Würde dieses Rennen tatsächlich noch ein spannendes Finish bekommen? "Ich pushe so hart, wie ich kann!", sagte Lando Norris mit angestrengter Stimme, als ihn sein Renningenieur per Funk bat, doch bitte alles aus sich rauszuholen jetzt. Über weite Phasen des Großen Preis der Emilia-Romagna hatte Norris das Objekt seiner Begierde nicht sehen können. Als von den insgesamt 63 Runden auf der Strecke in Imola nur noch wenige übrig waren, kam der Engländer immer näher an Max Verstappen heran. Aber das potenzielle Überholmanöver zum zweiten Formel-1-Sieg in Serie nach dem Überraschungserfolg vor zwei Wochen in Miami war nicht allein eine Frage von Können und Technik. Es war auch eine Frage der Zeit.
Norris fuhr schnell, kam mit seinem McLaren noch bis auf 0,7 Sekunden gefährlich nahe heran. Würde Verstappen nervös werden? Würde der Weltmeister einen Fehler machen und gar die Streckenbegrenzung so weit überstreiten, dass ihm eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt werden würde? Vielleicht wäre das noch passiert, vielleicht hätte Norris die Dominanz von Verstappen bei einem weiteren Grand Prix durchbrochen. Nur hätte das Rennen dafür länger dauern müssen.

Formel 1:Ferrari will aggressiv werden wie ein roter Bulle
Passend zum Heimspiel in Imola setzt Scuderia-Teamchef Vasseur zum großen Angriff an: Weg vom Image des organisierten Chaos, stattdessen mehr Risikoeinsatz - eine Strategie mit klarem Vorbild.
Und so vermochte der 24-Jährige es nicht, noch am Red Bull vorbeizurauschen. Er wurde mit 0,725 Sekunden Rückstand Zweiter vor Ferrari-Pilot Charles Leclerc, der die Tifosi beim Heimrennen seines Teams glücklich machte, wenngleich er mit 7,916 Sekunden abgehängt ins Ziel kam. "Ich musste hart dafür arbeiten", sagte Verstappen nach seinem fünften Sieg im siebten Saisonrennen und seinem 59. Grand-Prix-Sieg in der Königsklasse insgesamt. In der Gesamtwertung liegt der Niederländer nun mit 161 Punkten vor Leclerc (113) und seinem Teamkollegen Sergio Pérez (107), der am Sonntag Achter wurde.
"Ich durfte wirklich keinen Fehler machen, zum Glück ist das nicht passiert", sagte Verstappen. "Wenn ich bedenke, wo wir gestartet sind dieses Wochenende, können wir sehr zufrieden sein." Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko lobte ihn bei Sky: "Das war eine unglaubliche Leistung von Max, der fehlerfrei gefahren ist und das Maximum aus unserem Auto rausgeholt hat."
Verstappen holt sich mit der Pole in Imola eine besondere Bestmarke
Denn nach dem nächsten Sieg hatte es vor ein paar Tagen nicht unbedingt ausgesehen. Am Freitag rutschte Verstappen immer wieder in den Kies und war alles andere als begeistert von der Abstimmung seines RB20. Am Samstag war seine Laune kaum besser. Aber sollte bei der Konkurrenz schon ein zartes Pflänzchen der Vorfreude gewachsen sein, wurde diese doch wieder am Wachsen gehindert. Als es letztlich darauf ankam, war der Weltmeister nämlich da: Mit der schnellsten Zeit in der Qualifikation, die ihm seine achte Pole Position in Serie brachte - und eine besondere Bestmarke.
Genau an jenem Ort, an dem der dreimalige Weltmeister Ayrton Senna am 1. Mai 1994 tragisch ums Leben gekommen war, stellte Verstappen den Rekord des Brasilianers aus den Jahren 1988 und 1989 ein. "Es ist etwas ganz Besonderes, weil es 30 Jahre her ist, dass er starb", sagte Verstappen, nachdem er sich - auch dank des Windschattens von Nico Hülkenberg - mit gerade einmal 0,074 Sekunden Vorsprung auf Oscar Piastri wieder mal ganz nach vorne gelenkt hatte. Weil Piastri wegen der Behinderung von Kevin Magnussen (Haas) noch um drei Plätze strafversetzt wurde, lautete die Reihenfolge beim Start: Verstappen, Norris, Leclerc, Carlos Sainz, Piastri.
