Sieben Kurven der Formel 1:Der dritte Ferrari-Eklat in Serie

Der Streit zwischen Vettel und Leclerc eskaliert - und jeder sucht seine eigene Vorfahrtsregel. Der Teamchef verzweifelt. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

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Lewis Hamilton

Großer Preis von Russland

Quelle: dpa

Achter Doppelsieg für Mercedes, neunter Erfolg für Lewis Hamilton in diesem Jahr. War da so was wie eine Krise nach der Sommerpause? In Sotschi hat nichts mehr darauf hingedeutet. Hamilton zieht noch mehr Energie aus der Tatsache, auch in einem vom Tempo her nicht mehr führenden Auto gewinnen zu können. Weil das noch ein bisschen mehr Ehre gibt. "Es hat einen besonderen Tag gebraucht, sie zu schlagen", sagt der WM-Tabellenführer. Einen Hamilton-Moment, "Hammer-Time" genannt. Zum 143. Mal hat er in Sotschi ein Rennen angeführt, und damit Michael Schumacher in dieser Spitzenreiter-Wertung überholt.

Der sechste Weltmeistertitel wird dem Briten kaum noch zu nehmen sein, er hat bei noch fünf Rennen 73 Zähler Vorsprung auf Valtteri Bottas - und der ist ein in jeder Hinsicht zuverlässiger Adjudant. Schon beim nächsten WM-Lauf kann Mercedes theoretisch Konstrukteurs-Weltmeister werden. Hamilton bezieht seine Zusatzpower weiterhin aus dem ebenbürtigen Vergleich mit den Ferrari-Fahrern: "In einem Duell wie diesem gibt man immer alles, lässt keinen Stein auf dem anderen und stellt alles in Frage, was man besser machen kann."

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Sebastian Vettel

F1 Grand Prix of Russia; Sebastian Vettel, Sotschi, Ferrari

Quelle: Getty Images

Das rote Auto war kaum ausgerollt in der 28. Runde, da nehmen die Verschwörungstheorien Fahrt auf: Sebastian Vettel von Ferrari erst von der Spitze und dann aus dem Rennen gedrängt. Wahlweise auch: Vettel stellt sein Auto absichtlich ab und provoziert eine Safety-Car-Phase, die dem Kollegen den Sieg kosten wird. Wie gut, dass der Heppenheimer sich nichts aus sozialen Medien macht. Aber die Gefährlichkeit von fake news, die kennt er. Dem Antriebsstrang seines SF 90 H fehlten plötzlich 163 PS, da machte weiterfahren wenig Sinn. Daher die Anweisung: "Dreh sofort den Schalter ab." Aus Sorge, dass das Auto unter Strom stand, hüpfte der Fahrer auch aus dem Wagen, nicht ohne vorher zu fluchen, dass er sich die alten Zwölfzylinder-Motoren wieder zurück wünscht. Das Bild vom Mann, der geladen ist, es passte wunderbar.

Vettel brauchte ein Weilchen, eine Dusche, ein Gespräch mit dem alten Kumpel Bernie Ecclestone und eine dunkle Sonnenbrille, bis er öffentlich bilanzieren konnte, was ihn ärgerte, was ihn umtreibt. Aus dem Triumph von Singapur ist das Desaster von Sotschi geworden. Vettel verweigerte nach seinem Raketenstart im Windschatten von Kollege Leclerc später den vereinbarten Rücktausch des Spitzenplatzes: Weil er davongefahren ist, weil er ein Siegertyp ist, weil er so lange drauf gewartet hat, weil er es nicht einsieht. Was die Befehlsverweigerung angeht, sah der 32-Jährige sich im Recht: "Ich denke, ich habe meinen Teil der Absprache eigentlich eingehalten. Es war alles klar. Ich habe die Order nicht verstanden, einfach nur versucht mein Rennen zu fahren. Ich will das aber lieber intern regeln."

