Großer Preis der Toskana:Ein Jubiläum für die Crash-Geschichte

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Das passiert, wenn manche schneller sein wollen als andere: Nach einer Safety-Car-Phase bummelt vorne Bottas im Mercedes, hinten geben andere Vollgas.

(Foto: HochZwei/imago images)

"Wollen die uns umbringen?": Das 1000. Rennen von Ferrari wird noch viele Jahre im Gedächtnis bleiben. Wegen zwei Massenkarambolagen, zwei Rennunterbrechungen - und drei Rennstarts.

Von Philipp Schneider

23 Minuten waren gefahren bei der großen Jubiläumssause von Ferrari, da kletterte Sebastian Vettel aus seinem Wagen, der anlässlich des Festtages in tiefstes Burgunderrot umlackiert worden war. Vettel kennt die Prozedur des Aussteigens ja inzwischen ganz gut: Hände auf dem Chassis abstellen. Arme durchdrücken. Und schon schiebt sich ein Rennfahrer in die Höhe. Aber diesmal war etwas anders: Vettel war nicht allein. Und sein Auto war noch fahrtüchtig. Zwölf andere Piloten kletterten zeitgleich mit ihm aus ihren Autos. Rote Flaggen! Rennabbruch! Wie schon eine Woche vorher in Monza.

Als am Sonntag nicht nur Vettel ausstieg, da waren bereits sieben Piloten Opfer einer vogelwilden Startphase geworden. Auf der in Motorradkreisen berüchtigten und beliebten Strecke in Mugello, wo nie zuvor ein Formel-1-Rennen stattgefunden hatte. Am Sonntag bekam man eine Vorstellung davon, was passieren kann, wenn die Königsklasse ein Rennen an einem Ort veranstaltet, an dem sie bislang nur getestet hatte. Es gab zum Auftakt: zwei Massencrashs in 23 Minuten, dazu ein Safety Car und einen Rennabbruch. Und dann, 13 Runden vor Schluss: einen zweiten Rennabbruch. Nach einem heftigen Abflug von Lance Stroll, Vettels künftigem Teamkollegen bei Racing Point. In einer Kurve, die den Namen "Arrabiata" trägt.

Dass Lewis Hamilton am Ende den 90. Rennsieg seiner Karriere und gemeinsam mit Valtteri Bottas den nächsten Doppelsieg für Mercedes feierte, geriet angesichts der Vorfälle auf der Strecke zur Randnotiz. Der Tag, an dem Ferrari sein 1000. Rennen bestritt, wird für alle Zeiten in Erinnerung bleiben als Tag des fliegenden Karbons. Nach Österreich 1987 und Belgien 1990 gab es zum dritten Mal in der Geschichte drei stehende Starts in einem Rennen.

"Das waren heute drei Rennen an einem Tag, es war unglaublich hart. Mein Herz rast immer noch", sagte Hamilton später.

Aus Sicht von Ferrari hatte all dies etwas Gutes: Denn wer, bitteschön, wird sich in Jahren noch daran erinnern, wie spät die Ferrari-Piloten in Mugello die Ziellinie überquerten? Nur ganz kurz: Leclerc wurde Achter, Vettel Zehnter. Es kamen allerdings nur zwölf Autos ins Ziel. Aber psst!

"Es ist nicht schön, wenn man mit 280 km/h plötzlich auf stehende Autos zurast."

"Ich habe keine Lust, das ganze Rennen zu beschreiben, das ist mir zu lang", sagte Vettel, als er endlich im Ziel war. "Es gab hier nicht viele Autos, die langsamer waren.

Das ist hart und ernüchternd." Vettel durchlebt ja derzeit ein anstrengendes psychologisches Kontrastprogramm in der Formel 1. Vor einer Woche versagten die Bremsen bei Tempo 300, Flammen stiegen aus seinem Heck. Die Rennfahrerlaune war auf dem Tiefpunkt. Vier Tage später freute sich fast die gesamte Formel 1 mit ihm, dass er nach seiner Ausbootung bei Ferrari einen Unterschlupf bei Aston Martin finden wird. Auf den Jubel folgte die nächste Ernüchterung: In der Qualifikation für Mugello war Vettel seinem Teamkollegen mal wieder deutlich unterlegen. Parkbucht fünf sicherte sich Leclerc, Vettel stand neun Positionen weiter hinten.

Selbstverständlich glänzte auch an Ferraris Ehrentag die erste Reihe silbern. Hamilton stand humorlos vor Bottas, dahinter lauerten die zwei Red Bull - Alex Albon hatte es tatsächlich mal an die Seite von Max Verstappen geschafft.

Bottas startete wie der Blitz. Hamilton reagierte träge, kam nicht in die Gänge. Verstappen griff sogleich an, wollte sich die seltene Chance nicht nehmen lassen, am WM-Führenden vorbeizuziehen. Zumindest auf der Strecke. Doch plötzlich verlor er an Geschwindigkeit. Kurz zuvor, noch in der Startaufstellung, hatten Mechaniker an Verstappens Auto geschraubt, es hatte Probleme mit der Motorleistung gegeben. Nun wurde er durchgereicht: links und rechts schossen Autos an ihm vorbei.

