Mit Analysen waren sie im Land des Rennsiegers Carlos Sainz jr. schnell bei der Hand. Denn Aufsehen erregten beim Großen Preis von Mexiko zwei Situationen, die zwar nicht unbedingt den Wettkampf entschieden, vier Rennen vor Saisonschluss aber sehr wohl Einfluss auf den Ausgang der zunehmend spannender werdenden Formel-1-Weltmeisterschaft haben. Zwischen Titelverteidiger Max Verstappen und seinem britischen Verfolger Lando Norris liegen nur noch 47 Punkte Abstand, und das erklärte sich durch eine heftige Bestrafung für den Niederländer für seine kompromisslose Fahrweise.
Während McLaren-Pilot Lando beim 20. WM-Lauf trotz aller anfänglichen Zurückhaltung Zweiter wurde, reichte es für Weltmeister Verstappen im Red-Bull-Auto bei Rang sechs nur zur Schadensbegrenzung. „Diese 20 Sekunden Strafe sind ein echter Schub für die Weltmeisterschaft“, kommentierte die spanische Sportzeitung Marca den Vorfall. Das Konkurrenzblatt AS urteilte über die harte Strafe der Rennkommissare so: „Der Weltverband Fia will jetzt das Feuer löschen.“
Formel 1 in Mexiko:Wieder beeinflusst eine Strafe den Titelkampf
Beim Großen Preis von Mexiko geraten Max Verstappen und Lando Norris im Titelkampf auf der Strecke erneut aneinander - diesmal wird der Weltmeister bestraft. Ferrari bekräftigt derweil beim Sieg von Carlos Sainz die ansteigende Form.
Die Geschehnisse in Runde zehn im Autodromo Hermanos Rodriguez könnten tatsächlich zum Präzedenzfall dafür werden, wie man Rad-an-Rad-Duelle in der Königsklasse künftig bewertet. Dass Angreifer und Verteidiger in einer Kurve grundsätzlich gegensätzliche Ansichten pflegen, wer das Vorrecht habe, kennt jeder Autofahrer von der Parkplatzsuche beim Supermarkt. In der Formel 1 wird zwar schon immer diskutiert, wer wen mit welchem Recht verdrängt und wie korrekt das eine oder andere Manöver war, allerdings hat sich im zugespitzten Titelrennen dieser Saison eine neue Ellbogenmentalität entwickelt. Vor allem zwischen Norris und Verstappen, wie beim Rennen zuvor in Austin kurz vor Schluss deutlich wurde. Der McLaren des Briten war schon in Texas das bessere Auto, aber Verstappen hatte die besseren Nerven und die härteren Bandagen. Im Zweikampf bewegten sich beide jenseits der Streckenbegrenzung. Norris lamentierte über Verstappen, kassierte aber eine Fünf-Sekunden-Strafe.
„Dieser Typ ist gefährlich“, brüllt Norris in erster Reaktion aus seinem Auto heraus
Im Kampf um den zweiten Platz in Mexiko hinter dem Schnellsten, dem Ferrari-Piloten Carlos Sainz, wusste Norris genau, was ihn erwarten würde. Aber er wusste auch, dass er derjenige ist, der sich angesichts des nahenden Saisonendes keinen schweren Punktverlust durch einen Ausfall leisten kann. Rohe Kräfte hier, rohe Eier da. So schossen die beiden in Kurve vier, und in einer Blaupause von Austin drängte Verstappen den Rivalen von der Piste. Das Katz-und-Maus-Spiel setzte sich fort, in Kurve acht eskalierte es erneut, diesmal verschaffte sich Verstappen mit seinem Verdrängungsmanöver einen unrechtmäßigen Vorteil. Jedenfalls nach Meinung des Rennkommissariats, in dem Johnny Herbert, ein britischer Landsmann von Norris, für die Einschätzung aus Sicht eines ehemaligen Formel-1-Piloten verantwortlich zeichnete.