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Mattia Binotto

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Quelle: AP

Ob eine Harry-Potter-Brille für die fortgesetzte Rolle als Friedensrichter taugt, nun ja. Der managende Ingenieur auf dem Teamchefposten weiß, dass es um Respekt und Räson geht, Sotschi ist jetzt der dritte Eklat in Serie - und diesmal deckt kein roter Sieg den Zwist zu. Aus dem Riss ist ein Graben geworden. Mit den trotzigen Funksprüchen trugen Team und Chauffeure zur Sonntagnachmittagunterhaltung bei, aber den Herren ist es ernst. Es ging um die künftige Führungsrolle - für die Fahrer, aber auch für den Vorgesetzten. Ferrari kommt nicht zur Ruhe, jetzt, wo man auf dem besten Weg zurück zur Spitze ist.

Binotto lächelte sein Binotto-Lächeln, aber da umspielte auch Bitterkeit die Mundwinkel. Gut, dass es noch die offiziellen technokratischen Floskeln gibt. Die klingen, nachdem der vermeintlich unterlegene Gegner von Mercedes mit einer starken Mannschaftsleistung einen Doppelsieg eingefahren hat, so: "Wir haben den Sieg abgegeben aufgrund eines Zuverlässigkeitsproblems." Na gut, ein bisschen mag das stimmen. Die Frage ist tatsächlich, wer sich da noch auf wen verlassen kann und will in Maranello. Binottos These von vor dem Rennen, dass man zwei Nummer-eins-Fahrer beschäftigen kann, hatte die Halbwertzeit von zwei Kurven. Man musste tatsächlich ein wenig Mitleid haben mit dem Italo-Schweizer: Wie soll man denn zwei Berufs-Egomanen auch gleichberechtigen? Da continuare, Fortsetzung folgt.

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Charles Leclerc

F1 Grand Prix of Russia

Quelle: Getty Images

Vierte Pole-Position in Serie, der Monegasse hat Lewis Hamilton als den Garanten für die perfekte Qualifikationsrunde abgelöst. Morgens im Briefing sagten die Ferrari-Strategen dem 21 Jahre alten Monegassen, dass er mit einem Trick sein drittes Rennen nach der Sommerpause gewinnen könne. Man wolle den zweiten Ferrari-Doppelerfolg hintereinander absichern, in dem Leclerc dem Drittplatzierten Vettel am Start Windschatten gebe und dieser so an Hamilton vorbeigehen könne. Sollte das Leclerc die Führung kosten, werde der Platz später wieder getauscht. Wurde er ja auch, aber nur unter Zwang. Und wütenden Protesten von Leclerc, dass er sich immer an die Regeln halte, der böse Deutsche aber wohl nicht.

Windschatten, das ist der Ausgangspunkt der Inteamfeindschaft, denn nach Vettels Sichtweise hatte sich sein Juniorpartner in Monza nicht an den Deal gehalten. Seither sucht jeder seine eigene Vorfahrtregel. Aber Leclerc ist auch außerhalb der Piste ein Schnelllerner, er macht Politik mit Emotionen, und er kann auch den Vernünftigen spielen. Das klingt dann so: "Ich habe volles Vertrauen in Sebastian, das hat sich nicht geändert. Wir müssen uns vertrauen können, das ist in bestimmten Situationen enorm wichtig für das Team." Das hatte er auch in der rasenden Seifenoper auch schon über Funk gesagt, da fiel auch das Wort "Benachteiligung". Ein paar Millionen Zuhörer, die bezeugen sollen, was für ein netter Junge er doch ist.

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Andreas Seidl

F1 Grand Prix of France - Final Practice

Quelle: Dan Istitene/Getty Images

Der Deutsche, der den Dinosaurier McLaren wieder zum Leben erwecken soll, gehört zu den angenehm Stillen im Fahrerlager der Formel 1. Aber auch zu den besonders zielstrebigen. Überraschungsangriffe an schläfrigen Samstagsvormittagen inklusive. Im Minutentakt kommen die Kommuniques. Renault bedankt sich für die Zusammenarbeit als Motorenlieferant von McLaren, aber die Wege werden sich nach 2020 trennen. McLaren dankt dem Partner aus Frankreich. McLaren freut sich, einen neuen Partner für die Zukunft zu begrüßen. Mercedes freut sich auch, dass man wieder das Team ausrüsten werde, mit dem man schon drei Fahrer- und Konstrukteurstitel habe holen können. So geht Public-Relations-Domino.

