Formel-1-Finale in Brasilien:Wenn die Lichtmaschine schmilzt

Das unvorhersehbare Wetter in Brasilien macht Sebastian Vettel Sorgen, viel mehr noch beunruhigen ihn aber die technischen Probleme bei Red Bull: Ausgerechnet in São Paulo hat er Ärger mit seinem Auto. Es ist gut möglich, dass ein einzelnes Bauteil den Titelkampf mit Fernando Alonso entscheidet.

Michael Neudecker

F1 Grand Prix of Brazil - Practice

Fokussiert auf das Finale: Sebastian Vettel will in Brasilien zum dritten WM-Titel fahren.

(Foto: Getty Images)

Es ist natürlich eine Unverschämtheit, dass es jetzt schon wieder so weit ist. Max Mosley hat deshalb dieser Tage seinen Satz von damals noch mal wiederholt, er hatte diese Sache ja schon einmal dargelegt, 2004 war das, im Gespräch mit Dietrich Mateschitz, dem Eigentümer von Red Bull. Die Marke hatte 2004 den Jaguar-Rennstall aufgekauft und daraus ein eigenes Formel-1-Team gemacht, und Mosley, damals Präsident des Automobil-Weltverbandes FIA, hat zu Matschitz gesagt: Er solle sich den Teamnamen überlegen, "ich habe gesagt", erzählt nun Mosley, "du kannst es nicht Red Bull nennen! Es kann nicht sein, dass ein Getränk Ferrari schlägt".

Das Getränk wurde bald Weltmeister, dann noch mal, und jetzt: Sind die österreichischen Brausebrauer wieder vor Ferrari. Vettel/Getränk 13 Punkte vor Alonso/Ferrari, so ist die Lage vor dem Finale der Formel 1 in São Paulo am Sonntag.

Die Rennstrecke Interlagos ist alt, sie fahren hier mit Unterbrechungen seit 40 Jahren, und die Häuschen im Fahrerlager, in denen die Teams ihre Büros haben und Gäste empfangen, sind klein und einfach, sie sehen aus, als seien sie über Nacht errichtet worden. Es gibt eine Brücke, die über der engen Gasse schwebt, die zwischen Häuschen und Garagen liegt, von hier oben sieht die Formel 1 aus wie ein südländischer Markt, hektisch, geschäftig, und vorne, direkt nebeneinander, sind die Häuschen von Red Bull und Ferrari. Man kann von hier oben gut sehen, wie das alles so ist in der Formel 1.

Rot gekleidete Menschen vor der einen, dunkelblau gekleidete vor der anderen Hütte; bei den Blauen sind viele blond und weiblich, bei den Roten haben manche wenig Haare und ein Bäuchlein. Es ist so in der Formel 1: Ferrari ist die wichtigste Marke des Motorsports, immer noch, aber die Emporkömmlinge aus Österreich haben zuletzt oft besser ausgesehen.

Wenn nicht alles schiefgeht, wird Sebastian Vettel am Sonntag zum dritten Mal in Serie Weltmeister, Vettel ist 25 Jahre alt, er wäre dann der Jüngste, der jemals in der Formel 1 drei Mal Weltmeister wurde. Dass es doch anders kommt und Fernando Alonso den Titel gewinnt, für ihn wäre es auch der dritte, ist aber nicht auszuschließen: Ferrari jedenfalls hat Hoffnung, und die Hoffnung wird von zwei Säulen gestützt. Die eine ist die Erinnerung an 2010: Damals lag Alonso vor dem Finale in Abu Dhabi 15 Punkte vor Vettel, und doch wurde Vettel Weltmeister, man habe damals ja gesehen, was im Sport alles passieren könne, sagen sie jetzt bei Ferrari. Die zweite Säule hat sogar einen Namen: In der Fachpresse heißt sie Causa Lichtmaschine.

