sichere Pole-Position mit zwei klitzekleinen Fehlern verpasst, das große Talent Yuki Tsunoda setzte seinen Alpha Tauri mit Übermut in die Reifenstapel. Sebastian Vettel darf mit seinem 13. Rang weit weniger zufrieden sein als Debütant Mick Schumacher mit Rang 18. "Ich hätte es besser zusammenbekommen müssen", haderte Vettel, "aber hier entscheiden nun mal die Kleinigkeiten."

Es kommt auf den Flow an, ganz wie es das offizielle Rennplakat vorgibt. In dem Kunstwerk folgen bunte Rennwagensilhouetten einer sanften, aber dennoch schwungvollen Schlangenlinie. Ästhetischer lässt sich die Herausforderung Imola kaum darstellen. Dazu noch die klangvollen Namen der entscheidenden Streckenabschnitte, die Rivazza, Tosa, Aqua Minerale oder Tamburello lauten. Bei 73 Prozent Vollgasanteil fliegen sie nur so vorbei. Häufig aber werden die Rennen in der Boxengasse strategisch entschieden, sie ist mit 528 Metern die längste der Saison.

Der Mythos Senna lebt hier selbst während der Pandemie

Wer Imola sagt, meint immer auch Ayrton Senna. Beim schwarzen Mai-Wochenende 1994 kamen der Österreicher Roland Ratzenberger am Rennsamstag und der Brasilianer sonntags ums Leben. Die Tamburello-Kurve, in der Senna nach einem Defekt an seinem Williams-Rennwagen starb, ist immer noch ein Pilgerort für alle Fans. Das Denkmal, das einen in sich gekehrten und nach unten blickenden Rennfahrer zeigt, ist von Fotos, Transparenten und Blumensträußen umgeben. Der Mythos lebt selbst während der Pandemie. Die tödliche Streckenpassage ist durch eine Schikane entschärft worden, die eine Art Stop-and-Go-Rhythmus erzwingt und einer der Gründe ist, warum die Strecke so sehr auf die Bremsen geht.

Die Ayrton Senna Gedenkstätte erinnert an den am 1 Mai 1994 in Imola tödlich verunglückten brasilia

Das Denkmal für Ayrton Senna gegenüber der Tamburello-Kurve an der Rennstrecke von Imola.

(Foto: Thomas Pakusch/imago)

Binotto, nach der schlechtesten Ferrari-Saison in vier Jahrzehnten umstritten im Land von la macchina, schwärmt am Ende des Samstags von Charles Leclercs viertem Startplatz. "Wir haben uns in allen Bereichen verbessert - beim Motor, der Aerodynamik, den Werkzeugen, den Abläufen, im Windkanal", sagt Binotto. Als Fünfter geht der Franzose Pierre Gasly ins Rennen. Sein Rennwagen von Alpha Tauri entsteht im nur wenige Kilometer entfernten Faenza, während der Alfa Romeo des einzig einheimischen Fahrers Antonio Giovinazzi in der Schweiz gebaut wird und auf Platz 17 gelandet ist. Made in Italy kann an diesem Sonntag durchaus noch ein bisschen Magie von Imola vertragen.

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