Allein schon das sonnige Gemüt von Zachary Challen Brown, in der Formel 1 von allen nur Zak genannt, dürfte ein Anschlag auf McLaren gewesen sein. Sein Vorgänger Ron Dennis hatte das anthrazitfarbene Gebilde zu einem der zwar erfolgreichsten, aber auch unnahbarsten und unbeliebtesten Rennställe der Königsklasse gemacht. Brown hatte Dennis Anfang 2017 abgelöst, danach praktisch alles anders gemacht als sein dünkelhafter englischer Vorgänger und den defizitären Absteiger in einen profitablen Toprennstall verwandelt. Interessant wäre, ob bei der Transformation auch eine der liebsten Marotten von Dennis auf der Strecke geblieben ist. Dennis ließ sich von jeder wichtigen Trophäe, die sein Team gewonnen hatte, eine Replika anfertigen und ins Regal stellen, damit er in seinem Besprechungszimmer stets den eigenen Erfolg im Blick haben konnte, egal an welcher Seite des Tischs er gerade saß.
Brown konzentriert als CEO von McLaren nicht alle Anstrengungen aufs eigene Ego, er hat aus der technikverliebten Autokratie ein straff geführtes, aber lebendiges und flexibles Team moderner Ausprägung gemacht – nach dem Vorbild von Toto Wolff und Mercedes. Das drückt sich vor allem in der Person von Andrea Stella aus. Den Italiener beförderte Brown vom Ingenieur zum Chef. Und Stella wurde der Schlüssel.
Formel-1-Weltmeister Max Verstappen:Mit 27 schon im Kreis der Legenden
Vierter WM-Titel in Serie – und was für einer: Max Verstappen lenkte diese Saison nicht das beste Auto, er legte sich mit allen an und triumphierte trotzdem. Über ein Jahr, in dem er zu den Besten der Formel 1 aufstieg.
Angesprochen auf den Prozess, den McLaren vom sieglosen Letzten im Frühjahr 2023 bis zum Triumph von Lando Norris und dem Gewinn des WM-Konstrukteurstitels am Sonntagabend in Abu Dhabi durchgemacht hat, antwortet Brown, 53, bescheiden: „Wir sehen uns als Netzwerk menschlicher Gehirne.“ Emotionen ausdrücklich eingeschlossen, obwohl Andrea Stella in puncto sportlicher Perfektion ähnlich besessen ist wie Dennis. Das hängt damit zusammen, dass der Techniker aus jener Riege italienischer Rennfachleute stammt, die zur Jahrtausendwende mit Michael Schumacher die erfolgreichsten Zeiten der Scuderia Ferrari mitgeprägt hatte. Da ist viel hängen geblieben, da kann er viel weitergeben.
Dass Lando Norris im Finale einen Start-Ziel-Sieg vor den beiden Ferraris einfuhr, hat auch viel mit dem psychologischen Feintuning Stellas zu tun. Kein einziges Mal zeigte Norris in Abu Dhabi Nerven, obwohl er wegen eines frühen Crashs seines Mitstreiters Oscar Piastri beraubt worden war. Stella erkennt in seinen beiden Piloten die größten Talente der nachgewachsenen Rennfahrergeneration, und bei gleichbleibendem Reglement im Übergangsjahr 2025 traut er ihnen den Titel zu. Denn McLaren ist von den vier eng beieinanderliegenden Toprennställen derjenige, bei dem die Fahrerpaarung stabil bleibt. Beim Vorhaben, Max Verstappen (Red Bull) um die Verteidigung des Fahrertitels 2024 zu bringen, haben beide Lehrgeld bezahlt. Aber das könnte noch zur wertvollen Investition werden. Es geht um mehr Härte und Souveränität.
Für McLaren ist das Saisonfinale die perfekte Generalprobe für 2025
Zwar hat Norris auch nach seinem vierten Saisonsieg wieder minutenlang Selbstkritik geübt, aber er hat auch klargemacht, dass der Einzige, der an ihm zweifeln dürfe, er selbst ist. Das brüllte der 25-Jährige so auch in den Nachthimmel über den Emiraten: „Leute, das war unser Jahr! Nächstes Jahr wird dann meines.“ Persönlichkeitsentfaltung und Motivation haben sich schließlich schon beim Comeback als größte Stärke entpuppt. Nach Browns Angaben waren 997 der 1000 Mitarbeiter, die den erfolgreichen MCL 38 geschaffen haben, auch bei den erfolglosen Vorgängermodellen in der Vergangenheit beteiligt gewesen. Für den Chef der Beweis, was der Glaube an die eigenen Fähigkeiten ausmachen kann. Das gilt auch für ihn selbst: „Es war ein Privileg für uns, gegen ein solch großartiges und historisches Team wie Ferrari um den Titel zu fahren“, sagte Brown, „wenn es einen Kleine-Jungen-Traum in der Formel 1 gibt, dann ist es dieser, und er ist wahr geworden.“
McLaren gewann zum Saisonende hin noch mal reichlich Selbstvertrauen, nachdem der Fahrertitel an Verstappen gegangen war. Das war die perfekte Generalprobe für die Saison 2025, in der ein letztes Mal nach dem bisherigen technischen Reglement gefahren wird. Die Logik und die Konzentration der Ressourcen auf den Neuanfang im Jahr darauf deuten an, dass die Kräfteverhältnisse erhalten bleiben dürften. Eng war es bisher schon, das zeigte auch die späte Aufholjagd von Ferrari, 14 Punkte Rückstand nach 24 Rennen sind kein Klassenunterschied. McLaren hat jetzt eine zweistellige Millionensumme mehr auf dem Konto, dafür etliche Windkanalstunden weniger.
„Du brauchst einen Typen wie Zak Brown, der die besten Leute und Sponsoren anzieht. Er ist ein unglaublicher Arbeiter. Aber mehr als alles andere zählt die Atmosphäre, die er ins Team bringt“, sagte Oscar Piastri. Der Australier ist auch einer derjenigen, an die McLaren glaubt, vielen gilt er als kommender Champion. Brown selbst empfand das siegreiche Finale als die schlimmsten beiden Stunden seines Lebens: „In den Ergebnislisten steht vielleicht, dass Lando das Rennen 58 Runden angeführt hat – aber es waren für uns 58 Runden des Terrors. Ein kleines Problem nur, und es wäre aus gewesen.“ Beim Jubeltanz in der Boxengasse hat sich Brown dann noch den Fuß verstaucht: „Es ist 26 Jahre her, dass McLaren den Konstrukteurstitel gewonnen hat, dementsprechend bin ich am Sonntag um 26 Jahre gealtert.“