"Du weißt nie, wann es streikt"

Die Lichtmaschine ist ein Teil, das es in jedem Auto gibt, auch in Straßenwagen, es ist für die Energiegewinnung der Bordelektronik zuständig. Die Teams der Formel 1, die selbst keine Motoren produzieren, sondern zum Beispiel Getränke, bekommen ihre Motoren von Renault, und die französische Firma wiederum bezieht die zum Motor gehörende Lichtmaschine von der italienischen Zulieferfirma Magneti Marelli. Das alles ist jetzt relevant geworden, weil ja jeder sehen konnte, wie Sebastian Vettel einfach stehenblieb, in Valencia, wie er ausrollte, in Monza, und wie nun auch Vettels Teamkollege Mark Webber in Austin rechts ranfuhr. Jedes Mal war die Lichtmaschine überhitzt, es heißt, sie sei regelrecht geschmolzen. Warum, weiß niemand so genau, auch nicht die Techniker aus Frankreich und Italien.

Fernando Alonso

Fernando Alonso wartete auch vor dem Finale wieder mit Kampfansagen auf: "Wir können nicht umkehren. Wir kämpfen lieber, als dass wir die Ehre verlieren, weil wir es nicht getan haben", sendete er über Twitter.

(Foto: AP)

Die Causa L. ist natürlich ein Ärgernis für Vettel und sein Team: Es kann ja gut sein, dass die Formel-1-Weltmeisterschaft 2012 von einem Einbauteil entschieden wird, von dem außerhalb der Formel 1 keiner so wirklich weiß, wie es aussieht. Sollte das Teil in Vettels Auto in São Paulo wieder schmelzen, würde Alonso der dritte Platz genügen, um doch noch Weltmeister zu werden. Der Motorenbauer müsse "an diesem Wochenende wirklich glänzen", sagt deshalb Christian Horner, der Teamchef von Red Bull.

Es seien verschiedene Varianten in verschiedenen Autos getestet worden, auch andere Formel-1-Teams beziehen ja den französischen Motor mit italienischem Einbau, "sie haben nun hoffentlich Daten zusammen, um sicherzustellen, dass wir eine stabile Version haben", sagt Horner. Insgesamt aber, findet er, sei "die Situation nicht ideal". Christian Horner ist Brite, er versucht, sich diplomatisch auszudrücken, gewählt. Adrian Newey, der Chefdesigner von Red Bull, ist auch Brite, aber er ist manchmal ehrlicher, Newey sagt: "Das Ding ist eine tickende Zeitbombe, du weißt nicht, wann es streikt."

Wetterprognosen von Einheimischen

Vettel und Webber fuhren bislang mit einer alten Lichtmaschinen-Version im Auto, während die Konkurrenz etwa von Lotus bereits in Austin die neue Version einbauen ließ. Jetzt wechselt auch Red Bull auf das neue Teil, gezwungenermaßen: Die Autos mit den neuen Lichtmaschinen hielten in Austin ja durch. Remi Taffin, der Technikchef von Renault, ließ sich in São Paulo mit den Worten zitieren, die neue Lichtmaschine sei "zu 99 Prozent sicher", das klang gut, aber bedeutet zugleich: Ein Restrisiko bleibt, und das ist nun auch ein bisschen lustig. Die Formel-1-Saison ist schon 19 Rennen alt, es gab viele spannende Rennen, viele verschiedene Sieger, guten Motorsport, es gibt ein spannendes Finale, der Titel wird in den letzten Runden zwischen zwei Fahrern entschieden, und jetzt reden alle über: eine Lichtmaschine.

Ein wenig reden sie auch über das Wetter, das in São Paulo ja so unvorhersehbar ist wie der Verkehr. Es soll regnen am Sonntag, die Temperaturen sollen von zuletzt über 30 Grad auf höchstens 20 fallen. Sebastian Vettel hat extra bei Einheimischen nachgefragt, wie sie die Wetterlage einschätzen, sie haben ihm erzählt, dass erst vor ein paar Tagen ein heftiger Regen über São Paulo niederging, mit dem niemand gerechnet hatte. "Kann sein, dass es regnet", sagt Vettel, "aber wann und wie viel, das weiß niemand." Regenfälle würden das Rennen beeinflussen, Alonso glaubt, seine Chancen würden dann steigen.

Und was in dieser Sache die Lichtmaschine angeht: Die Überhitzung hat mechanische Gründe und mit der Außentemperatur nichts zu tun. Der Lichtmaschine ist es egal, ob es regnet oder die Sonne glüht, und das ist doch schon mal was.

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