Menschenrechte und Formel 1:Hamilton ist der einzige Akteur mit Haltung

Menschenrechte und Formel 1: Lewis Hamilton vor dem Freien Training in Bahrain.

Lewis Hamilton vor dem Freien Training in Bahrain.

(Foto: Kamran Jebreili/AP)

Der Formel-1-Weltmeister will die Lage der Menschenrechte in Bahrain "nicht ignorieren". Dass er diese Bürde alleine trägt, ist eine Schande - und der Beweis dafür, wie leer alle Beteuerungen der Rennserie sind.

Kommentar von Philipp Schneider, Manama

Die Geschichte lässt Lewis Hamilton nicht mehr los. Ob er will oder nicht. Er hat ja versprochen, ihr auf den Grund zu gehen. Der Bahrainer Ahmed Ramadhan hat dem siebenmaligen Formel-1-Weltmeister einen Brief geschrieben. Folter, Vergewaltigung, Hinrichtung: Das sind ja zunächst einmal Worte. Worte, die einer gedanklich erst grausam auskleiden muss, um sie zu greifen. Also malte Ramadhan zusätzlich ein Bild. Den Mercedes mit der Startnummer 44, darunter eine grüne Wiese. Ramadhan schrieb: "Lewis, bitte rette meinen Vater". Ahmed ist elf Jahre alt.

Es gibt jetzt ein Foto, auf dem er das gemalte Bild in den Händen hält; es wurde verbreitet vom Bahrain Institute for Rights and Democracy. Es ist ein starkes Bild. Eines, mit denen die so übermächtigen Bilder der Potentaten in Bahrain entlarvt werden sollen. Einmal im Jahr lässt der Herrscher-Clan aus Manama Rennautos kreisen, um der Welt seine anhaltende Potenz zu demonstrieren. Und die Worte vergessen zu machen, deren Bilder sich hinter Gefängnistüren abspielen sollen: Folter, Inhaftierung Minderjähriger.

Ahmeds Vater Mohammed Ramadhan soll für den Tod eines Polizisten bei einem Bombenanschlag verantwortlich sein. Der Vorfall soll sich 2011 während der Massenproteste im Land ereignet haben. Im Juli bestätigte das Oberste Gericht Bahrains das Todesurteil gegen Ramadhan. Amnesty International sagt, der Angeklagte sei gefoltert worden, um ein Geständnis abzulegen. Die Regierung des Königreichs Bahrain hingegen betont stets, welch hohen Stellenwert die Menschenrechte im Land aus ihrer Sicht genießen (siehe auch eine Stellungnahme am Ende dieses Kommentars).

Seit 2011 gibt es immer wieder Proteste gegen die Herrscherfamilie von Bahrain

Von den Verantwortlichen der Formel 1 ist seit Jahren keine Kritik an den gut dokumentierten Fällen von Menschenrechtsverletzungen im Königreich Bahrain zu hören. Und so ist es doch ein Lichtblick, dass Hamilton versprochen hat, nicht länger hinzunehmen, dass die Formel 1 an den düstersten Orten des Planeten kreist. Um sich dort mit sehr viel Schweigegeld den Antritt vergolden zu lassen. "Wir sollten nicht ignorieren, was in den Ländern passiert und dort eine gute Zeit haben", sagte Hamilton.

Das war nicht nichts. Es war zumindest etwas. Hamilton sprach so, als er gefragt wurde, ob er bereits, wie beim letzten Rennen in Bahrain versprochen, Kontakt aufgenommen habe zu Kronprinz Salman bin Hamad bin Isa Al Chalifa, um sich nach den Gründen für die Inhaftierung von drei Aktivisten zu erkundigen.

Selbstverständlich trägt Hamilton keine Schuld an deren Schicksal. Aber auch wenn es paradox anmutet: Ihr Schicksal liegt nun in Hamiltons Verantwortung. Eben weil er der einzige Akteur in der Formel 1 mit politischer Haltung ist. Dass er diese Bürde alleine trägt, ist eine Schande.