Die beiden Strafen für Verstappen durch das Schnellgericht fielen heftiger aus als erwartet: jeweils zehn Sekunden, abzusitzen beim Boxenstopp. Max Verstappen, der in jüngster Zeit seine Wut erstaunlich gut unter Kontrolle zu haben scheint, kommentierte aus dem Cockpit, dass er beeindruckt sei. In seinem zehnten Formel-1-Jahr ist der dreimalige Weltmeister mit den Mechanismen der Branche bestens vertraut. Er weiß genau, dass er sich bei den Funktionären keine Freunde gemacht hat, weil er gegen eine Bestrafung für eine vermeintlich ungebührliche Wortwahl revoltierte. Für ihn war auch absehbar, dass die verbale Kampagne, die das McLaren-Management nach der Last-Minute-Entscheidung von Austin gestartet hatte, bei nächster Gelegenheit Auswirkungen zeigen würde.
Der britische Rennstall, der in der Konstrukteurs-Wertung der WM jetzt mit 29 Punkten vor Ferrari führt, hatte noch am Freitag in Mexiko versucht, dieses Urteil aus den USA anzufechten; der Einspruch war jedoch nicht zugelassen worden. Was McLaren-Boss Zak Brown noch mehr auf die Palme brachte.
So polterte Brown schon vor dem Rennen über Unsportlichkeiten des Gegners und Inkonsequenz in der Bestrafung, und kurz nach dem neuerlichen Zweikampf in Mexiko konnte er nachlegen. Man kann sich wundern, ob ein Teamverantwortlicher in dieser Situation nicht Wichtigeres zu tun hat, als sich beim Sender Sky zuschalten zu lassen, aber der US-Amerikaner nutzte die Chance geschickt, um seine Kampagne gegen Verstappen zu untermauern: „Es wird ein bisschen lächerlich. Genug ist genug.“ Eindeutig legitim, dass er dem oft zu zögerlichen Norris den Rücken stärken wollte, aber den durchaus heftigen Manövern ließ er vor den Kameras noch deftigere Worte folgen: „Es ist ärmlich, da ist etwas ganz klar außer Kontrolle geraten.“ Er applaudiere ausdrücklich den Kommissaren. Ziel erreicht: Exempel statuiert, und da hat die Formel 1 ihn wieder, ihren bösen Buben. Da konnte Red-Bull-Teamchef Christian Horner noch so sehr auf GPS-Ausdrucken deuten, dass Norris zu schnell gewesen sei, um überhaupt die Kurve zu kriegen.
Verstappen ist mehr über die Formschwankungen seines Rennwagens frustriert als über seine Bestrafung
Lando Norris hatte sich keine Illusionen gemacht, was bei einem neuerlichen Aufeinandertreffen mit seinem Freund passieren würde: „Auch wenn ich so etwas gar nicht erwarten wollte, denn ich respektierte Max als Fahrer sehr.“ Auf der Piste aber gab es kein Entrinnen. Norris sah den Zweikampf auf einem noch härteren Niveau als vor Wochenfrist: „Der Unterschied war, dass ich einen Crash verhindern musste.“ In der ersten Reaktion aus dem Auto hatte er gebrüllt: „Dieser Typ ist gefährlich.“ Er wolle den Ausgang des Duells auch gar nicht als Sieg werten. „Ich hoffe einfach, dass Max erkennt, dass er einen Schritt zu weit gegangen ist“, sagte Norris. Eine vage Hoffnung, vor allem natürlich in eigener Sache: „Max ist immer noch in einer sehr starken Position in der Meisterschaft. Er liegt weit vorn, er hat nichts zu verlieren.“
Max Verstappen war am Ende mehr über die neuerlichen Formschwankungen seines Rennwagens frustriert als über die Bestrafung: „Wenn man langsamer ist, kommt man in diese Situationen. Ich gebe nicht so einfach auf.“ Anfeindungen ist er gewohnt: „Am Ende geht es auch nicht darum, ob man mit der Strafe einverstanden ist oder nicht.“ Eher darum, die Wut in neuen Mut zu verwandeln, schon am nächsten Wochenende in Interlagos in Brasilien. Auch das ist eine Rennstrecke, die schon immer für Dramen gut war.