Ehe es zum ersten Mal knallte - schon in der zweiten Kurve: Carlos Sainz drehte sich im McLaren auf dem Asphalt. Und auf der engen Piste in Mugello bleibt nicht viel Platz zum Ausweichen. Es kam zu einer Kettenreaktion: Die Wagen von Pierre Gasly und Kimi Räikkönen berührten sich - und drehten Verstappen raus ins Kiesbett. Wütend ließ der die Reifen drehen, Steinchen flogen in die Luft, aber sein Auto steckte fest. Endstation Kiesgrube. Auch Vettel konnte nicht ausweichen, sein Frontflügel wurde beschädigt. Vettel musste an die Box. Aber das Safety Car rückte aus. Am Ende der Startphase führte Bottas vor Hamilton, Leclerc und Albon. Vettel war Letzter. "Zu viele Autos an einem Ort", analysiert Pierre Gasly später trocken die Crash-Situation, als er dazu Zeit hatte. Die unmittelbar folgende Rennunterbrechung bot ja Gelegenheit für Interviews.

Antonio Giovinazzi konnte nicht rechtzeitig bremsen. Er krachte in das Heck von Kevin Magnussen

Und zur Unterbrechung kam es so: Als das Safety Car das Rennen nach acht Runden wieder startete, knallte es schon wieder. Und wie! Ganz vorne fuhr Bottas langsam Schlangenlinien. Weiter hinten im Feld antizipierten viele Piloten die Rennfreigabe - wie Sprinter im Startblock, die sich vorschnell auf die Tartanbahn plumpsen lassen. Die Piloten gaben Gas und mussten dann heftig bremsen - weil Fahrer vor ihnen noch im Startblock waren. Antonio Giovinazzi im Alfa Romeo konnte nicht rechtzeitig bremsen, er krachte mit Geschwindigkeitsüberschuss in das Heck von Kevin Magnussen. Auch Latifi und Sainz wurden rausgekegelt. Die Rennleitung ließ rote Flaggen schwenken. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. "Es ist kein schönes Gefühl, wenn man mit 280 km/h unterwegs ist und plötzlich auf stehende Autos zurast", klagte Sainz. "Wollen die uns umbringen?", rief Haas-Pilot Romain Grosjean ins Mikrofon.

Nach 20 Minuten Pause gab es einen stehenden Start. Hamilton nutzte diesen zur Revanche für den ersten. Er zog rechts rüber, saugte sich in den Windschatten von Bottas. Vor der ersten Kurve war er vorbei.

Kurz durchatmen. Eine Stunde war rum, sieben Piloten raus. Aber das Rennen hatte eigentlich erst begonnen. Hamilton führte vor Bottas und Leclerc, dahinter folgten die Autos jenes Rennstalls, für den Vettel ab nächster Saison fahren wird: Racing Point. Ein Trost war ihm das in diesem Moment keiner. Vettel war Vorletzter.

Für eine Weile witterten die 3000 Tifosi, die trotz Corona an die Strecke kommen durften, die köstliche Rennluft, die früher mal in Italien wehte. Leclerc auf drei - gab es gar einen Podestplatz für einen Fahrer in Rot? Aber nein. Die Ferraris wurden auch in Mugello gebremst von ihrer Unvollkommenheit. Jener toxischen Mischung aus zu wenig Kraft und zu wenig Windschnittigkeit. Erst überholten Leclerc die Racing Points, dann fiel er zurück auf Position sieben. Der Kommandostand der Scuderia erkundigte sich bei ihm, ob er Lust habe auf "Plan C". War ihm egal. "Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir sind so langsam", antwortete er.

Es folgte: Plan C. Nach 22 Runden wurden neue Reifen an Leclercs Wagen geschraubt. Nach und nach hielten auch die Konkurrenten. Daniel Ricciardo im Renault kam früh an die Box, schob sich so vorbei an Lance Stroll auf Position drei.

Der Reifenverschleiß war bei allen Teams enorm. Die Mercedes-Piloten wurden aufgefordert, die Umrandungen nicht zu touchieren. Warum, das spürte bald Lance Stroll: Mit einem Reifenschaden links hinten flog er ab aus der Arrabiata. Rennunterbrechung. Der dritte stehende Start.

Diesmal zog Hamilton reaktionsstark weg. Bottas ließ sich überholen von Ricciardo, kämpfte sich aber zurück auf Platz zwei. Und Alex Albon, der stets im Schatten von Verstappen rollende Fahrer, schnappte sich noch Ricciardo und schaffte es im 30. Rennen seiner Karriere erstmals aufs Podium. Am Tag des fliegenden Karbons war das aber eher Randgeschichte.

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