Saisonfinale der Formel 1:Die wichtigste Pole Position seines Lebens

Saisonfinale der Formel 1: Der Schnellste am Samstag: Max Verstappen hat sich auf dem Yas Marina Circuit die beste Ausgangslage für den Grand Prix rausgefahren.

Der Schnellste am Samstag: Max Verstappen hat sich auf dem Yas Marina Circuit die beste Ausgangslage für den Grand Prix rausgefahren.

(Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Die Formel-1-Saison stellt in Abu Dhabi sämtliche Zutaten für ein grandioses Finale bereit: Max Verstappen startet vor Lewis Hamilton, der die besseren Reifen hat. Die Pneus sind ein kleines Detail, das enorme Wucht entfalten könnte.

Von Philipp Schneider, Abu Dhabi

Je nachdem, wie dieser Kampf um die Weltmeisterschaft in der Formel 1 ausgehen wird, über den Weg der beiden Teams bis in die Startaufstellung wird höchstwahrscheinlich noch dann zu reden sein, wenn der Pulverdampf längst verzogen ist. Und wenn feststehen wird, ob sich Lewis Hamilton, 36, zum achten Mal zum Weltmeister gekrönt haben wird, oder Max Verstappen, 24, zum ersten Mal. Denn wenn die Piloten an diesem Sonntag in Abu Dhabi punktgleich in die Startblöcke rücken, dann sind alle Zutaten bereitgestellt, um daraus ein grandioses Finale zu köcheln, das diese leidenschaftliche Saison zweifelsfrei verdient hat.

Verstappen hat sich mit einer fabelhaften Runde in der Qualifikation, die ihm Vortags noch kaum jemand zugetraut hatte, beim großen Saisonfinale auf die Pole Position geschoben. Es ist die 13. Bestzeit in seiner Formel-1-Karriere, und man darf mit großer Gewissheit hinzufügen: garantiert die wichtigste seines Lebens. Hinter ihm steht Hamilton, der bei seiner schnellsten Hafenrundfahrt fast vier Zehntel langsamer war als Verstappen. Dass der Niederländer am Sonntag mit der schnellsten und weichsten Reifenmischung losrasen wird, Hamilton hingegen auf der mittelharten, langsameren, dafür haltbareren - das war zwar so nicht beabsichtigt von Red Bull. Es ist aber ein netter Katalysator des Startspektakels, das es nun zu erwarten gibt: Verstappen hat die bessere Position, Hamilton die besseren Reifen.

Als wäre dies noch nicht genug: Wenn die Ampeln ausgehen, dann sind beide Piloten zunächst annähernd auf sich gestellt. Verstappens Adjutant Sergio Perez rollt als Vierter noch hinter Lando Norris im McLaren ins Rennen. Hamiltons Helfer Valtteri Bottas ist Sechster.

Auf dem Papier sieht Red Bulls Geschwindigkeitszunahme innerhalb von 24 Stunden aberwitzig aus

Der siebenmalige Weltmeister sah alles andere als glücklich aus nach der Qualifikation, auf der anschließenden Pressekonferenz murmelte er mehr, als das er sprach. Zumindest aber hatte er sich seine Schlagfertigkeit bewahrt. Denn als ihn die stattliche Zahl angereister Niederländer auf der Zielgeraden mit lauten Buh-Rufen bedachte, da sagte Hamilton, er sei "dankbar, die Leute hier gesund zu sehen". Verstappen wiederum wurde entsprechend gefeiert, er freute sich über "ein großartiges Gefühl" und meinte: "Wir haben das Auto rechtzeitig für das Qualifying verbessern können." Das konnte man wohl sagen.

Manchmal wirkt die Entwicklung eines Autos von den ersten Ausfahrten am Freitag bis zum Rennen am Sonntag für die Beobachter wie ein Zaubertrick. In Wahrheit hängt die Geschwindigkeit an vielen Faktoren: Haben die Ingenieure das Auto so konfiguriert, dass es möglichst schnell auf einer Runde unterwegs ist? Oder doch eher so justiert, dass es über die ganze Renndistanz am rasantesten und ausdauerndsten rollt? Auf dem Papier jedenfalls sieht die Geschwindigkeitszunahme von Red Bull innerhalb von 24 Stunden aberwitzig aus: Am Freitag war Verstappen im zweiten freien Training noch stattliche 0,641 Sekunden langsamer als Hamilton im Mercedes. "Das war okay", sagte Hamilton noch hörbar zufrieden. Doch Verstappens Aussage gab schon da zu denken. Auf eine Runde, sagte er, fehle ihm zwar etwas die Geschwindigkeit. Auf die Distanz gesehen, seien sie jedoch exzellent unterwegs.