Menschenrechts-Aktivisten haben den Auftakt der Formel-1-Saison zum Anlass genommen, ihre Klage zu erneuern, die Rennserie lasse sich zum "Whitewashing" instrumentalisieren, zum Reinwaschen. Der erste Große Preis von Bahrain fand 2004 statt, dafür wurde in der Nähe von Manama extra eine Rennstrecke gebaut. Das Projekt ist eng mit der Herrscherfamilie verbunden, gegen die es seit 2011 immer wieder Proteste gibt: Im "Arabischen Frühling" erhob sich die schiitische Mehrheit des Landes gegen die sunnitischen Monarchen. Doch die setzten auf Konfrontation statt auf Annäherung und riefen die Truppen der verbündeten Hegemonialmacht Saudi-Arabien zu Hilfe, um den Aufstand brutal niederzuknüppeln.

Die Formel 1 sei keine "Ermittlungsorganisation" entgegnet ihr Management den Menschenrechtlern

In einem offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden des Formel-1-Managements, Stefano Domenicali, fordern die Menschenrechts-Organisationen nun eine Untersuchung darüber, dass Regimegegner sogar unmittelbar wegen ihrer Kritik an der Formel 1 inhaftiert würden. Darunter sei auch ein Elfjähriger. Domenicali lehnte ab, schrieb zurück, die Formel 1 sei keine "Ermittlungsorganisation", die Grenzen überschreite. Welch Hohn! Die Formel 1 verdient viel Geld damit, dass sie professionell Grenzen überschreitet. In diesem Jahr kreist sie erstmals in Saudi-Arabien, laut Amnesty International eines der Länder mit den meisten Hinrichtungen und Folterungen weltweit.

Die Formel 1 brummt, wo die prallsten Geldspeicher sind. Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem der amerikanische Unterhaltungskonzern Liberty Media die Rechte von Bernie Ecclestone abgeworben hat. Ecclestone mochte noch als schräge, aus der Zeit gefallene Erscheinung interpretiert werden, als er zur Verteidigung der Sause in Bahrain vorbrachte, in den USA gebe es doch auch ständig Machtgerangel. Aber Liberty Media kann es sich als börsennotiertes Unternehmen, das sich einen "Code of conduct and ethics" verpasst hat, nicht leisten so zu reden. Und auch nicht zu schweigen.

Nur weil Hamiltons Engagement gegen Rassismus und für Vielfalt so viel Wucht entfaltete, sah sich die Formel 1 im Vorjahr gezwungen, eine Kampagne zu starten: #WeRaceAsOne. Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Pipapo: Was man sich halt heutzutage auf die Fahne schreibt, weil es die Leute hören wollen. Das Risiko ist gleich null für die Veranstalter, die danach erst munter Verträge schlossen mit dem Herrscher-Clan der Saud. #WeRaceAsOne ist eine Sammlung von Worten und Sonderzeichen. Und Hashtags stoppen keine Rennwagen.

Anmerkung der Redaktion: Ein Sprecher der Regierung von Bahrain teilte des SZ zu den Vorwürfen gegen das Königreich, die im Rahmen des Formel-1-Rennens unter anderem in Pressekonferenzen mit Lewis Hamilton Thema waren, folgendes mit:

,,Die Regierung des Königreichs Bahrain lehnt alle Formen der Misshandlung in allen ihren Formen kategorisch ab. Auf dieser Grundlage hat Bahrain umfangreiche Maßnahmen und Garantien in internationalen Standards eingeführt, um die Rechte von Einzelpersonen zu schützen.

In diesem Rahmen hat Bahrain in enger Zusammenarbeit mit internationalen Regierungen und unabhängigen Experten eine breite Palette institutioneller und rechtlicher Reformen durchgeführt, darunter die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle, die als erste ihrer Art in der Region alle Vorwürfe der Misshandlung vollständig und unabhängig untersucht.

Die Meinung- und Meinungsäußerungsfreiheit - zu der auch das Recht auf Protest gehört - ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht gemäß Artikel 23 der Verfassung des Königreichs Bahrain. Niemand kann wegen der Ausübung solcher Aktivitäten strafrechtlich verfolgt werden.

Darüber hinaus hat die Nationale Menschenrechtsinstitution, die mit Unterstützung des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte gegründet wurde, eine unabhängige Aufsicht über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im Königreich Bahrain.

Alle eindeutigen Gesetzesverstöße werden durch die Anwendung internationaler Standards und der Einhaltung der Verfassung mittels unabhängiger Gerichte erhoben, um die gesetzlichen Rechte aller Personen zu schützen."

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