So geht aber auch Strippenziehen. Wenn der beste Motor zu haben ist, und genau das in Seidls Planspiel noch fehlt, dann muss er ihn haben. Es soll ja vorwärts gehen, schließlich ist er jetzt schon seit Mai im Amt: ein Denker und Lenker im Renntempo. Für die seit Jahren gebeutelte Truppe aus Woking ist die Partnerschaft schon jetzt ein Gewinn. Für Mercedes kann ein so großer Gegner gefährlich werden. Oder eine Option, um die Silberpfeil-Historie immer weiter zu führen, auch nach dem großen Reglementschnitt 2021.

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Chase Carey

F1 Grand Prix of Singapore

Quelle: Getty Images

So ist sie natürlich schon immer gewesen, die Formel 1: Lamentiert jahrelang, dass es auch schon mal bessere Unterhaltung gab auf der Rennstrecke. Jetzt reiht sich Thriller an Thriller, und die Herren aus Hollywood, denen die Vermarktungsrechte gehören, denken sich im Wochenrhythmus immer neue Varianten aus, wie man künstliche Spannung erzielen kann. Mal ist es ein kleines Qualifikationsrennen statt des traditionellen Zeitfahrens, dann der Plan, in umgekehrter Reihenfolge des Qualifyings zu starten.

Darüber haben sich neulich die besten Fahrer der Branche öffentlich lustig gemacht. Sebastian Vettel bezeichnete solche Pläne als "bullshit", Lewis Hamilton soufflierte, dass er das nicht besser habe ausdrücken können. Die Piloten solidarisieren sich schon ein Weilchen, sie müssen das ganze ja auch ausbaden. Sie wollen gefälligst mitreden, weshalb das Fahrerbriefing in Sotschi hohen Besuch hatte: Ecclestone-Nachfolger Chase Carey kam zu Besuch, Geschäftsführer Ross Brawn im Windschatten. Man sprach über Ideen und Experimente. Das fanden alle gut. "Wer außer uns soll ihnen sonst sagen, was funktioniert und was nicht", sagt Valtteri Bottas.

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Kimi Räikkönen

Formula One F1 - Russian Grand Prix

Quelle: REUTERS

Ein Frühstart, das ist so ziemlich das blödeste, was einem im Rennen, respektive kurz davor, passieren kann. Ein Zucken nur von Hand und Fuß, ein paar Millimeter bloß und der Sensor im Asphalt schlägt Alarm. Bei Kimi Räikkönen brauchte er das gar nicht, es war zu sehen, wie sich der Alfa Romeo des Finnen nach vorn bewegte. Die Zeitstrafe folgte, und damit war ein denkwürdiger Grand Prix für den 39-Jährigen gelaufen, bevor er richtig begonnen hatte. Notiert wird sein 307. Rennen in der Königsklasse, damit hat er Rekordweltmeister Michael Schumacher und Jenson Button überholt, vor im liegen nur noch Rubens Barrichello aus Brasilien (322) und Fernando Alonso aus Spanien (311).

Räikkönen hat noch ein weiteres Vertragsjahr mit den in der Schweiz stationierten Italienern vor sich. Als alles anfing in der Saison 2001, hatte Räikkönen auf ein, zwei Jährchen in der Formel 1 gehofft: "Es kam dann ziemlich anders - aber ich hatte nicht wirklich einen Plan, den habe ich heute noch nicht. Solange ich spüre, dass ich so fahre, wie ich das von mir erwarte, werde ich weitermachen." In Sotschi belegte er nach den Anlaufschwierigkeiten nur den 13. Platz, da hatte er sich mehr erwartet.

© SZ.de/ebc
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