Umso erstaunlicher, dass Red Bull am Tag danach den Bauplan für eine schnelle Runde gefunden hatte. Wer genau hinschaute und hinhörte, der wunderte sich am Freitagabend über die prächtige Laune von Teamchef Christian Horner, die auf den ersten Blick nicht ganz zu den gruseligen Zeiten zu passen schien.

VERSTAPPEN Max (ned), Red Bull Racing Honda RB16B, portrait during the Formula 1 Etihad Airways Abu Dhabi Grand Prix 20

Weltmeister, selbst wenn sein Red Bull und der Mercedes von Lewis Hamilton crashen sollten: Max Verstappen würde es zum Titel genügen, wenn beide ausfielen - weil er neun Rennen gewonnen hat, sein Konkurrent acht.

(Foto: Antonin Vincent/PanoramiC/imago)

Bis zum Beginn des letzten Durchgangs der Qualifikation sah es trotzdem so aus, als habe Verstappen keine realistische Chance auf die Bestzeit. Im ersten Durchgang drehte Hamilton seine Runde fast fünf Zehntel schneller. Im zweiten Teil kämpfte sich Verstappen dann immerhin bis auf vier Tausendstel heran. Bei diesem Versuch fing er sich allerdings einen Bremsplatten. Das Gummi, das im Q2 übergezogen wird, ist auch jenes, mit dem die Fahrer am Sonntag ins Rennen rollen müssen. So schreibt es das Reglement vor. Und weil Verstappen auch kein mittelhartes Alternativ-Modell mehr im Regal hatte, wechselte er noch auf die rasante Mischung. Ob er nun mit diesen ins große Finale rollen muss oder brettern darf, das wird sich weisen. Die unterschiedlichen Reifen von Hamilton und Verstappen sind ein kleines Detail, das noch enorme Wucht entfalten könnte. Die Frage ist: Wie schnell lösen sich Verstappens Reifen unter ihm auf?

Die längste WM der Geschichte könnte bereits in der ersten Kurve entschieden werden

Und noch eine Kleinigkeit irritierte im letzten Qualifying der Saison. Red Bull ließ Verstappen bei dessen schnellstem Umlauf im Windschatten von Perez cruisen. Hamilton jedoch war völlig auf sich gestellt. Letztlich war er so viel langsamer als sein Konkurrent, dass sich dies nicht allein mit aerodynamischen Nachteilen erklären ließ. Aber warum es Mercedes nicht einmal probierte, sich auf diese Weise einen Vorteil zu verschaffen, das wurde am Samstag nicht aufgeklärt. Nein, sie hätten diese Option nicht zuvor diskutiert, sagte Hamilton: "Max hat eine super Runde hingelegt. Wir haben da einfach nicht mithalten können. Ich hätte nicht schneller fahren können in meinem letzten Versuch."

Es sieht nun tatsächlich so aus: Das Rennen und diese mit 22 Wettfahrten längste Weltmeisterschaft der Geschichte könnten bereits in der ersten Kurve entschieden werden. Mit einem Crash, oder ohne. Hamilton muss auf dem Weg zum Titel in jedem Fall vor Verstappen die Ziellinie queren. Verstappen würde es genügen, wenn beide ausfielen - weil er neun Rennen gewonnen hat und Hamilton acht. Aber schafft es der Brite, den Rückstand in der Startaufstellung auf den etwa 200 Metern bis zum ersten Bremspunkt aufzuholen? Dann könnte er sich in der ersten Biege, die nach links führt, auf der Innenseite breit machen. Verstappen, der von der rechten Seite des Asphalts losrollt, wird nach links ziehen und dagegenhalten mit Reifen, die schneller sind als Hamiltons.

Die Strategie von Mercedes dürfte deshalb sein, sich aus einem Crash in der ersten Kurve herauszuhalten. Und dann mit robusteren Reifen erst später zu überholen. "Eindeutig 1:0 für Red Bull", gratulierte Teamchef Toto Wolff. "Aber von der Strategie haben wir ein paar Spielvarianten, weil sie definitiv früher wechseln müssen." Also dann, Vorhang auf.

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