Seit 2006 wartet Ferrari auf einen Sieg beim Heim-Grand-Prix
Beim Auftakt in Europa erwischte Norris einen starken Start, aber Verstappen war stärker. Weil Norris beim Versuch, an ihm dranzubleiben, gleichzeitig die Ferrari abwehren konnte, änderte sich vorne nichts. Und nach den ersten Runden zeigte sich auch, welche Teams vorne liegen und welche hinterher hecheln. Auf den Red Bull (der zweite mit Perez fuhr nach schlechter Qualifikation jedoch nur im Mittelfeld) und die beiden McLaren bzw. Ferrari folgten mit deutlichem Abstand die Mercedes von George Russell und Lewis Hamilton. "Das ist im Moment die Realität", hatte Motorsportchef Toto Wolff die Startränge kommentiert. Hamilton immerhin konnte früh eine Position gut machen - wie auch der einzig deutsche Stammpilot Nico Hülkenberg, der hinter Hamilton als Achter kreiste und am Ende als Elfter die Punkteränge knapp verpasste.
Der Autodromo Enzo e Dino Ferrari erinnerte die Zuschauer nach den anfänglichen Platzwechseln daran, dass das Überholen auf der 4,909 Kilometer langen Strecke schwieriger ist als auf manch anderem Kurs. Nach sieben Runden hatte Verstappen 1,8 Sekunden zwischen sich und Norris gebracht, nach einem Drittel des Rennens waren es bereits mehr als sechs Sekunden. Spannender war also der Kampf um die anderen beiden Podiumsplätze, die sich Ferrari beim Heim-Grand-Prix unbedingt schnappen wollte, wenn es schon nichts mit dem ersten Heimsieg in Imola seit jenem 2006 von Michael Schumacher werden würde.

Die Scuderia war mit einem Update angereist, profitierte dann aber weniger von der neuen Technik am SF-24, sondern erstmal davon, dass Norris nach seinem Boxenstopp in der 22. Runde als Siebter hinter Perez zurück auf die Strecke kam und sich wieder vorarbeiten musste. Weil auch Verstappen zwei Durchgänge später die Reifen wechselte, führte Ferrari zwischendurch erst durch Leclerc und nach dessen Stopp durch Sainz. Aber das war eben nur eine Momentaufnahme. Auch Sainz brauchte schließlich frische Pneus und hatte dann Verkehr vor sich. Ganz vorne lag alsbald wieder Verstappen vor Norris, Leclerc hatte als Dritter den Australier Piastri im Rückspiegel und der wiederum Sainz.
In der 44. Runde durfte Norris hektischer als zuvor nach hinten schauen, denn Leclerc war ihm deutlich näher gekommen, zwischen 0,5 und 1,1 Sekunden schwankte der Abstand hin und her. Der Monegasse fuhr dabei bisweilen sogar schneller als Verstappen. Nur beanspruchte das seine Reifen stark und noch dazu unterlief ihm ein Fehler in der Kurve Variante Alta, damit war die ganze Pirsch verpufft, Norris konnte Meter gutmachen - und sich Verstappen nähern. Dessen Renningenieur warnte den Führenden, dass er in Kurve zwei und sechs Zeit verliere, was Verstappen in seiner latent gereizt klingenden Funk-Anwort auf die Reifen zurückführte.
Zehn Runden vor dem Ende lagen nur noch vier Sekunden zwischen dem Red Bull und dem McLaren, Norris war in drei von vier Sektoren der Strecke schneller. Dann waren es auf einmal 2,4 Sekunden, dann nur noch 0,7 - aber so sehr sich Norris auch bemühte, seine Aufholjagd kam zu spät. "Es tut weh, das zu sagen, aber ein, zwei Runden mehr, dann hätte ich ihn gehabt", sagte Lando Norris später. "Ich habe bis zum Schluss gekämpft." Anders, das wurde wieder einmal klar, geht es gegen diesen Max Verstappen aber auch nicht.