Formel 1:Ferraris Fehler im System

Sebastian Vettel Scuderia Ferrari formula 1 GP Ungarn in Budapest 22 07 2016 Photo mspb Jerry An

Betrübte Stimmung: Sebatian Vettel (Mitte) und das Formel-1-Team aus Italien blieben bislang sieglos in den zehn Saisonrennen.

(Foto: imago/Thomas Melzer)

Die legendäre Marke hinkt im Titelrennen weit hinterher und wirkt auf und neben der Strecke verzweifelt - Sebastian Vettel bewegt sich dabei zwischen Wut und Optimismus.

Von Elmar Brümmer, Budapest

Immer wenn der Name Ross Brawn ins Spiel kommt, kündet das von unruhigen Zeiten bei Ferrari. Der Brite, einst als "Superhirn" hinter der Erfolgsserie von Michael Schumacher gefeiert, spielt dann kurz das Spiel in den italienischen Medien clever mit, weil es auch mit 61 Jahren noch dem Ego schmeichelt. Umgehend aber spielt Brawn alles runter, wie derzeit - es sei mitnichten über sein Comeback im Rennstall verhandelt worden. Die Gerüchte über einen Wechsel auf dem Chefposten des ältesten Formel-1-Teams halten sich dennoch hartnäckig. Ebenso die Annahme, dass der aktuelle britische Technikchef James Allison mangels Erfolg und Perspektive nach drei Jahren bei der Konzernleitung in Turin durchgefallen sei.

Eine Vakanz auf diesem Posten wäre ein weiterer Rückschlag bei der komplexen Aufholjagd auf Mercedes. "Weiteres Versagen ausgeschlossen", sagt daher Teamchef Maurizio Arrivabene, der vor anderthalb Jahren als großer Reformer am Ferrari-Stammsitz in Maranello angetreten war, vor dem Großen Preis von Ungarn an diesem Sonntag (Start 14 Uhr; live RTL und Sky).

Das klingt markig und das soll es auch, um die Hilflosigkeit zu übertünchen. Sonst wäre die Formel-1-Saison bereits zur Halbzeit gelaufen für Ferrari. Zehn Anläufe auf den ersten Sieg in diesem Jahr hat die Scuderia hinter sich, vom eigentlichen Ziel, Mercedes auf Augenhöhe im Titelrennen zu fordern, sind die Italiener - nicht nur zum Leidwesen von Sebastian Vettel - um weit mehr als ein paar Radlängen entfernt.

Ferrari-Präsident Sergio Marchionne hat jüngst jede Abteilung der "gestione sportiva" besucht, sicher nicht aus Höflichkeit. Marchionne gilt als harter Entscheider, er selbst hat den Gewinn des WM-Titels als oberstes Ziel definiert. James Allison soll auch deshalb in Ungnade gefallen sein, weil er noch von Marchionnes Vorgänger Luca di Montezemolo verpflichtet worden war. Denkbar ist so etwas, das Intrigenspiel in Maranello war schon häufig der Hauptgegner einer Erfolgsstrategie.

Arrivabene kämpft um seinen Job

Für Arrivabene geht es nicht mehr nur um die Entwicklung des Rennstalls, sondern auch um seinen Job. Ferrari wirkt auf und neben der Strecke aufgescheucht, manchmal verzweifelt. Allein Vettel, Pilot Nummer eins im Stall, tritt meist souverän auf, obwohl sich Einiges aufgestaut hat. Der Deutsche hat erneut ein Jahr verloren in seinem Unterfangen, den fünften WM-Titel - seinen ersten bei Ferrari - einzufahren.

"Nach Ungarn werden wir wissen, wo wir stehen, und welche Chancen wir noch haben", sagt Arrivabene. Entscheidend sind natürlich auch die Verhältnisse: Der Ring in Ungarn gilt als der langsamste der permanenten Formel-1-Pisten. Da sind eigene Stärken gefragt. Die Anspannung hat tiefe S-Kurven Arrivabenes Gesicht gemeißelt, der 59-Jährige wirkt in seiner zweiten Formel-1-Saison gealtert. Die Getriebeprobleme haben sich seiner Meinung nach erledigt, der Motor sei stark genug, nun soll eine Generalüberholung der Aerodynamik folgen. Das aber ist noch lange keine Aufholjagd gegenüber den dominanten Silberpfeilen, es ist der Versuch, dorthin zu gelangen, wo man schon zu Saisonbeginn sein wollte. Vor allem die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit bereiten Probleme beim SF 16-H, vor zwei Wochen in Silverstone wurde Vettel wegen eines Getriebeproblems bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr in der Startaufstellung zurückgestuft.

Doch der Heppenheimer, der im September in Singapur den letzten Ferrari-Triumph einfahren konnte, gibt sich weiter optimistisch, trotz inzwischen 16 sieglosen Rennen. Plötzlich ist nicht mehr Mercedes der direkte Gegner, sondern Red Bull Racing - Budapest wird schon ein Indiz dafür liefern, wer gerade wirklich die zweite Kraft in der Formel 1 ist. "Das ist sicher nicht die schwierigste Saison, die ich je hatte", behauptet Vettel, der als Fünfter 70 Punkte Rückstand auf die WM-Spitze hat, "wir wissen, dass wir nicht schnell genug sind. Das lässt sich nicht über Nacht ändern, sonst würden wir das tun. Aber wir gehen in die richtige Richtung."

Vollends überzeugende Argumente hat er nicht, immer häufiger betreibt er Medienschelte: "Wir vertrauen in uns und haben Vertrauen ins Auto, es gibt keinen Grund, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen." Den Rückschritt aber kann auch er nicht leugnen. Worauf das Fachmagazin auto, motor und sport korrekt mit folgender Analyse reagierte: "Wie viel von den Durchhalteparolen ist Doping für die Tifosi und Beruhigungspille für die eigene Mannschaft, und wie viel ist Realitätsverlust?"

Teamkollege Kimi Räikkönen setzt trotzdem eins drauf: "Wir können immer noch mit Siegen rechnen." Beide Fahrer setzen nun zur Schadensbegrenzung auf das Layout des Hungarorings - jener Strecke, auf der sich Mercedes oft am schwersten tut. Vettel hatte im Vorjahr in Budapest souverän seinen zweiten Saisonsieg erzielt. Damals hatte Ferrari ein besseres Auto und einen schwächeren Motor, aktuell ist es umgekehrt. Das erhöht den Druck auf alle Beteiligten. Die Fehlerquote ist auch Vettel zu hoch: "Das Problem ist, dass es immer andere Ursachen gibt, das müssen wir so schnell wie möglich abstellen." Klingt nach einem Fehler im System.

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