Immer dann, wenn es in den vergangenen Jahren an der Spitze eines Formel-1-Rennens langweilig zu werden drohte, weil Max Verstappen einmal mehr mit sich selbst um die Wette fuhr, erschien zumindest ein Garant für gute Unterhaltung - wenn auch unfreiwillig. Xavi Marcos, der Renningenieur von Charles Leclerc, hat bei den Zuhörern des Boxenfunks Legendenstatus. Seine Replik, wenn wieder etwas schiefgegangen war oder schiefzugehen drohte mit der Taktik von Ferrari, war sein viel zitiertes Bonmot: "We are checking".
Dahinter verbarg sich oft Hilflosigkeit, in Variationen von Plan A bis Plan D. Kürzlich in Miami verschenkte Leclerc wegen eines Missverständnisses im Dialog mit dem Kommandostand eine bessere Qualifikationsrunde, Fahrer und Steuermann verwechselten die Anweisung "original" mit "horizontal". Damit soll künftig Schluss sein. Marcos wird weggelobt und durch den Ingenieur Bryan Bossi ersetzt.

Formel 1 in Miami:Alles spricht für die Roten
Geht nach dem siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton auch Design-Genie Adrian Newey zu Ferrari? Einer der spektakulärsten Wechsel der Formel 1 könnte zu einem neuen Dream Team führen, das an das Jahrtausend-Trio um Michael Schumacher heranreichen soll.
Die Beziehung zwischen Piloten und Ingenieuren ist die innigste in einem Rennstall und die wichtigste. Das macht den Wechsel auf den ersten Blick so überraschend. Aber er passt in das System, das Ferrari-Teamchef Frederik Vasseur in seinem zweiten Amtsjahr in Maranello pflegt. Der Franzose, der vom Hinterbänkler Sauber kam, ist ein gewiefter Strippenzieher. Nach der Schnuppersaison 2023 geht er jetzt zum Angriff über, passend zum Heimspiel des Großen Preises der Emilia Romagna zu Pfingsten. Er will und muss aufräumen mit dem Image des organisierten Chaos, das ihm noch aus den Zeiten seines Vorgängers Mattia Binotto hinterherhing.
Deshalb gibt es neben der aktuellen Personalie Bossi zwei weitere Veränderungen zu vermelden. Vom Konkurrenten Mercedes hat Vasseur zwei leitende Mitarbeiter abgeworben: Performance-Direktor Loic Serra sowie den Manager Jerome d'Ambrosio. Letzterer war das Ziehkind von Teamchef Toto Wolff und dessen designierter Stellvertreter: die Vize-Rolle besetzt der Belgier von Herbst an in Maranello. Es ist eine diffizile Personalie, verbindet Wolff und Vasseur doch eine echte Männerfreundschaft. Schon früher war diese strapaziert worden, als Ferrari in einem Coup Lewis Hamilton für 2025 aus der Silberpfeil-Fraktion löste. "Es war mein schwierigster Anruf", gestand Vasseur. Der Franzose ist ein harter Leistungsmensch, fehlt nur noch Adrian Newey, den man ja überzeugen könnte, aus dem vorübergehenden Ruhestand nach Italien zu wechseln.
Nicht nur die Technik muss sich bei Ferrari verändern
Das erste Heimspiel der Saison fällt mit dem Europastart der Formel 1 zusammen, traditionell der Zeitpunkt, in dem die Rennwagen mit technischen Upgrades schneller gemacht werden. Ferraris Bilanz bisher kann sich sehen lassen, bis auf 0,351 Prozent sind die roten Autos im Schnitt der Runden dem Branchenprimus Red Bull Racing nahegekommen. Aber fast dran reicht nicht in diesem Tausendstelgeschäft. Deshalb wird im Autodromo Enzo e Dino Ferrari reichlich nachgerüstet, an acht entscheidenden Stellen verändert sich der SF 24.
Das ist laut Vasseur womöglich noch kein Gamechanger, aber vielleicht doch der fehlende Schritt, um auf Augenhöhe mit Verstappen zu fahren. In den vergangenen anderthalb Jahren war Carlos Sainz jr. mit dem Ferrari der einzige Pilot, der Verstappen besiegen konnte - bis vor zwei Wochen Lando Norris mit seinem Premierenerfolg im McLaren nachzog. Norris profitierte von einem vorgezogenen Upgrade, Ferrari muss also nachziehen. Charles Leclerc hatte nach dem Erfolg des Briten angemahnt: "Diese Saison wird durch die Upgrades entschieden. Wir werden unseres in Imola haben, und die Auswirkungen werden unseren weiteren Weg definieren."

Aber nicht nur die Technik muss sich verändern. Vasseur setzt zum großen Angriff an, und damit zur Umkehr des Binotto-Prinzips. Unter dem Ingenieur herrschte von oben bis unten die Angst, einen Fehler zu begehen und an den Pranger gestellt zu werden. Deshalb hat sich Zögerlichkeit in vielen Köpfen festgesetzt. Ganz allgemein versucht Vasseur zu erklären, warum zu große Vorsicht einen noch größeren Nachteil schafft: "Natürlich fühlen sich alle wohler damit, etwas weniger Risiken bei der Fahrzeugeinstellung einzugehen. Aber am Ende lässt man drei bis vier Zehntel pro Runde liegen." Der 55-Jährige überzeugt als neutraler Außenstehender, der keinen Verpflichtungen nachkommen muss und entsprechend im Sportbereich durchkehren kann.
"Wir müssen sie aus der Komfortzone treiben, damit ihnen vielleicht Fehler passieren", sagt Vasseur
Vor Imola hat er sich deshalb nichts Geringeres als die alte Ferrari-Mentalität vorgenommen. Das wirkt gewagt, aber darum geht es. Die Scuderia hat sich als erster Verfolger von Red Bull Racing positioniert, sie kann im Rennen bereits Druck auf die Spitzenreiter ausüben. "Wir müssen sie aus der Komfortzone treiben, damit ihnen vielleicht Fehler passieren", sagt Vasseur über den einen Teil der propagierten Aggressivität. Noch entscheidender ist für ihn die andere Seite des Paradigmenwechsels: "Ich möchte Ferrari dahin bringen, mehr Risiken einzugehen - denn das ist es, was unsere Gegner tun, mehr riskieren." Leicht zu erkennen, wessen Mentalität er in dem gewagten Versuch kopieren will: "Risiken einzugehen, das gehört zur DNA von Red Bull. Sie gehen überall ans Limit. Das macht den Unterschied."
Nach der Politik der bewussten Zurückhaltung über die vergangene Saison hinweg setzt die Scuderia nun auf ein neu erstarktes Selbstbewusstsein, dass aus der Numero due eine Numero uno machen soll. Die Evolution scheint ausgedient zu haben. "Einen kleinen Schritt noch", sinniert Prinzipal Vasseur, "und es könnte der entscheidende sein, damit wir dauerhaft in der Position sind, mit ihnen zu kämpfen." Imola, die Strecke mit der großen Vergangenheit, als Wegweiser in die Zukunft.